Demo gegen die schleichende Teilung
Die Kosovo-Albaner wollen sich nicht mehr weiter von Serbien ihre Unabhängigkeit vermiesen lassen. Mehrere tausend Menschen demonstrierten gestern in Prishtina friedlich gegen eine schleichende Teilung Kosovos. Die EU steht derweil vor dem Scherbenhaufen ihrer Kosovo-Politik.
Nie mehr seit der einseitigen Unabhängigkeitserklärung Kosovos vom 17. Februar haben sich so viele Menschen im Zentrum von Prishtina versammelt. War die Stimmung vor neun Monaten fröhlich und hoffnungsvoll, dominierten am Mittwoch Frustration und Wut. Diese richteten sich vor allem gegen Serbien und die internationale Gemeinschaft. Denen warfen die Demonstranten vor, auf eine Teilung Kosovos hinzuarbeiten. Albin Kurti, Anführer der Bewegung „Selbstbestimmung“ sagte: „Es ist nicht akzeptabel, dass die UN und Serbien Kosovo nicht anerkennen, aber über Kosovo diskutieren.“ Die Souveränität und territoriale Integrität Kosovos sei nicht verhandelbar.
Im Zentrum der Demonstration, zu der ein Netz von 30 kosovarischen Nichtregierungsorganisationen aufgerufen hatte, stand der Sechs-Punkte-Plan, den die Vereinten Nationen mit Serbien und der EU in den vergangenen Wochen ausgehandelt hatten. De facto entzieht der Plan die serbischen Siedlungsgebiete in Kosovo der Kontrolle der Zentralregierung in Prishtina. Kritiker sehen darin einen ersten Schritt zur Teilung Kosovos mit seinen rund zwei Millionen Einwohnern.
Der Plan sieht für die Kosovo-Serben eigene lokale Polizeieinheiten und ein von Prishtina unabhängiges Justizsystem vor. An den Grenzübergängen im Norden Kosovos, wo fast nur Serben leben, würden internationale und keine kosovarischen Grenz- und Zollbeamten Dienst tun. Selbst die an diesem Grenzabschnitt erwirtschafteten Zolleinnahmen sollen nach unbestätigten Informationen nicht nach Prishtina abgeführt werden, sondern in den Händen der Kosovo-Serben bleiben. Zudem ist eine weitgehende Autonomie beim Schutz der serbischen kulturellen und religiösen Güter sowie beim Straßenverkehr- und der Telekommunikation vorgesehen.
Für die serbische Regierung ist der Sechs-Punkte-Plan die Bedingung für ihre Zustimmung zur Arbeit der EU-Rechtstaatsmission Eulex auf dem gesamten Gebiet Kosovos. Denn ohne grünes Licht aus Belgrad sind die meisten der rund 130.000 in Kosovo lebenden Serben nicht bereit, mit der Eulex zusammenzuarbeiten. Bei der größten zivilen Mission ihrer Geschichte will die EU 1.900 Polizisten, Richter, Grenzbeamte und Staatsanwälte nach Kosovo schicken, um die dortigen Behörden beim Aufbau eines funktionierenden Justiz- und Polizeisystems zu unterstützen. Auch jene fünf EU-Mitglieder (Griechenland, Rumänien, Slowakei, Spanien, Zypern), die die Unabhängigkeit Kosovos bislang nicht anerkannt haben, tragen die Eulex mit.
Doch die UN und die EU haben ihre Rechnung ohne die kosovarische Regierung gemacht. Die internationalen Unterhändler hatten es offenbar nicht für notwendig erachtet, auch mit Prishtina über den von Serbien forcierten Sechs-Punkte-Plan zu reden. Als sich die Vertreter aus New York und Brüssel für ihren Plan das OK der kosovarischen Führung abholen wollten, stießen sie auf Ablehnung. „Die Zeiten, in denen Entscheidungen über Kosovo ohne Kosovo getroffen werden, sind vorbei“, stellte Premierminister Hashim Thaci unmissverständlich klar. Für Prishtina komme die Zustimmung zum Sechs-Punkte-Plan einem Verfassungsbruch gleich, dazu sei man nicht bereit.
Mit dem Nein Prishtinas steht die europäische Kosovo-Politik vor einem Scherbenhaufen. Dabei hatte sich Brüssel alles so schön zurechtgelegt: Mit der kurz vor der Unabhängigkeitserklärung Kosovos beschlossenen Eulex-Mission wollte die EU in einigen wichtigen Bereichen die massiv verkleinerte UN-Mission Unmik beerben. Doch Serbien – unterstützt von Russland – legte sich quer und verlangte einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates über die Eulex. Kaum hat man nun dank des Sechs-Punkte-Plans Belgrad und Moskau im Boot, spielt Prishtina nicht mit. Dass die kosovarische Regierung trotz massiven Drucks seitens der EU Selbstbewusstsein zeigte und standhaft blieb, ist man in Brüssel nicht gewöhnt.
Der EU bleibt nun kaum etwas anderes übrig, als am 2. Dezember lediglich in den von Kosovo-Albanern bewohnten Regionen offiziell mit der Eulex zu starten. In den serbischen Siedlungsgebieten werden sich Schmuggler und organisierte Kriminalität vorläufig weiter darüber freuen können, dass sie in einem mehr oder weniger rechtsfreien Raum mit völlig unklarer Kompetenzverteilung leben. Das ist ein denkbar schlechter Start für eine Mission, die sich die Minderheitenrechte und den Kampf gegen Korruption und Kriminalität auf die Fahnen geschrieben hat.