Der Mann mit dem weißen Bart ist zurück
Mitten im Zentrum Sarajewos, wo sich die Flaniermeile Ferhadija plötzlich öffnet und den Blick auf die Berge frei gibt, erstreckt sich der „Platz der Befreiung – Alija Izetbegovic“. Wo sonst Straßenhändler Ölbilder verkaufen und Rentner Schach spielen, reihen sich zwei Dutzend Holzbuden aneinander, an Bäumen, Büschen und Zäunen rund um den Platz leuchten Lichterketten. Selbst die Gusseisenplastik mit den Friedenstauben ist mit Lichtern geschmückt, in der Mitte ragt eine Weihnachtsfichte mit elektrischen Kerzen auf.
Es ist der erste Weihnachtsmarkt überhaupt in der bosnischen Hauptstadt. Was in hunderten europäischen Städten Tradition hat, ist für Sarajewo neu. Dem „Sarajevo Holiday Market“ ging ein heftiger Streit der Bürgerschaft voraus.
Das hat mit Sarajewos komplizierter Geschichte zu tun. Heute leben überwiegend Muslime in der Stadt, aber das war nicht immer so. Über Jahrhunderte, bis zum Krieg Mitte der 90er Jahre, hatten katholische Kroaten, orthodoxe Serben und auch Juden die Kultur der Stadt zusammen mit den Muslimen geprägt, wovon eine Reihe von Kirchen und Synagogen zeugen. Heute bestimmen vor allem die vielen Moscheen das Stadtbild.
In einem der schmucken Holzhäuschen auf Sarajewos „Holiday Market“ sitzt nun jeden Tag ein Weihnachtsmann mit langem, weißen Bart und nimmt Kinder auf den Schoß für ein schnelles Foto. Und um diesen friedlichen „Djeda Mraz“, ging der Streit ganz besonders. Denn dass der Weihnachtsmann auf einem öffentlichen Markt auftritt, ist neu. Nach Kriegsende 1995 war er aus den muslimischen Kindergärten verschwunden und auch aus dem Stadtbild. Es gab höchstens vereinzelte, privat gebuchte Weihnachtsmänner. Dürfte in den ersten Jahren nach dem Krieg Geldmangel der Hauptgrund gewesen sein, kamen später religiöse Gründe hinzu. War der Islam in Bosnien traditionell sehr moderat und westlich, gibt es seit dem Krieg auch deutliche islamistische Tendenzen, die vor allem mit dem Geld zu tun haben, das aus arabischen Ländern kommt. Immer wieder gibt es auch Meldungen über fundamentalistische wahhabitische Gruppen, die aus Saudi-Arabien stammen.
Ist der Weihnachtsmann überhaupt ein religiöses Symbol? Das fragen sich viele in Sarajewo. Und viele von ihnen sehen seine Rückkehr als Erfolg des traditionellen moderaten Islam Bosniens gegen radikale neuere Einflüsse im Kampf um die kulturelle Hoheit in der Stadt. Den Weihnachtsmann sehen sie wie den Alkohol in den Bars als ein Symbol des europäischen Erbes der Stadt. Das vorübergehende Verschwinden des Weihnachtsmannes war der Stadt eigentlich fremd – so wie in den ersten Jahren nach dem Krieg auch der Alkohol in der Altstadt verboten war. Heute sind auch die Bars wieder da, mit allem, was dazugehört.
„Der Djeda Mraz gehört zu Sarajewo. Er war immer schon da“, ruft auch der Bürgermeister unter dem Beifall der Zuhörer bei der Eröffnung des Marktes ins Mikrofon. „Das ist keine ideologische Frage. Es ist schlicht eine Tatsache, dass wir zu Europa gehören, heute und auch in Zukunft.“
Die Besucher des Marktes sehen das offensichtlich genauso. Sie stehen vor den Buden, in denen handgemachte lokale Produkte angeboten werden: Rakija, der berühmte Pflaumenschnaps, Honig aus der Herzegowina, selbstgestrickte Mützen und Schals, Pantoffeln aus Filz oder Seifen aus Olivenöl. „Die Atmosphäre ist wirklich schön und feierlich, das ist gut für diese Stadt“, sagt eine Verkäuferin. „Wir haben viel Publikum, ich hoffe, dass das von jetzt an Tradition wird.“
Vielleicht ist es der Verdacht, dass der Weihnachtsmann mit seinen Geschenken ein Agent des westlichen Konsumdiktats ist, was ihn den muslimischen Eliten so verdächtig macht. In der Tat: Der Weihnachtsmarkt ist von Coca Cola gesponsert. Der Getränkekonzern war ja auch einer der ersten großen Investoren nach dem Krieg.
Aber getrunken wird trotzdem Glühwein, auch wenn er noch nicht so richtig gut weg geht. Vielleicht liegt es daran, dass er noch nicht so bekannt ist. Oder auch daran, dass der Becher fünf Konvertible Mark kostet, mit zwei Euro fünfzig also nicht ganz billig ist.