Ukraine

Polit- und Wirtschaftskrise im Gleichschritt

Dass die Stimmung zwischen Regierung und Präsident in Kiew mies ist und im Parlament verbal die Fäuste fliegen, ist nicht ungewöhnlich. Auch nicht, dass das Land vor massiven wirtschaftlichen Problemen steht. Was sich derzeit jedoch in Kiew abspielt, ist die Vermengung von all dem unter extremen Vorzeichen.

Das Land hat nach dem Zerfall der Koalition praktisch keine funktionierende Regierung.  Dort sitzen nach wie vor Minister der zerstrittenen Lager von Premierministerin Julia Timoschenko und Präsident Viktor Juschtschenko. Im Parlament arbeiten die Parteien der beiden offen gegeneinander. Ein lähmender Zustand. Aber auf die Abhaltung von Neuwahlen konnte man sich bisher nicht einigen.Es ist eine Situation, der die internationale Wirtschaftskrise eine ganz eigene Note verleiht. Ihre Auswirkungen treffen die Ukraine besonders hart: Die Inflation wird für dieses Jahr auf 25 Prozent prognostiziert, die Industrieproduktion ging um 20 Prozent zurück und einige Großbetriebe der Schwerindustrie wurden bereits geschlossen. Neben Island, Ungarn und Pakistan ist die Ukraine in Folge der Krise auf Kredite des Internationalen Währungsfonds angewiesen – in Höhe von 16,5 Milliarden Dollar.

Die wirtschaftliche Krise ist der eigentliche Grund, warum das Parlament überhaupt noch tätig ist. Der Beschluss eines Haushaltsentwurfs für das kommende Jahr steht an. Und ein Krisenpaket soll beschlossen werden, um den derzeit rasant voranschreitenden massiven Wirtschaftseinbruch abzufedern. Doch das ist der kleinste gemeinsame Nenner. Denn sowohl über die Grundzüge eines Budgets als auch darüber, wie ein staatliches Hilfspaket aussehen soll, herrscht Uneinigkeit. Seit Wochen wird gestritten. Sitzungen wurden blockiert, das Rednerpult besetzt – es kam zu Handgreiflichkeiten. Wirkliche Beschlüsse gibt es auch nach wochenlangem Streit keine. Stattdessen wurde Parlamentssprecher Arsenij Yatsenjuk – ein Mitglied der Präsident Juschtschenko nahe stehenden NU-NS –  überraschend abgewählt. Gegen ihn stimmten auch Abgeordnete aus dem eigenen Lager.

Der Umstand, dass das Parlament nach der Abwahl seines Präsidenten jetzt durch den stellvertretenden Vorsitzenden geleitet wird, bietet Raum für neue Konflikte: Die Fraktion von Julia Timoschenko hat jedenfalls bereits Bedenken angebracht, ob denn Beschlüsse unter diesen Vorzeichen verfassungskonform seien. Nur an einer Front zeichnet sich eine mögliche Lösung ab: In Timoschenkos Fraktion mehren sich die Anzeichen, dass man den bisher fundamentalen Widerstand gegen die Abhaltung von Neuwahlen aufgeben könnte.

Noch dieses Jahr, wie von Präsident Viktor Juschtschenko zunächst angestrebt, wird wohl allerdings nicht gewählt werden. Am wahrscheinlichsten scheint jetzt ein Termin im Frühjahr. Auf Prognosen lässt sich kaum jemand mehr ein. Wohl auch, weil hinter den Kulissen nach wie vor die Möglichkeiten zu neuen Regierungskoalitionen ausgelotet werden. Wie Mitarbeiter von Ministerien berichten, stehen die Räder seit Wochen still. Die Geschehnisse im eigenen Land beobachten sie mit einer Mischung aus Schreckstarre und Fassungslosigkeit. Erledigt wird nur das Nötigste. Angesichts der Problemlagen in der Ukraine ein gefährlicher Zustand.

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