Mediziner leben von schwarzem Gehalt
Schmiergeld gehört im ungarischen Gesundheitswesen zum Einkommen und wird sogar in der Steuerklärung deklariert(n-ost) - Mezötúr, eine Kleinstadt im südöstlichen Ungarn. Im Hof des Krankenhauses der 20.000-Einwohner-Stadt sitzen ein paar Roma-Frauen und genießen die letzten herbstlichen Sonnenstrahlen. Der Bauch einer jungen Frau spannt sich schon beträchtlich unter dem weißen Bademantel. Ihr Kind kommt bald – und dann ist Zahltag. Sie wird „Hálapénz, das in Ungarn weit verbreitete „Dankgeld“, an den Geburtshelfer zahlen müssen.„Aber erst hinterher“, sagt die junge Frau, „und je nachdem, wie zufrieden wir sind. Davon hängt ab, wie viel wir geben.“ Eine Geburt kann schon mal 100.000 Forint, rund 400 Euro, kosten. „Dabei bekommen die ja eigentlich ein Gehalt“, räumt die junge Schwangere ein. Trotzdem will sie zahlen. Weil es alle machen. Und weil es ohne kaum geht.Roma und ältere Damen gelten als besonders freigebig. Das hat das Meinungsforschungsinstitut Tárki 2007 herausgefunden. In der Hauptstadt wird nach diesen Daten doppelt so viel gegeben wie auf dem Land. Verständlich, denn in Budapest verdienen die Leute auch mehr, und die Preise sind höher. 30 bis 100 Milliarden Forint (umgerechnet 113 bis 370 Millionen Euro) fließen jährlich in die Taschen korrupter Ärzte und Krankenschwestern, so die Schätzungen von Tárki.Doch die Dunkelziffer könnte weit höher sein. Denn gerne redet keiner über die Zuwendungen am Krankenbett. Es sind Geschäfte im Dunkeln. Gezahlt wird offenbar dann, wenn es um Leben und Tod geht oder um das Wohlergehen von Kindern. Die Patienten erhoffen sich offenbar, dass die kleine „Aufmerksamkeit“ im Briefumschlag auch die der „Götter in Weiß“ erhöht.Besonders anfällig für das umstrittene Zubrot sind Geburtshelfer, Kinderärzte und Chirurgen wie Dr. Attila Pálfi. Er leitet die Chirurgische Abteilung des Klinikums Békéscsaba in der Nähe der rumänischen Grenze. Das Thema „Hálapénz“ ist ihm unangenehm – aber freiwillig verzichten möchte er nicht auf das finanzielle Plus. „Ich bin kein Dschungelkämpfer“, sagt er und meint damit die Kollegen, die aus Prinzip kein Schmiergeld annehmen. Er rechnet vor, dass er ohne dieses zusätzliche Geld nicht leben könnte. „Ich verdiene nicht einmal 600 Euro netto im Monat“, sagt er, „das ist nicht viel.“Ein Haus zu bauen koste 30 Millionen Forint, etwa 120.000 Euro, rechnet Pálfi vor. „Mit versteuertem Gehalt müsste ich dafür 80 Jahre arbeiten.“ Das sei unmöglich. „Es muss ja einen Gegenwert geben für diesen ständigen Stress, den Frust“, rechtfertigt er sich. Mithilfe des Patienten-Schmiergelds vermehrt er sein Gehalt: „Manchmal verdoppelt es sich“, sagt er. Ein schönes Zubrot, das er aber freiwillig aufgeben würde, behauptet er. Unter einer Bedingung: Wenn das Gehalt steigen würde. Dann würde auch das „Hálapénz“ verschwinden, glaubt der junge Arzt.„Letztlich untergräbt es die Arzt-Patient-Beziehung“, räumt er ein, obwohl er das Schwarzgeld annimmt. Dabei behauptet er, alle gleich gut zu behandeln – egal ob die Patienten Schmiergeld zahlen oder nicht. „Das macht keinen Unterschied.“ Die Roma-Patientin im Hof des Mezötúrer Krankenhauses hat da ganz andere Erfahrungen gemacht. „Es ist eben nicht egal“, sagt sie, „wenn du nicht zahlst, wirst du links liegen gelassen.“Die Roma berichtet von einer Leidensgenossin, die kein Geld hat. „Ein 74-jähriges Großmütterchen“, um das sich niemand kümmere. „Man kann doch die Leute nicht lebendig verrecken lassen“, empört sie sich. Eine Lösung muss her, das weiß auch die Ärztekammer. „Dieses Schwarzgeld ist demütigend für alle“, schimpft Kammer-Präsident István Eger. Auch er sieht die Lösung in höheren Gehältern für Mediziner und Krankenschwestern. Damit ließe sich nebenbei auch noch die Abwanderung der gut ausgebildeten Fachkräfte ins westliche Ausland stoppen.Auch die Regierung will gegen das „Hálapénz“ vorgehen – einerseits. Andererseits können Ärzte bis heute ihr schwarzes Einkommen legal versteuern, indem sie es in der Steuererklärung deklarieren. Mithilfe von Praxisgebühren, die helfen sollten, das Schmiergeld abzuschaffen, sollte die traditionelle Unsitte am Krankenbett gestoppt werden. Das Kalkül der Regierung in Budapest war: Wenn Patienten „Eintritt“ bezahlen müssen, werden sie sich weigern, obendrein den Ärzten noch zu illegalen Einkünften zu verhelfen.In den Krankenhäusern klappte das offenbar auch. Angeblich wird dort inzwischen weniger Schmiergeld gezahlt. Jeder vierte Patient „dankt“ statt dessen seinem Hausarzt mit ein paar Forint-Scheinen. Doch die 300 Forint (1,20 Euro) Praxis- und Krankenhausgebühr wurden durch ein Volksbegehren der Opposition Anfang des Jahres gekippt. Dadurch verlor die Regierung nicht nur jährlich 20 Milliarden Forint Einnahmen. Die liberale Gesundheitsministerin Ágnes Horváth stolperte auch über die geplatzte Gesundheitsreform. Der sozialistische Ministerpräsident Gyurcsány feuerte sie. Daraufhin zerbrach die sozial-liberale Koalition. Und die Regierung musste auch das entsprechende Gesetz zunächst wieder einkassieren, das auch die Annahme von „Hálapénz“ verbietet. Horváths Nachfolger im Amt, Tamás Székely, warnt: „Das Problem „Hálapénz“ kann man nicht von heute auf morgen lösen.“Der Budapester Arzt József Telkes geht seit Jahren einen anderen Weg: Er stellte korrupte Ärzte unter www.halapenz.hu an einen Internet-Pranger, mit vollem Namen – bis der oberste Datenschützer Attila Péterfalvi einschritt. Auch die Ärztekammer stellte sich vor die Standeskollegen und gegen József Telkes. Aber der Arzt und Headhunter ist pfiffig: Die Namen der schwarzen Schafe im weißen Kittel sind mittlerweile gelöscht, es sind allerlei Internet-Klone entstanden.Telkes‘ neue Seite www.halapenz.blogspot.hu nennt er jetzt „Forum“. Darauf finden sich Verweise zu verwandten Internet-Seiten, Videoclips und Blog-Einträge. „Das ist eine ‚Speakers Corner‘ – jeder kann schreiben, was er will“, erklärt Telkes. Der oberste Datenschützer will gegen die Hálapénz.hu-Klone im Netz nicht einschreiten. Auch die Ärztekammer beruhigt der Etikettenschwindel. „Wir werden nicht mehr juristisch dagegen vorgehen“, sagt Kammerpräsident Eger.Der Kampf gegen das „Hálapénz“ ist ein Kampf gegen Windmühlen, so scheint es. Jeder zweite von Tárki Befragte denkt so wie diese Patientin im Hof des Krankenhauses von Mezötúr: „Das ,Dankgeld‘ wird es immer geben“, sagt sie resigniert. „Ich bin oft krank und ich kann mir als Rentnerin Hálapénz nicht leisten. Entweder ich werde behandelt, ohne zu schmieren, oder ich verrecke eben.“
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