Torpedos gegen die EU-Ratspräsidentschaft
Der Lissabon-Vertrag kann in Tschechien nicht mehr vor dem Beginn der Präsidentschaft ratifiziert werden
(n-ost) – Als Tschechiens Premier Mirek Topolanek unlängst Bundeskanzlerin Angela Merkel in Prag empfing, gab er sich zuversichtlich: Sein Land werde rechtzeitig vor dem Beginn der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft im Januar kommenden Jahres den Reformvertrag von Lissabon ratifizieren. Es sei, betonte er, auch nur schwer vorstellbar, wie man andernfalls den Iren ins Gewissen reden könne, ihr Nein zu diesem grundlegenden Dokument zu überdenken. Die Kanzlerin freute sich über die Botschaft Topolaneks. Doch die ist schon wieder Makulatur. Präsident Vaclav Klaus hat das in Brno (Brünn) sitzende tschechische Verfassungsgericht dazu gezwungen, seinen seinen Entscheid über die Kompatibilität des Lissaboner Vertrags mit der tschechischen Verfassung zu verschieben. Das Gericht war von einigen Senatoren angerufen worden zu überprüfen, ob der Lissabon-Vertrag auch mit der tschechischen Verfassung kompatibel ist. Ursprünglich wollten sich die Richter dazu am 10. November äußern. Nun kommt ihr Spruch erst Ende November. Klaus besteht darauf, selbst in Brünn zu sein und vor Gericht aufzutreten. Am 10. November aber ist er auf Auslandsbesuch. Und das nicht irgendwo, sondern in Irland. Dort wird Klaus neben Präsidentin McAleese und Premier Cowen auch den Geschäftsmann Declan Ganley treffen. Der hatte die irische Kampagne gegen den Lissabon-Vertrag maßgeblich organisiert und finanziert – erfolgreich: Eine Mehrheit der Iren lehnte das Dokument im Juni bei einem Referendum ab. Klaus war damals der einzige europäische Staatsmann, der jubelte und die Iren zu ihrer Entscheidung beglückwünschte. Er hatte daraufhin den Vertrag von Lissabon für tot erklärt und verlangt, dass dessen Ratifizierung in Tschechien sofort gestoppt werde. Doch vor allem Topolanek und Außenminister Karl Fürst Schwarzenberg, die den Vertrag in der portugiesischen Hauptstadt einst unterzeichnet hatten, lehnten ab. Sie knickten auch nicht ein, als Klaus sie auf seinen Amtssitz, die Prager Burg, einbestellte. Mit der erzwungenen Verschiebung des Urteils des Verfassungsgerichts zog Klaus nun seine nächste Trumpfkarte aus dem Ärmel. Damit demütigte er Topolanek erheblich. Der zeigte sich gestern höchst verärgert, dass es mit der Ratifizierung des Vertrags zum Jahresende nicht mehr klappen werde. Klaus schlägt mit seiner Taktik gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: Zum einen will er den Vertrag von Lissabon unter allen Umständen verhindern. Der beraube, so seine Argumentation, die Nationalstaaten vieler ihrer Kompetenzen. Dadurch fühlt sich Klaus vor allem auch selbst betroffen. Die Brüssler Korrespondentin der konservativen Zeitung „Lidove noviny“ brachte es auf den Punkt: „Je mehr Tschechien in der EU integriert ist, desto weniger wird Vaclav Klaus gebraucht.“ Deshalb rede er die Ratspräsidentschaft seines eigenen Landes als „unwichtig“ klein und behaupte, alle Entscheidungen über Europa würde eh nur von den großen Mitgliedsstaaten getroffen – wie einst Nazi-Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien in München über die Zerschlagung der Tschechoslowakei entschieden hätten. Teil zwei der Präsidenten-Taktik: Klaus kann den von zwei schweren Wahlniederlagen angeschlagenen Topolanek zusätzlich schwächen – vor allem innerhalb der eigenen liberal-konservativen Bürgerpartei (ODS). Die verlorenen Wahlen seien ein „Referendum gegen die Regierung Topolanek“ gewesen, hatte Klaus betont, der den glücklosen, aber noch immer kampfesmutigen Premier und ODS-Vorsitzenden seit Langem weghaben will. Klaus glaubt, mit seiner Kampagne gegen Topolanek dessen Chancen auf eine Wiederwahl zum ODS-Chef auf einem Parteitag im Dezember verringern zu können. Klaus sähe sehr viel lieber den Prager Oberbürgermeister Pavel Bem auf dem Stuhl des Partei- und Regierungschefs. Das Problem: Viele Regionalfürsten der ODS sind zwar keine großen Freunde von Topolanek mehr; aber Bem hat bei ihnen ebenso wenig Rückhalt. Lediglich in Prag und bei Klaus genießt er Wohlwollen.Doch ungeachtet dessen, wie der Machtkampf innerhalb der ODS ausgeht: Ein schwacher Topolanek als EU-Ratspräsident würde automatisch die Rolle von Klaus während des tschechischen Ratsvorsitzes stärken. Das kann in Brüssel niemanden freuen. Klaus ist in der EU mit seiner Meinung zu fast allen Grundsatzproblemen nicht annähernd mehrheitsfähig. Er ist aber auch nicht fähig, sich zu korrigieren. Die Kommentatorin der „Lidove noviny“ schreibt dazu: „Auf die Frage, weshalb Klaus ein Versagen seines eigenen Landes bei der EU-Ratspräsidentschaft riskiert, gibt es vor allem eine Antwort: Er will beweisen, dass er, und nur er, Recht hat.“
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