Kinos für Kommunen
Weil die staatliche Kinogesellschaft Rumäniens Kinos abgewirtschaftet hat, sollen nun die Kommunen die Häuser betreiben
(n-ost) – Es wäre seine zweite Jugend, wenn er im Kino „Orizont“ wieder Filme zeigen könnte, sagt der Filmvorführer Florin Marinescu. Er ist doppelt so alt wie das Kino, das vor 31 Jahren im Neubauviertel der rumänischen Stadt Calarasi gebaut wurde. Die meiste Zeit seines Lebens hat Marinescu in diesem Filmhaus verbracht – beseelt von vollen Kinosälen und leuchtenden Kinderaugen, begeistert von verbotenen Filmen, die er heimlich zeigte. Schon nach der Schule stürmten die Kinder in den Kinosaal, abends standen die Erwachsenen Schlange.
Filmvorführer Florin Marinescu vor „seinem“ Kino, das seit drei Jahren
nicht mehr bespielt wird. Foto: Dörthe Ziemer
Diese Zeiten sind lange vorbei. Seit drei Jahren ist das „Orizont“ geschlossen, zuvor dümpelte es ohne großes Publikum und ohne Einnahmen vor sich hin. Spinnweben haben sich zwischen den Projektoren ausgebreitet, der Gong für die Ankündigung des Filmbeginns ist defekt, die Filmplakate stammen aus den 80er-Jahren. Aktueller sind nur die Wahlplakate, die im Eingangsbereich hängen. Der Saal mit den braunen Holzklappstühlen wird heute zweimal pro Jahr für Wahlveranstaltungen genutzt, sonst steht er leer. In den Nebenräumen befinden sich eine Wechselstube und eine Kneipe. So geht es vielen Kinos in dem Land, dessen junge Filmemacher einen Filmpreis nach dem anderen einheimsen. „44 von 318 staatlichen Kinos im Land sind noch in Betrieb“, sagt András István Demeter, zuständiger Staatssekretär im Kulturministerium. „Die meisten davon sindin einem schlechten Zustand“. Bislang wurden sie durch die staatliche Kinogesellschaft RADEF Romania Film verwaltet. Und das mehr schlecht als recht, wie das Kultusministerium vor einem Jahr in einer Studie feststellte. Es wirft der RADEF schlechtes Management und Vermietung zu viel zu geringen Preisen vor. Außerdem soll der Zerfall hingenommen worden sein, um die Gebäude und Grundstücke für viel Geld verkaufen zu können.Nun sollen die Kommunen die staatlichen Kinos vor dem Zerfall retten. „Die zentrale Verwaltung durch die RADEF war ein Fehler“, sagt Staatssekretär Demeter. Das Land stehe vor einem traurigen Erbe – die meisten Kinos dürften nicht mehr so heißen, weil sie in Büchereien, Spielhöllen oder Restaurants verwandelt wurden. Das soll durch die nun angestrebte lokale Verwaltung anders werden. Der Kulturausschuss hat Ende September beschlossen, die Kinos den Kommunen kostenlos zu überlassen, wenn diese dort einen Filmbetrieb einrichten. Das Parlament muss noch zustimmen.Um den Spielbetrieb zu finanzieren, dürfen die Kommunen in den Lichtspielhäusern Restaurants, Büchereien oder Philharmonien einrichten, wichtig sei nur, so Demeter, dass der rumänische Film gefördert werde. Demeter: „Die Lokalbehörden sollen selbst Lösungen finden, um die Säle zu beleben. Sie wissen am besten, was vor Ort gebraucht wird. Sie können entscheiden, mit welchen Verleihen sie zusammenarbeiten.“ Doch was wie ein gefälliges Zugeständnis an die kommunale Selbstverwaltung aussieht, ist eine Last: Die Kommunen müssen neben dem Spielbetrieb Renovierung und Instandhaltung gewährleisten und die Personalkosten tragen. Wenn sie die Kinos übernehmen, verpflichten sie sich, diese mindestens 15 Jahre lang zu unterhalten. Woher das Geld kommen soll, ist unklar. Demeter spricht von Fonds, die die Kommunen einrichten sollen, und von der Einnahme durch Restaurants und ähnliches.
Der Kinosaal des „Orizont“ ist meistens leer – nur Wahlveranstaltungen
finden dort noch statt. Foto: Dörthe Ziemer
Filmvorführer Florin Marinescu hält diese Lösung für eine gute Idee. Im Kino auch andere Veranstaltungen anbieten zu können, bringe zusätzliches Geld. Außerdem gebe es, anders als in den 90er-Jahren, heute wieder ein an Kino-Filmen interessiertes Publikum. Doch Leute wie Marinescu oder sein Kollege Ion Coman haben vor allem während des Kommunismus Filme gezeigt. Wie das System der Filmverleihe heute funktioniert, wisse Marinescu nicht, sagt er.
Dabei ist das die zentrale Frage bei der Wiederbelebung der staatlichen Kinos: Woher bekommt man interessante Filme, welche werden nachgefragt, welche sind bezahlbar? Die Konkurrenz durch die privaten, auf Hollywood-Produktionen fokussierten Kinos ist stark. Sie haben sich mit jeweils mehreren Sälen in Einkaufszentren breit gemacht. „Die kommunalen Kinos müssen ihren Weg finden, die Konkurrenz zu den Privatkinos zu bestehen“, sagt Staatssekretär Demeter und versucht, den Satz wie einen Ansporn klingen lassen. Dieser Aufforderung nachzukommen, dürfte allerdings eine Quadratur des Kreises werden. Denn das rumänische Publikum ist längst vom Kino entwöhnt, glaubt der rumänische Regisseur und Cannes-Preisträger Corneliu Porumboiu („A fost sau n-a fost?“, in Deutschland gelaufen unter „12:08 East of Bucharest“). „Es gibt keine rumänische Kinematografie, keine Traditionen und nur einen kleinen Markt“, sagt er. Hinzu kommen der Schwarzmarkt mit Raubkopien und das Fernsehangebot, die dafür sorgen, dass die Menschen nicht ins Kino gehen.
Der Regisseur Corneliu Porumboiu gewann
2006 in Cannes den Preis für den besten
Erstlingsfilm „A fost sau n-a fost?“
Foto: Dörthe Ziemer
„Heute bekommt man für den Preis einer Kinokarte -zig Sender per Kabel ins Haus“, sagte der Regisseur Cristian Mungiu, 2007 in einem Zeitungsinterview. Für sein Drama „4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage“ hat er vor einem Jahr den Europäischen Filmpreis und zuvor die Goldene Palme in Cannes gewonnen. „Wir haben nach der Wende förmlich einen Unterhaltungsschock erlitten. Und je mehr Unterhaltungsoptionen es gibt, desto weniger Publikum bleibt fürs Kino.“ Vor 1989 sei man in Rumänien ins Kino gegangen, weil es keine anderen Unterhaltungsangebote gab. Mungiu ist mit seinem Film durch Rumänien gezogen und hat ihn dort gezeigt, wo die Kinos eigentlich längst geschlossen sind. Es sei deprimierend, so Mungiu, kein Publikum zu haben – egal ob mit oder ohne Preisen. Genauso sieht es Porumboiu: Die wenigen rumänischen Filmemacher seien froh, wenn sie ein paar Tausend Zuschauer haben. Seinen preisgekrönten Film haben in Rumänien 14.000 Menschen gesehen. Immerhin wurde der Film im nationalen Fernsehen gezeigt.Von einem Aufschwung in den staatlichen rumänischen Kinos träumt auch Filmvorführer Marinescu. Und von einer erneuten Festanstellung in seinem Kino „Orizont“. Ob die Geräte überhaupt noch funktionieren, weiß er nicht. Aber er hat sich schon überlegt, welchen Film er bei der Neueröffnung als ersten zeigen würde: „Die zwei Waisen“, ein amerikanisches Drama über die Zeit der Französischen Revolution aus dem Jahr 1921. „Man muss mit dem rechten Fuß beginnen“, sagt er, „um das Publikum wieder anzulocken.“
ENDE
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