"Baltische Filme ohne eigenes Labor" / Interview mit Laila Pakalnina
ostpol: Frau Pakalnina, Ihren ersten Film, das dokumentarische Werk „And“, haben Sie 1987 gedreht. War es unter dem Sowjetregime nicht schwierig, Dokumentarfilme zu drehen?
Pakalnina: „And“ zeigt die ersten Augenblicke, in denen die Letten Ende der 80er Jahre ihre Unabhängigkeit fordern. Die Miliz prügelt auf die Demonstranten ein und wir stehen da und nehmen das Ganze auf. Als ich noch an der Moskauer Filmhochschule war und die Unabhängigkeitsdemonstrationen begannen, hatte ich das Gefühl, dass ich meine eigenen Filmideen hinten anstellen muss. Zwischenzeitlich war ich die einzige, die all diese Vorgänge gefilmt hat. Es gab ja nur einige Kameras, die entweder dem Staatsfernsehen oder dem KGB gehörten.
Die Regisseurin Laila Pakalnina gilt als wichtigste Regisseurin Lettlands. Im Ausland kennen sie meist nur Cineasten / Barbara Breuer, n-ost
Wie sind Sie vorgegangen?
Pakalnina: Ich habe meine Lehrer an der Filmhochschule um ein Schreiben gebeten. Sie haben darin um Unterstützung für mich beim Dreh eines Films gebeten, der vom Nationalismus in Lettland handeln sollte. Es war ja nationalistisch, in der Sowjetunion Freiheit zu fordern. Der KGB hat uns mehrfach gestoppt. Aber sobald wir die Drehgenehmigung aus Moskau zeigten, erlaubten sie mir, alles zu filmen.
Erklären Sie uns bitte den Titel des Films.„And“ stammt von einem lettischen Freiheitsmonument in Riga, das noch aus der Gründungszeit der Republik stammt. Darauf steht „Vaterland und Freiheit“. Ich aber hatte immer das Gefühl, dass es in der Sowjetunion weder Vaterland noch Freiheit gab. Alles, was von den Gründungsidealen unserer Nation übrig geblieben war, war das „Und“.
Wie haben sich die Filmschaffenden nach dem Ende des Kommunismus mit dem Zusammenbruch ihrer Industrie arrangiert?
Die sowjetisch-lettische Filmindustrie lag völlig am Boden. In den Studios fanden plötzlich Autoausstellungen statt. Die Mitarbeiter der Studios wussten nicht, wie sie in der Marktwirtschaft Filme drehen und davon leben sollten. Die meisten Regisseure haben sich nach fünf Jahren gefangen. Techniker oder Schnittmeister aber konnten sich wegen der geringen Zahl der Projekte nicht von ihrer Arbeit ernähren und sind in andere Branchen abgewandert.
Die Regierung in Lettland unterstützt das Kino mit etwa 2,5 Millionen Euro pro Jahr und nach dem Beitritt der baltischen Länder zur EU gibt es auch Geld aus Brüssel. Trotzdem bleibt die Infrastruktur in Ihrer Heimat zweitklassig.
Das stimmt. Bei uns gibt es keine Postproduktionsmöglichkeiten. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es sie je geben wird, weil man mit ein paar Produktionen pro Jahr bei uns kaum von einer echten Filmbranche sprechen kann. Was in allen drei baltischen Staaten wirklich fehlt, ist ein Labor, in dem wir Filme entwickeln lassen können. Die Esten fahren dafür nach Finnland und die Litauer nach Warschau. Ich schicke mein Material in die Prager Barrandov-Studios.
Viele Ihrer Filme sind in schwarz-weiß gedreht. Warum?
Ich bin einer Meinung mit dem Kameramann Henri Alekan („Der Himmel über Berlin“). Er sagt, dass Schwarz-weiß noch mehr Farbvielfalt bietet als ein Buntfilm. Zwischen Schwarz und Weiß gibt es sehr viele Grautöne. Durch den Minimalismus der Farben konzentrieren sich die Zuschauer außerdem mehr auf die Bewegungen und die Gesamtkomposition.
Sie sagen, dass sich weltweit immer mehr Regisseure verpflichtet fühlen, Filme zu drehen, die ein breites Publikum mag. Sie selbst versuchen aber, sich davon zu lösen.
Filme zu machen ist für mich eine Kunst. Und Kunst ist immer riskant, weil nicht jeder dieselbe Art von Kunst mag.
Kooperieren Sie mit Filmschaffenden aus Estland und Litauen?
Ja, aber das ist keine Frage der Nachbarschaft, sondern eher eine Folge dessen, dass wir gemeinsam an der Filmhochschule in Moskau studiert haben. Zwei meiner Filme wurden von Estland koproduziert, der Kameramann war ein früherer estnischer Kommilitone. Aber es gibt auch neue Kontakte. So schneide ich meine Filme bevorzugt in Tallinn mit einem jungen estnischen Cutter. Er ist sehr fit am Rechner. Das imponiert mir.
Laila Pakalnina wurde am 4. Juni 1962 im lettischen Ort Liepaja geboren. Aufgewachsen in Riga, studierte sie später an der Moskauer Universität, zunächst Fernsehjournalismus und anschließend Regie. In ihrer Heimat wird Pakalnina als Vertreterin einer neuen Welle des Dokumentarkinos gefeiert: Ihre Filme zeichnen sich durch eine stille Ästhetik aus und eine Dramaturgie, die die Zeit verlangsamt. Sie verzichtet oft auf Farben und widmet sich gern dem Unscheinbaren und Alltäglichen. Ihr Hauptinteresse gilt der Atmosphäre, den Bildern, den Geräuschen.
Trotz vieler Preise verdient die verheiratete Mutter zweier Kinder ihren Lebensunterhalt nicht mit dem Filmemachen: Sie ist Produzentin, schreibt Drehbücher und arbeitet zudem seit acht Jahren als Kolumnistin für die lettische Tageszeitung „Diena“.
Die international bekannteste Regisseurin Lettlands hat bisher drei Spiel-, fünf Kurz- und 18 Dokumentarfilme gedreht. Ihr jüngster Dokumentarfilm „Drei Männer und ein Fischteich“ wurde gerade auf der Dokfilmwoche in Leipzig gezeigt und ist ab Dienstag auf dem 18. Cottbuser Filmfestival zu sehen.
Sie sind die bekannteste lettische Regisseurin. Trotzdem kennen Sie außerhalb Ihrer Heimat oft nur Cineasten. Wieso haben es osteuropäische Filme international so schwer?
Das Problem ist nicht so sehr die osteuropäische Herkunft, sondern der europäische Filmvertrieb. In Lettland kann man Filme aus Hollywood und Lettland sehen, aber so gut wie keine aus dem anderen Europa, egal ob west- oder osteuropäisch. Einige Länder, wie die Niederlande, machen das besser. Dort kommen unabhängige Produktionen auf die Leinwand, obwohl sie kaum Gewinn bringen.
In Lettland sind 1980 noch 35 Millionen Kinokarten verkauft worden. 1996 war es nur noch eine Million. Liegt das am Kartenpreis?
Wahrscheinlich. Zu Sowjetzeiten hat der Eintritt ins Kino halb so viel gekostet wie eine Tasse Kaffee. Heute muss man umgerechnet mehr als sieben Euro bezahlen, bei einem Durchschnittsverdienst von etwa 500 Euro. Zudem sind die meisten Vorstellungen auf den Geschmack junger Leute ausgerichtet, die das Geld fürs Kino haben.
Ihre Kollegin Antra Cilinska hat einen Film über in Lettland lebende Russen gedreht, die sich als bedrohte Minderheit fühlen. Können sich Balten und Russen aussöhnen?
Bei den Kindern ist keine Aussöhnung nötig. Sie gehen zusammen in den Kindergarten und sprechen dieselbe Sprache. Schwierig wird es später, wenn Politiker versuchen, sie für sich einzunehmen. Soweit ich es verstehe, will Russland nicht, dass die Russen hier in einer freundlichen Atmosphäre leben und für ein unabhängiges Lettland sind. Als Russland Georgien besetzt hat, hat uns das sehr verunsichert. Wir liegen geografisch nahe an einem Land, dessen Handeln unvorhersehbar ist.
Im Cottbuser „Fokus“ laufen diesmal auch zwei lettische Produktionen: Janis Nords Debüt „Amateur“ zeigt die Konflikte junger Menschen in Riga aus der Perspektive eines Drogendealers. „Monotonie“ von Juris Poschkus erzählt die Geschichte einer Lettin, die ein neues Leben in der Hauptstadt beginnen will. Würden Sie einen der Filme empfehlen?
Leider kenne ich nur den Letztgenannten. „Monotonie“ sollten die Zuschauer nicht verpassen. Der Film ist trotz seiner Dramatik ein wenig selbstironisch und mit einem Lächeln auf den Lippen gedreht. Poschkus ist ein bekannter Dokumentarfilmer, der damit ein sehr erfolgreiches Spielfilmdebüt abgeliefert hat.
Sie selbst haben 1998 in Cottbus Ihren Spielfilm „Der Schuh“ und 2003 „Die Python“ präsentiert. Was hat Ihnen am Filmfestival gefallen?
Auch wenn es ein bisschen absurd klingt, kann ich mich vor allem an Cottbus als einen Ort erinnern, an dem ich selbst osteuropäische Filme gucken konnte. Nicht einmal in Riga ist es möglich, so viele baltische oder russische Produktionen zu sehen wie dort.