SCHÄRFSTES PÄDOPHILIE-GESETZ IN EUROPA
Polen diskutiert über einen Gesetzentwurf der polnischen Regierung gegen Kinderschänder(n-ost) - Anfang September löste ein grausamer Inzest-Fall in Polen Empörung aus. Grodzisk, ein kleiner Ort im Osten des Landes wurde zum Inbegriff des Unmenschlichen. Ein 45-jähriger Mann, der so genannte "polnische Fritzl" vergewaltigte dort sechs Jahre lang seine eigene Tochter und zeugte zwei Söhne mit ihr. Weil ihr Vater und Vergewaltiger es so wollte, ließ die junge Mutter die beiden Kinder jeweils gleich nach der Geburt im Krankenhaus. Erst im September ging die 21-jährige Frau zur Polizei und brachte so das Drama ans Tageslicht."Ich will die Einführung der chemischen Kastration beschleunigen", kündigte kurz darauf der polnische Regierungschef Donald Tusk an und fügte hinzu: "Es soll eine Zwangstherapie werden." Seine - von manchen als populistisch gewerteten - Aussagen finden Zuspruch in der polnischen Bevölkerung: Bis zu 85 Prozent der Befragten stimmten in Umfragen dem Vorschlag ihres Premierministers zu. Tusk, der selbst das Präsidentenamt anstrebt, ging noch weiter und sagte auf dem Höhepunkt der öffentlichen Empörung: "Ein Pädophiler ist kein Mensch, sondern eine Kreatur."Doch nicht allen Polen gefällt dieser Ton, und die Pläne der Regierung gefallen einigen erst recht nicht. Vor allem Verfassungsrechtler stolpern darüber, was Tusk vorschwebt. Marek Chmaj, ein Warschauer Anwalt behauptet sogar, die Änderungen im Gesetz seien mit der polnischen Verfassung nicht vereinbar, da sie die Menschenwürde verletzten. "Diese Ideen stoßen zwar auf ein breites gesellschaftliches Echo, weil sie den Leuten ein Gefühl der Sicherheit geben", erklärt er, "doch der Artikel 40 unserer Verfassung verbietet körperliche Strafen und die chemische Kastration wäre so eine."Ausdrücklich ist in dem Gesetzentwurf zwar nicht mehr von "chemischer Zwangskastration" die Rede. Vielmehr sollen Täter, die Minderjährige missbraucht haben, nach ihrer Entlassung aus dem Gefängis obligatorisch mit Medikamenten zur Senkung des Geschlechtstriebs behandelt werden. Sexualstraftäter, die dies ablehnten, sollen in eine geschlossene Anstalt eingewiesen werden. Die Bedenken von Verfassungsrechtlern wie Marek Chmaj entspringen der Annahme, auch eine solche hormonelle Behandlung könnte dauerhafte körperliche Folgen für die Straftäter haben. Je nach Dosierung könnten manche Männer quasi tatsächlich "kastriert" werden.Die polnische Regierung sieht derzeit keine Alternative zu dem Entwurf. Sie betont allerdings, die Therapie von Sexualstraftätern würde sich nicht auf die hormonelle Behandlung beschränken, sondern von einer psychologischen oder psychiatrischen Therapie begleitet werden. Dies sähe auch der neue Gesetzentwurf vor, sagte Zbigniew Wrona, der stellvertretende Justizminister Polens. Er hofft, dass das Gesetz noch in diesem Jahr verabschiedet wird und schon ab Januar in Kraft tritt.Das hoffen auch polnische Sexualmediziner, die einen akuten Handlungsbedarf bei Pädophilen sehen. Es fehle an Infrastruktur und an Spezialisten, beklagt der polnische Papst der Sexualwissenschaften, Zbigniew Lew-Starowicz. Er ist nach eigenen Angaben einer von nur 15 Medizinern landesweit, die sich auf die Therapie von Pädophilen spezialisiert haben. Dabei kommt Kindesmissbrauch in Polen ebenso häufig vor wie in anderen europäischen Ländern."Wenn ein Pädophiler das Gefängnis verlässt, bleibt er eigentlich sich selbst überlassen", sagt Lew-Starowicz. Es gäbe so gut wie keine Stellen, wo sich Menschen mit einer pädophilen Neigung behandeln lassen könnten. "Wenn jemand zu mir kommt und sich freiwillig einer Therapie unterziehen will, muss er alles aus eigener Tasche bezahlen, die psychologische Behandlung und die Medikamente, denn es ist keine Leistung für die Krankenkasse", sagt der Sexualmediziner, der für mehr Verantwortung des Staates plädiert.Genau das würde das neue Gesetz ändern, weil der Staat dadurch verpflichtet wäre, die entsprechende Infrastruktur aufzubauen, hofft Lew-Starowicz. An einer Warschauer Hochschule hat er bereits vor vier Jahren einen Studiengang mit dem Schwerpunkt "Therapie für Pädophile" ins Leben gerufen. Im nächsten Jahr kämen die ersten 40 Absolventen auf den Arbeitsmarkt, die dann über das nötige Wissen verfügten.Polen ist nicht das einzige Land, das im Moment versucht, seine Gesetzgebung im Bereich des Kindesmissbrauchs zu verschärfen. Auch in anderen europäischen Ländern wird überlegt, wie mit pädophilen Straftätern umzugehen ist. Wie die spanische Tageszeitung El Mundo berichtete, will auch Spanien seine diesbezüglichen Strafgesetze ändern. Im Gespräch ist demnach, Kinderschänder nach verbüßter Haftstrafe weitere zwanzig Jahre unter Aufsicht zu behalten und sie durch ein elektronisches Armband zu kontrollieren. Diese Maßnahmen werden auch in Polen diskutiert, genau wie Spanien ebenfalls über die chemische Kastration nachdenkt.In Deutschland hingegen wird derzeit vor allem auf Vorsorge gesetzt, etwa in der Berliner Charité, wo sich pädophile Männer in einem Pilotprojekt einer freiwilligen Therapie unterziehen können. Diskussionen wie derzeit in Polen haben in Deutschland längst stattgefunden. Vor allem nach einem Pädophilie-Fall aus den 70er Jahren, als ein Täter vier Kinder vergewaltigt und getötet hatte und sich anschließend freiwillig einer chirurgischen Kastration unterzog. Der Patient, Jürgen Bartsch, starb damals noch auf dem Operationstisch, weil ihm Krankenpfleger eine zehnfache Überdosis an Narkosemittel verabreichten. Heute haben verurteilte Pädophile in Deutschland durchaus eine Alternative zur Haftstrafe. Wenn Experten es für vertretbar halten, können sich Straftäter einer freiwilligen Hormonbehandlung unterziehen und die Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt.Der Unterschied zu dem geplanten Gesetz in Polen liegt darin, dass polnische Straftäter ihre Haftstrafe in jedem Fall verbüßen sollen und mit einer erneuten Gefängnisstrafe rechnen müssen, wenn sie sich im Anschluss der Therapie verweigern. Darüber, wer sich wie lange psychiatrisch und hormonell behandeln lassen müsste, sollen Gerichte und Sexualmediziner gemeinsam entscheiden. Dazu will die Regierung spezielle Mittel zur Verfügung stellen: In einem Sonderprogramm sollen künftig Justiz- und Gesundheitsministerium zusammenarbeiten.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0