Usbekistan

Fragwürdige Annäherung

Die Deutschland-Reise des usbekischen Geheimdienstchefs Rustam Inojatow in der vergangenen Woche sorgte nicht nur unter Menschenrechtlern für Empörung. Bereits Mitte Oktober hatte die EU Sanktionen gegen das zentralasiatische Land gelockert und Einreisebeschränkungen gegen hohe usbekische Beamte aufgehoben. Die Sanktionen waren inkraft, seit Sicherheitskräfte im Mai 2005 in Andischan auf Demonstranten geschossen und dabei vermutlich mehr als 700 Menschen getötet hatten.

Schon vor einem Jahr, im Oktober 2007, hob die EU die Reisebeschränkungen für einen Teil der usbekischen Minister und Beamten für sechs Monate auf. Im Mai 2008 wurden sie jedoch wieder verlängert, um nun am 13. Oktober endgültig aufgehoben zu werden. Das Waffenembargo bleibt weiterhin auf unbestimmte Zeit inkraft, denn es besteht nach wie vor die Befürchtung, Usbekistan könnte in Europa gekaufte Waffen erneut gegen die eigene Bevölkerung einsetzen.

Die Sanktionen gegen Usbekistan hatte Brüssel am 14. Dezember 2005 verhängt, weil die Regierung in Taschkent sich weiterte, die Ereignisse in Andischan durch eine internationale Kommission untersuchen zu lassen. Nach offiziellen Angaben erschossen usbekische Soldaten bei der Niederschlagung der Demonstration 187 Menschen. Menschenrechtler sprechen sogar von 700 Toten.

Im von den USA erklärten „Kampf gegen den Terrorismus“ war Usbekistan allerdings von Anfang an einer der wichtigsten Partner Washingtons. Zunächst vermietete die usbekische Regierung den früheren sowjetischen Militärflughafen in Karschi-Chanabad nahe der afghanischen Grenze an die US-Amerikaner. Usbekistan verließ außerdem die pro-russischen Organisationen Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), die Organisation des Vertrages der Kollektiven Sicherheit (OVKS) und die Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft (EAWG) und trat stattdessen der pro-westlichen Organisation GUUAM (Georgien, Ukraine, Usbekistan, Aserbaidschan und Moldawien) bei.

Trotz allem entwickelten sich die amerikanisch-usbekischen Verhältnisse nicht immer problemlos. Die usbekische Journalistin, Expertin der Internet-Zeitung Ferghana.ru, Sanubar Scharamatowa, erklärt das so: Ungeachtet der Entwicklung der partnerschaftlichen Verhältnisse zwischen Taschkent und Washington würde der usbekische Präsident Islam Karimow vom US-Kongress und von internationalen Organisationen wegen der schwierigen Menschenrechtslage kritisiert. Umgekehrt hätten sich Karimows Erwartungen angesichts der US-Investitionen nicht erfüllt: Im Westen hatte man Usbekistan als instabil befunden.

Die „farbigen“ Revolutionen in Georgien, in der Ukraine und besonders im benachbarten Kirgistan belasteten die usbekisch-amerikanischen Verhältnisse zusätzlich. Karimow vermutete Washington als Urheber dieser Umwälzungen und unterstellte den US-Amerikanern, letztendlich auch ihn stürzen zu wollen. Als die Organisation „Akromijja“ im Mai 2005 in Andischan Demonstrationen organisierte, hielten die usbekischen Machthaber das für den Anfang der „orangen Revolution auf usbekisch“. Doch hinter „Akromijja“, einer weitgehend friedlichen Organisation, standen religiös beeinflusste Geschäftsleute aus der Region, die mit der Politik Karimows unzufrieden waren. Dass eine so kleine Organisation den Präsidenten tatsächlich hätte stürzen können, ist sehr unwahrscheinlich. Trotzdem gab Karimow seiner Armee am 13. Mai 2005 den Befehl, auf die Demonstranten in Andischan zu schießen.

Karimow ignorierte die Forderungen der USA, der EU und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), das Geschehen in Andischan gemeinsam zu untersuchen und suchte nach neuen außenpolitischen Partnern. Ende Mai vereinbarte er mit China Investitionen in Usbekistan von insgesamt 1,5 Milliarden US-Dollar. Im Juli 2005 stellte er Washington ein Ultimatum: Binnen 180 Tagen sollten die Amerikaner den usbekischen Flughafen in Karschi-Chanabad verlassen. Überraschenderweise konnte Washington solcher Entschlossenheit des usbekischen Präsidenten nichts entgegenhalten und musste seine Streitkräfte und Flugzeuge ins kirgisische Manas verlegen.


HINTERGRUND ZUR USBEKISCHEN GESCHICHTE SEIT 1991

Nach ersten wirtschaftlichen Fortschritten Usbekistans Anfang der 90er Jahre folgte eine Krise und in kurzer Zeit eine Verarmung breiter Bevölkerungsschichten. Extremistische islamistische Ideen und traditionelle Strömungen des Islam erhielten dadurch entschiedenen Aufwind. Bald kam es zum Konflikt zwischen der demokratischen Opposition und dem letzten kommunistischen Führer und ersten Präsidenten Usbekistans, Islam Karimow. Er befürchtete, die Demokraten könnten mithilfe religiös orientierter Gruppen die Macht übernehmen.

Die USA und Russland, beide interessiert an politischer Stabilität in der Region, und sahen Karimow von Anfang an als Partner im „Kampf gegen den Terrorismus“. Karimow verstand es, diese Unterstützung innenpolitisch gegen seine Gegner aus dem demokratischen Lager zu nutzen. Als im Februar 1999 mehrere Terroranschläge Taschkent erschütterten, machten die Behörden unter anderem die Demokraten dafür verantwortlich.

Danach begann die Regierung, zahlreiche Regimegegner, darunter nicht nur extreme Islamisten, zu verhaften. Weitere Terroranschläge im Frühjahr 2004 in verschiedenen Städten Usbekistans stürzten das Land noch mehr ins Chaos. Für sie wurden vor allem die Organisationen „Islamische Bewegung Usbekistans“ und Hisb-ut-Tahrir“ verantwortlich gemacht. Die „Islamische Bewegung Usbekistans“ verfolgte das Ziel, in Usbekistan und ganz Zentralasien mit Gewalt einen Gottesstaat zu errichten. Im Gegensatz dazu ist die internationale islamistische Organisation „Hisb-ut-Tahrir“ eher eine politische Bewegung, obwohl auch sie das Ziel hat, das historische Kalifat wiederherzustellen.

In den vergangenen Jahren wurden wieder tausende Anhänger dieser Organisationen, oft Unschuldige, sowie viele Journalisten und Menschenrechtler festgenommen und ohne ein ordentliches Gerichtsverfahren ins Gefängnis gebracht. Karimow baute im Kampf gegen verdächtige Islamisten und andere politische Gegner ein grausames Verfolgungssystem auf, das an die Methoden des Stalinismus erinnert. Für die Probleme des Landes präsentierte er jedoch keine realistischen Lösungen. Immer mehr Menschen schlossen sich daher den Islamisten an. Heute ist Usbekistan zerrieben in den Machtkämpfen zwischen postkommunistischen Kräften und religiösen Extremisten.



Moskau und Peking unterstützten Karimow bei seiner neuen, antiwestlichen Politik. Nacheinander trat Usbekistan den stark von Russland geprägten Organisationen SOZ, EAWG und OVKS wieder bei, die es nur wenige Jahre zuvor verlassen hatte. Die Ereignisse von Andischan interpretierte Karimow auf eine ganz eigene Weise: Polizei und Staatsanwaltschaft zwangen die Verdächtigen unter Folter zu dem Geständnis, sie hätten Geld von der US-Botschaft in Taschkent erhalten, um die „konstitutionelle Ordnung in Usbekistan zu zerstören“. Die Staatsspitze verbot die Tätigkeit mehrerer Menschenrechtsorganisationen in Usbekistan, darunter Human Rights Watch und Freedom House. Eine neue Welle der Repression gegen usbekische Journalisten und Menschenrechtler begann.

Damals schien es, als sei der Konflikt zwischen Karimow und dem Westen nicht mehr zu lösen. Doch gänzlich wollten westliche Länder ihren Einfluss in den rohstoffreichen Ländern Zentralasien nicht aufgeben. Am stärksten bemühten sich deutsche Politiker um ein gutes Verhältnis. Mehrere Reisen von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und seine wiederholte Forderung, die Sanktionen gegen Taschkent zu aufzuweichen, hatten Erfolg. Seit 2007 zeigt sich das usbekische Staatsoberhaupt dem Westen gegenüber wieder wohlwollender. Obwohl Karimow eine internationale Untersuchung der Ereignisse von Andischan im Mai 2005 weiterhin ablehnt, ließ er in den vergangenen Monaten mehrere Menschenrechtler und Journalisten frei.

„Die NATO begrüßt die Bereitschaft Usbekistans, seinen Flughafen in Chanabad wieder von der Allianz nutzen zu lassen“, sagte der Sondervertreter der NATO für den Südkaukasus und Zentralasien, Robert Simmons im Frühjahr 2008. Deutschland unterhält zudem im usbekischen Termes einen Stützpunkt für seine in Afghanistan kämpfenden deutschen Soldaten.Die USA und die EU hoffen nun – trotz nach wie vor schlechter Menschenrechtslange – darauf, dass sich die Beziehungen zu Taschkent verbessern. Karimow indes will auch Moskau und Peking weiter als Partner behalten. Manche Experten nennen das die Vielfältigkeit seiner jüngsten Politik.


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