MILAN KUNDERA BLEIBT UNTER BESCHUSS
Die tschechische Wochenzeitung Respekt beharrt auf ihren Spitzelvorwürfen gegen den weltbekannten Autor(n-ost) - Als die tschechische Gauck-Behörde und die investigative Wochenzeitung Respekt vor reichlich zwei Wochen den "Fall Kundera" öffentlich gemacht hatten, stockte den Tschechen der Atem. Kundera, der erfolgreichste Autor mit tschechischen Wurzeln ("Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins") soll 1950 im stalinistischen Prag einen Westagenten ans Messer geliefert haben. Der musste in der Folge 14 Jahre in einem Uranbergwerk schuften.Was sich seither abspielt, ist bemerkenswert. Es wirft einen Blick auf die Bereitschaft der Tschechen, sich mit ihrer eigenen Geschichte zu befassen. Zu Dutzenden fanden sich Verteidiger Kunderas. Der prominenteste war der frühere langjährige Präsident Vaclav Havel: "Milan, steh über den Dingen. Es gibt Schlimmeres, als von der Presse geschmäht zu werden", schrieb der Ex-Staatschef in einem Kommentar. Darin ermahnte Havel zugleich die jungen Historiker seines Landes, bei der Aufarbeitung der Geschichte vorsichtig zu sein.Was hatte die tschechische Gauck-Behörde getan? Sie hatte einen Vermerk der Polizei veröffentlicht, aus dem hervorgegangen war, dass Kundera 1950 als Student den Westagenten Miroslav Dvoracek angezeigt hatte.Nach einer kurzen Atemepause meldeten sich vor allem die Intellektuellen Tschechiens zuhauf zu Wort. Nahezu einhellig bestritten sie den Vorwurf - ohne ihn wirklich widerlegen zu können. Auch Politiker schalteten sich ein: nicht nur die aus dem linken Spektrum klagten Respekt und die Behörde an. Auch einflussreiche Leute aus dem bürgerlichen Regierungslager schossen sich auf die Gauck-Behörde ein. Tenor: die müsse weg.Martin M. Simecka, Chefredakteur von Respekt, bleibt ungeachtet der Kampagne gegen sein Blatt und die Prager Gauck-Behörde bei den Vorwürfen. Im Gespräch mit dieser Zeitung schloss er am Mittwoch auch eine Entschuldigung des Magazins gegenüber Kundera "mit hoher Wahrscheinlichkeit" aus: "Wir sind von der Echtheit des Polizeidokuments überzeugt, das Kundera belastet."Simecka zeigte sich überrascht von der Reaktion Kunderas auf den schweren Vorwurf: "Ich dachte, Kundera wird schweigen, wie fast immer. Oder er würde einräumen, dass da vor vielen Jahren etwas gewesen sei, an das er sich aber nicht mehr richtig erinnern könne. Und dass es ihm leid täte, wenn er sich damals falsch verhalten habe. Doch seine Aussagen im Interview mit der Nachrichtenagentur CTK waren sehr dürftig." Kundera hatte in jenem Interview von einem "Attentat auf einen Autor" gesprochen und jeden gegen ihn geäußerten Verdacht energisch zurück gewiesen. Er sei zudem völlig von den Vorwürfen überrascht worden.Dass sich die tschechische Debatte jetzt gegen Respekt und die Prager Gauck-Behörde wendet, verwundert den Chefredakteur von Respekt nicht sonderlich: "Hier wird jetzt ein Stellvertreterkrieg geführt gegen uns. Wir werden zum Feind abgestempelt. Und im selben Zug ergreift man Partei für Kundera." In der Debatte meldeten sich vor allem solche Leute zu Wort, die in der Zeit des Stalinismus nicht sauber geblieben seien, die später zu den tschechischen 68ern gehörten und teilweise zu Dissidenten wurden und meinen, damit ihre früheren möglichen Vefehlungen wiedergutgemacht zu haben. "Das hat nicht nur mit Kundera zu tun, sondern ist eine generelle Verteidigungsstrategie unserer betroffenen Intellektuellen", fügte Simecka hinzu.Besteht die Gefahr, dass die Debatte dazu führt, prinzipiell die Aufarbeitung der eigenen Geschichte infrage zu stellen? "In Tschechien ist die Bereitschaft höher als in anderen mittelosteuropäischen Ländern, sich den Spiegel vorzuhalten, sagt Simecka. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen etwa leistet hier Beispielhaftes. Bei den Politikern sieht es ein bisschen anders aus. Vor allem dann, wenn es um heikle Dinge im Zusammenhang mit wichtigen Persönlichkeiten geht, wie Kundera." Es sei tatsächlich zu befürchten, dass sich die Angriffe der in Tschechien oppositionellen Linken gegen die Prager Gauck-Behörde verstärken. Gefährlich werde es, wenn sich auch Leute aus dem Regierungslager dieser Meinung anschlössen. "Doch diese Angriffe sind nicht neu. Und die Behörde wird dies hoffentlich überleben", gibt sich Simecka optimistisch.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0