Tschechien

Kopflos an die EU-Spitze

Tschechien droht im ersten Halbjahr 2009 innenpolitische Instabilität(n-ost) – Gut zwei Monate vor Beginn der EU-Ratspräsidentschaft Tschechiens ist völlig offen, wer das Land und damit im ersten Halbjahr 2009 auch Europa führen wird. Die Verluste seiner Partei ODS bei den Senats- und Regionalwahlen an den vergangenen beiden Wochenenden haben Partei- und Regierungschef Mirek Topolanek in Bedrängnis gebracht. Zwar sind die Stimmenverhältnisse im Parlament unverändert, trotzdem droht die Regierung auseinander zu fallen. Denn Topolanek bekommt vor allem Druck aus der eigenen Partei. Im Schatten des Wahldebakels ist ein offener Konflikt zwischen Topolanek und dem früheren Parteichef und jetzigen Staatspräsidenten Vaclav Klaus ausgebrochen. Hinter den Kulissen bringt sich mit dem Prager Oberbürgermeister Pavel Bem bereits ein Nachfolger in Stellung.Vor allem Vaclav Klaus kommt die instabile politische Situation entgegen. Denn bei einem Regierungswechsel steht es ganz in seinem Ermessen, wen er als Premierminister mit der Regierungsbildung beauftragt. Klaus, der aus seinen außenpolitischen Ambitionen kein Hehl macht und als Europaskeptiker bekannt ist, wird von Beobachtern zugetraut, einen schwachen Kandidaten zu wählen, der dem Präsidenten genug Raum lässt, die Europäische Union in seinem Sinne zu führen. In Zeiten der Finanzkrise und des unklaren Schicksals des Vertrags von Lissabon hat Klaus allerdings sehr beunruhigende Vorstellungen von der Ratspräsidentschaft. „Da wird doch nur Demokratie gespielt. Das ist kein Prestige für ein Land, sondern nur für ein paar Politiker. Für die Menschen in Tschechien, Frankreich, Spanien und Finnland dagegen ist die Präsidentschaft nicht wesentlich“, äußerte sich Klaus am Sonntag im tschechischen Fernsehen und legte gleich nach: „Den Vertrag von Lissabon halte ich für einen tragischen Irrtum.“Tschechien ist neben Schweden das einzige Land, in dem der Ratifizierungsprozess noch nicht begonnen hat. Noch vor dem Nein der Iren im Juni dieses Jahres wurde der Vertrag vom Senat an das Verfassungsgericht verwiesen, um dessen Vereinbarkeit mit der Verfassung zu überprüfen. Die Europaskepsis nicht nur von Präsident Klaus, sondern auch weiten Teilen der ODS ist ein offenes Geheimnis. Schlimmer ist, dass es in Tschechien keinen Politiker von Rang gibt, der offensiv europafreundlich gesinnt wäre. Inzwischen ist die Ratifizierung des Vertrags durch die aktuellen Stimmengewinne der traditionell europafreundlicheren Sozialdemokraten im Senat noch in diesem Jahr wahrscheinlicher geworden.Wer im kommenden Halbjahr die EU führen wird, entscheidet sich voraussichtlich Anfang Dezember. Dann wird der Vorsitz der ODS neu gewählt. Europa muss sich auf drei Szenarien gefasst machen: Die derzeitige Regierung bleibt im Amt, Premier Topolanek aber gibt nach dem Vorbild Gerhard Schröders den Parteivorsitz ab. Die zweite Möglichkeit sieht die Bildung einer so genannten Regierung der Experten vor. Diese wäre zwar politisch schwach, könnte sich aber auf eine breitere politische Mehrheit stützen. Die dritte und unwahrscheinlichste Variante ist eine große Koalition aus ODS und Sozialdemokraten.Nach außen gibt sich das offizielle Prag weiter selbstbewusst und weist Befürchtungen zurück. „Die Vorbereitungen für die Ratspräsidentschaft laufen auf Hochtouren“, versichert Europaminister Alexander Vondra. Tschechien will Barrieren abbauen und verweist auf seine Expertise im Umgang mit Russland. Aber selbst Vondra warnt, dass die innenpolitischen Erschütterungen Tschechiens internationale Position nicht beeinträchtigen dürfen. Sonst kann es passieren, dass der umstrittene Slogan, mit dem die Regierung in Tschechien für die Präsidentschaft wirbt, tatsächlich nach hinten losgeht. „Wir werden es Europa versüßen“ klingt in den Ohren vieler Tschechen eher nach „Wir werden Europa die Suppe versalzen“.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0


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