KEIN FOTO FÜRS FAMILIENALBUM
Die tschechische Stadt Chomutov kämpft mit unkonventionellen Mitteln gegen den Straßenstrich(n-ost) – Eigentlich ist Chomutov eine ganz normale böhmische Stadt. Wenn da nicht diese Frauen an der Straße wären. „Bereits am Morgen stehen die ersten und winken. Sie bleiben bis in die Nacht“, beklagt sich Rudolf Kozak, der Vorsitzende des Stadtteilvereins. Er schildert den Alltag an der Lipska-Straße im Norden der Stadt: „Sie stehen ja nicht nur da und bieten sich an. Sie machen noch mit obszönen Gesten auf sich aufmerksam. Wir haben Angst um unsere Kinder, die von ihnen hässlich angemacht werden.“ Kozak kämpft mit dem Stadtteilverein für das Wohngebiet, wie er es von früher noch kennt. Dabei werden neuerdings auch unkonventionelle Methoden angewendet.
Eigentlich ist Chomutov eine ganz normale böhmische Stadt, wäre da nicht der Nachtclub Alibaba. Foto: Thomas Kretschel (kairospress)
Die Lipska-Straße ist auf den ersten Blick kein einladender Ort. Viele Läden stehen leer, Bäume sieht man kaum. Die Straße war jahrelang Teil des Fernverkehrs von Chemnitz nach Prag. Als sich 1989 die Grenzen öffneten, ereilte sie das Schicksal aller grenzüberschreitenden Straßenverbindungen nach Deutschland und Österreich: Ein Netz von Nachtklubs und Stundenhotels baute sich an den neuen Transitstrecken auf, das von Menschenhändlern mit Frauen aus Osteuropa versorgt wurde.Vor einigen Jahren konnte die Polizei einen bulgarischen Mafiaring ausheben, der Prostitution und Menschenhandel im Grenzgebiet organisierte. Vor zwei Jahren wurde die neue Umgehungsstraße eröffnet. Seitdem zieht sich der Transitverkehr nicht mehr durch die Lipska-Straße. Ein wichtiger Kundenstamm blieb weg, und die meisten Nachtklubs machten zu. Bald blieb nur noch das „Alibaba“.
Die Einwohner von Chomutov haben Angst um ihre Kinder, die täglich am Alibaba vorbei müssen. Foto: Thomas Kretschel (kairospress)
Die Hoffnung, dass die Einwohner die ungeliebten Nachbarn nun los wären, war jedoch verfrüht. Im Gegenteil: Das Problem hat sich für sie nur weiter verschärft. „Das Geschäft ist nicht mehr so lukrativ wie früher. Die Zuhälter bieten nicht mehr die Infrastruktur, und die Prostituierten versuchen es teils auf eigene Faust. Das Geschehen hat sich auf die Straße verlagert“, erklärt Jan Rehak, seit sechs Jahren stellvertretender Oberbürgermeister von Chomutov.Vor anderthalb Jahren kam Kozak zu ihm und forderte ihn auf, endlich etwas gegen den Straßenstrich zu tun. Doch Rehak musste erfahren, dass dem Rotlichtmilieu nicht leicht beizukommen ist. Den Eigentümern der Nachtklubs werden gute Kontakte nachgesagt. Chomutov ist eine kleine Stadt. Man kennt sich. Dabei hilft ihnen die gesetzliche Grauzone: Bordelle sind verboten, aber bezahlter Sex ist keine Straftat.Immerhin kam die Stadt auf den Dreh, die Frauen wegen Verstoßes gegen das Gewerberecht zu belangen, weil ihre Dienstleistung nicht gestattet ist. Aber der Trick brachte nichts. „Die verhängten Strafen wurden nicht gezahlt, und die Frauen erhalten auch keine Sozial- oder Arbeitslosenhilfe, die wir ihnen kürzen könnten“, sagt Rehak. Also kam der Bürgermeister auf eine unkonventionelle Lösung. „Unsere Idee beruht auf dem grundlegenden Marktgesetz: Wo keine Nachfrage, dort auch kein Angebot“, sagt Rehak. Sein Plan besteht nämlich darin, den Freiern die Lust am Straßenstrich in Chomutov zu vereiteln. Er ließ eine Kamera direkt auf der Lipska-Straße installieren. Die sendet Bilder in einen Überwachungsraum der städtischen Polizei, der rund um die Uhr besetzt ist.
Videoüberwachung und Fotos, die im Internet veröffentlicht werden, sollen Freier abhalten. Foto: Thomas Kretschel (kairospress)
Der ursprüngliche Plan war, die Fotos den Kunden direkt nach Hause zu schicken. „Die Frau des Freiers wird ihm schon gehörig einheizen“, sagt Rehak mit verschwörerischem Lächeln. Dieses Vergnügen verdarb ihm aber die tschechische Datenschutzbehörde, die das Vorgehen als ungesetzlich einstufte. Rehak ließ nicht locker und einigte sich letztlich mit der Behörde auf ein Verfahren, das die Personenrechte berücksichtigt.„Die Aufnahmen werden seit Mitte Oktober im Internet veröffentlicht, wobei das Gesicht des Fahrers und das polizeiliche Kennzeichen gepixelt sind. Dabei handelt es sich nur um Aufnahmen, aus denen hervorgeht, dass die Prostituierte ins Auto gestiegen ist“, erklärt Rehak.Seine Idee sieht er nicht gefährdet. „Eine erboste Ehefrau erkennt das Auto ihres Mannes“, ist er sicher. Rudolf Kozak vom Stadtteilverein stimmt ihm zu. Für ihn ist das Profil der Freier nämlich klar. „Das sind überraschenderweise oft deutsche Rentner“, so seine Einschätzung, „da ist so ein Vorgehen gerade richtig.“ Der Freier erhält außerdem ein Schreiben der Stadt, das ihn zur Zeugenaussage im Ordnungsstrafverfahren verpflichtet. Rehak glaubt an den Abschreckungseffekt.Die Kameraüberwachung gibt der Polizei ein wichtiges Instrument in die Hand. Bisher konnten die Profile der Freier nur geschätzt werden. Dabei ging die Polizei davon aus, dass rund 80 Prozent aus Deutschland kommen. Das hat sich bereits in den ersten Tagen bestätigt. Deshalb arbeitet die Polizei eng mit den Kollegen in Deutschland zusammen. „Wir stehen in regelmäßigem Kontakt mit der Polizeidirektion Chemnitz-Erzgebirge“, sagt Polizeichef Jiri Volprecht. Er zählt auf die Unterstützung der sächsischen Polizei, wenn es um die Identifizierung der Freier geht.Der Chemnitzer Polizeisprecher Frank Fischer erklärt auf Anfrage: „Das läuft auf dem üblichen zwischenstaatlichen Weg über ein Rechtshilfeersuchen. Natürlich geht das leichter, wenn wir uns gut kennen.“ Die Chomutover fahren einmal im Monat mit den Marienberger Kollegen auf Streife.Dieter S. aus dem sächsischen Waldheim kommt – sichtlich zufrieden – geradewegs aus der „Alibaba“-Bar. Er weiß noch nichts von den Kameras. Nach den Sorgen der Anwohner gefragt, fällt ihm nicht viel ein. Für ihn zählt, wie für viele andere, vor allem der Preis.Bürgermeister Rehak, mit den Aussagen des Freiers konfrontiert, sieht es so: „Ich weiß nicht, ob der Preis nicht höher ist, der auf dem Straßenstrich gezahlt wird.“ Denn die Gefahr, sich mit Geschlechtskrankheiten anzustecken oder mit Aids zu infizieren, ist nicht gering. Rehak erinnert an die Gründe, die Frauen zur Prostitution treiben. „Wichtig wäre eine gesetzliche Regelung“, sagt er. Zusammen mit anderen Städten setzt er sich für eine Legalisierung der Prostitution nach deutschem Vorbild ein.
Bis zu zweimal am Tag kontrolliert die Polizei den Nachtclub Alibaba - wegen Prostitution und Drogenhandel. Foto: Thomas Kretschel (kairospress)
Es ist früher Freitagabend. Polizeiobermeister Martin Pribyl fährt mit seinem Kollegen Libor Pechacek Streife. Wo sonst sieben bis acht Frauen stehen, sind heute nur zwei – die verschwinden, sobald sich das Fahrzeug nähert. Die Strategie der Stadt scheint aufzugehen. „Das mit den Kameras hat sich schnell herumgesprochen, die Frauen weichen schon an andere Orte teils außerhalb der Stadt aus“, sagt Pribyl. Er ordnet eine Durchsuchung im „Alibaba“ an. Dorthin haben sich die Frauen zurückgezogen. „Wir machen hier bis zu zweimal am Tag Kontrolle“, erläutert der Polizeiobermeister. Dabei geht es nicht nur um Prostitution, sondern auch um Drogenhandel, weshalb heute die Kripo dabei ist. Auch dafür liefern die Kameraaufzeichnungen wertvolle Erkenntnisse.Die Bar ist überschaubar. Drei jüngere Frauen langweilen sich vor dem Tresen, zwei schon ältere dahinter. Die Tschechinnen sind der Polizei bekannt. Für Polizeichef Volprecht steht fest, dass der Kampf gegen den Straßenstrich noch nicht ausgestanden ist. Aber eines sollen die Freier sich merken: „Wir wollen, dass ihnen klar ist, dass wir über sie Bescheid wissen.“
HINTEGRUND
Die Kameraaufzeichnungen sind auf der Internetseite www.mpchomutov.cz einsehbar.
Kommt der Freier der Vorladung als Zeuge nicht nach, drohen bis zu 5000 Kronen Strafgeld (200 Euro).
In Tschechien sind Bordelle nach einem Gesetz aus der Zwischenkriegszeit verboten.
Ein erster Versuch zur Legalisierung scheiterte 2005 im Parlament.
Eine neue Vorlage der Stadt Prag wird von den grenznahen Städten unterstützt. Auch die Menschenrechtsministerin Dzamila Stehlikova ist dafür.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0Weiteres Fotomaterial und sämtliche Bilder in höherer Auflösung auf Anfrage.