"WIE EIN BOOT IM ORKAN"
Ungarn wird von der Finanzkrise gebeutelt / IWF und EZB helfen mit 25-Milliarden-Finanzspritze(n-ost) – Die junge Budapester Wohnungsbesitzerin ist einigermaßen verzweifelt. Für ihre eigenen vier Wände in der ungarischen Hauptstadt zahlt sie jeden Monat eine Rate an die Bank. „Vor zwei Monaten waren das noch 130.000 Forint“, sagt sie, „jetzt sind es schon 170.000 Forint“ – oder umgerechnet in Euro: von 470 auf über 600 Euro, aber das kann sich stündlich ändern. Die Landeswährung Forint fährt seit einem Monat Achterbahn. Doch die Forint-Kredite müssen in Schweizer Franken zurückgezahlt werden.Das war billig, ist aber jetzt teuer. Anfang der Woche kostete ein Euro 280 Forint, vor einem Monat waren es nicht einmal 250. Schuld daran seien zwei bis drei Dutzend „Bosse aus der Finanzwelt“, die auf „Ungarns Kollaps“ setzten, meint der ehemalige Finanzminister Csaba Laszlo, der heute für eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft arbeitet. Kurzum: „Spekulanten“, die den Forint schwächten.
Der Kurs der ungarischen Landeswährung Forint fährt seit einem Monat Achterbahn. Foto: Stephan Ozsváth
Um die Landeswährung zu stärken, hat die ungarische Notenbank deshalb vor einer Woche den Leitzins erhöht, von 8,5 auf 11,5 Prozent. Kredite werden damit teurer. Gleichzeitig hat die Regierung ungarischen Häuslebesitzern Luft zum Atmen verschafft. Sie müssen ihre Kredite nicht mehr sofort bedienen, sondern können sich Zeit lassen. Das ist auch bitter nötig, denn „die Zahlungsfähigkeit der Kunden wurde genau ausgerechnet. Wenn die Zinsen steigen, kann es leicht zu einer Katastrophe kommen“, warnt Péter Merli, der Vorsitzende des ungarischen Immobilienverbandes.Ein Kollaps in der Immobilienbranche à la USA mit Zwangsversteigerungen und Massenpleiten ist das Schreckensszenario der ungarischen Regierung. Deshalb werden jetzt keine Kredite mehr in Schweizer Franken ausgegeben, nur noch in Forint. „Wir brauchen Sicherheit, um die Interessen Ungarns, seiner Wirtschaft und seiner Familien zu schützen“, sagt Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany, der einer sozialistischen Minderheitsregierung vorsteht.Um die Krise zu managen, berief Gyurcsany einen „Nationalen Gipfel“ ein: Die zerstrittenen Parteien sollten an einem Strang ziehen, um der Finanzkrise zu begegnen. Kurzfristig versuchte Finanzminister Janos Veres mit Hilfe von Staatsanleihen frisches Geld zu beschaffen. Doch sie blieben Ladenhüter. „Dabei garantieren wir eine hohe Verzinsung, 11,5 Prozent. Ausländische Anleger werden auf ihre Kosten kommen“, versprach der Politiker. „Es lohnt sich Staatspapiere zu kaufen.“ Doch keiner kaufte.Ratingagenturen stuften das Land in der Kreditwürdigkeit herab. Kein Wunder. Ein guter Teil der Krise ist hausgemacht. Jahrelang lebte die Regierung Gyurcsány über ihre Verhältnisse. Der Sozialist verteilte teure Wahlgeschenke, um wiedergewählt zu werden. So verdoppelte er das Gehalt von Ärzten und Lehrern und erhöhte damit das Haushaltsdefizit. Zeitweilig lag es bei 9 Prozent und riss damit die Maastricht-Latte, was dem neuen EU-Mitgliedstaat heftige Kritik aus Brüssel eintrug. Wer die rote Laterne trägt, bekommt keinen Euro. Deswegen zahlen die Magyaren auch bis heute mit Forint und nicht mit der Gemeinschaftswährung. Ein Fehler, darin sind sich die Experten einig. „Die Einführung des Euro hätte oberste Priorität haben müssen“, findet der ungarische EU-Kommissar Peter Balazs. Die Finanzkrise hätte nicht so durchgeschlagen, glaubt man in Budapest, wenn der Euro schon Zahlungsmittel an Donau und Theiß wäre.Die Staatskasse wieder etwas füllen sollten Reformen wie Praxis- und Studiengebühren – so die Pläne der sozialliberalen Regierung noch vor einem Jahr. Beide Projekte kippte die rechtskonservative Oppositionspartei Fidesz Anfang des Jahres durch ein Referendum. Im Zuge der gescheiterten Gesundheitsreform stiegen die Liberalen aus der Koalition aus. Seit zwei Jahren ist die Regierung Gyurcsany in der politischen Dauerkrise. Reformprojekte und die Haushaltssanierung bleiben liegen. „Das ungarische Sozialsystem ist noch zu großzügig“, meint Notenbank-Chef Andras Simor, der derzeit zum Medienstar in Ungarn avanciert. Kaum ein Radioprogramm, kaum eine Zeitung, kaum ein Fernsehsender, in dem er nicht auftritt. Die Gehälter im öffentlichen Dienst einzufrieren, sei jetzt Gebot der Stunde, verlangt der Notenbankchef mit Blick auf laufende Tarifverhandlungen. Die Regierung ging schon einmal mit gutem Beispiel voran: Die Gehälter steigen nicht. Nicht mehr als symbolische Politik, die aber die Ungarn schon mal darauf einstimmt: Internationaler Währungsfonds, Weltbank und EZB werden Gegenleistungen verlangen für die kurzfristige 25 Milliarden-Dollar-Spritze.In Budapest ist schon die Rede von Steuererhöhungen und Rentenkürzungen. Das wäre gut für den Haushalt, aber Gift für die sozialistische Minderheitsregierung Gyurcsany. Notenbank-Chef Simor vergleicht Ungarn derzeit mit einem Segelboot: „Wir sind gestartet und zu einem neuen Ziel aufgebrochen. Doch bevor wir einen sicheren Hafen erreichen konnten, hat uns ein Orkan eingeholt“. Und für Ministerpräsident Gyurcsány, den Mann auf dem Ausguck, ist derzeit nur wenig Land in Sicht: Das Wort „Neuwahlen“ macht immer öfter die Runde. Die Insel „Wachstum“ schrumpft, je näher das Boot kommt. Die aktuelle Prognose liegt bei 1,2 Prozent oder weniger. Bisher war die Regierung in Budapest von drei Prozent ausgegangen. „Schlangen vor den Banken habe ich noch keine gesehen“, meint eine Budapester Geschäftsfrau lakonisch. Und sie fügt hinzu: „Wir sind ja nicht schuld an der Krise.“ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0