Polen will die EM retten
Dem scheidenden Verbandpräsidenten wäre es am liebsten, wenn sich Grzegorz Lato und Zbigniew Boniek über seine Nachfolge einigten. Am Donnerstag wird der Vorstand des polnischen Fußballverbandes (PZPN) neu gewählt. Fraglich ist, wer die Nachfolge von Präsident Michal Listkiewicz antritt, der zuletzt massiv in der öffentlichen Kritik stand. Zur Erinnerung: Grzegorz Lato ist ehemaliger Nationalspieler und Torschützenkönig der Weltmeisterschaft 1974, Zbigniew Boniek ein ehemaliger Nationalspieler von Weltklasseformat und Mitspieler des heutigen Uefa-Präsidenten Michel Platini bei Juventus Turin.„Ehemalige Spieler können sehr erfolgreich das Fußballgeschäft führen. Ein gutes Beispiel sind Michel Platini oder Franz Beckenbauer“, sagte Listkiewicz gestern in einem Interview mit der Tageszeitung „Dziennik“.
Auf einen der beiden festlegen wollte er sich nicht; es gibt noch zwei weitere Kandidaten. Listkiewicz selbst unterhält erstklassige Verbindungen zu den internationalen Verbänden FIFA und zur UEFA, „von der ich künftig mein Gehalt beziehe, als Bevollmächtiger für die Euro 2012“.In Polen allerdings hat Listkiewicz mit seinen wiederkehrenden folgenlosen Ankündigungen, die Korruption im Fußball zu bekämpfen, jegliches Vertrauen in der Öffentlichkeit verloren. In den vergangenen zwei Jahren gab es 116 Verhaftungen von Schiedsrichtern, Trainern und Funktionären, die an Spielmanipulationen beteiligt sein sollen.
Eine Anhörung beim zuständigen Gericht in Breslau, das sich mit dem riesigen Bestechungsskandal unter polnischen Schiedsrichtern befasst, hat Listkiewicz in der vergangenen Woche abgesagt, weil er bei der UEFA sein wollte, „in einer Angelegenheit der Schiedsrichterkommission, an der ich teilnehme“.Zur selben Zeit eskalierte die Krise weiter: Zunächst wurde der ehemalige Nationaltrainer Janusz Wójcik, ein Mann mit großem Einfluss im PZPN, unter dem Verdacht verhaftet, elf Ligaspiele manipuliert zu haben.
Und dann schlug die polnische Steuerbehörde zu: Mit Kontosperrungen beim PZPN, um eine Steuerschuld von rund 10 Millionen Zloty (2,7 Millionen Euro) zu vollstrecken, die sich nach dem Verkauf von Fernsehrechten angehäuft hatte.„Leider sorgt der Fußballverband zur Zeit für viel überflüssiges Aufsehen“, sagte der polnische Botschafter in Deutschland, Marek Prawda, auf einer Tagung über Politik und Fußball im Schloss Neuhardenberg an der polnischen Grenze am vergangenen Wochenende. „Wirtschaft und Politik haben sich bei uns schnell verändert, im Sport geht es langsamer. Das ist auch eine Frage der Funktionäre“.
Und in der Tat ist der PZPN die letzte postkommunistische Bastion in Polen, durchzogen von einer korrupten Seilschaft, die sich der Aufklärung des Skandals in den Weg stellt. Dadurch wird auch die ohnehin unsichere Ausrichtung der Fußballeuropameisterschaft 2012 gefährdet, die Polen gemeinsam mit der Ukraine ausrichten will.Schließlich geht es bei dem Bau von Straßen, Stadien und Hotels um Aufträge in hoher dreistelliger Millionenhöhe, auch die EU beteiligt sich an der Finanzierung.
Die Korruption ist dabei in Polen zwangsläufig ein Thema. Immerhin ist die EM das wichtigste Projekt in der laufenden Legislaturperiode der liberalkonservativen Regierung um Premierminister Donald Tusk: An sie dürfte auch die Einführung des Euro gekoppelt sein, die Tusk immer wieder auf die Agenda bringt. Er selbst hält sich in der Frage der EM 2012 auffallend zurück, obwohl er über einen ausgeprägten Fußballsachverstand verfügt. Solange Polen als unsicherer Kandidat gilt, möchte Tusk den politischen Schaden begrenzen, auch für sein Amt. Der Konflikt zwischen seiner Regierung und dem PZPN ist noch ungelöst, mit dem Weggang der Reizfigur Listkiewicz könnte ein Neuanfang möglich sein.Unterdessen bemüht sich Polen um eine Abgrenzung von Co-Gastgeber Ukraine, wo die gelähmte Politik den überfälligen Ausbau der Infrastruktur unmöglich macht. Zuletzt wurde das ukrainische Parlament aufgelöst.
Neuwahlen sollen Mitte Dezember stattfinden. „Viele schauen mit einer gewissen Sorge auf die Ukraine, und mit Unverständnis. Schließlich weiß bei den anstehenden Wahlen auch niemand, wer gewinnen wird“, sagte Botschafter Prawda. Für Elmar Brok, Außenpolitiker und Vorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP), dem Zusammenschluss der christlich-demokratischen Parteien der EU-Mitgliedsländer, „ist die Ukraine seit drei Jahren politisch praktisch handlungsunfähig“.
Das hat man nun auch bei der „Gesellschaft Polen 2012“ erkannt, die für die Vorbereitung der EM in Polen verantwortlich ist: „Es ist auch möglich, dass es in Polen mehr Austragungsstädte geben wird als in der Ukraine“, sagte ihr Vorsitzender Martin Herra und wird konkret: „Die Zahl muss ja nicht in beiden Ländern gleich sein“. Herra geht davon aus, dass in Polen sechs Städte dazu in der Lage sein werden, das Turnier zu organisieren. Bislang war von vier Austragungsorten in jeweils beiden Ländern die Rede.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig.