Rumänien

LEERSTELLEN AUF DEM ARBEITSMARKT

Unternehmen suchen händeringend nach qualifizierten Facharbeitern. Doch die Regierung in Bukarest scheint den Ernst der Lage nicht erfasst zu haben.(n-ost) – Vier riesige weiße Fabrikhallen voller computergesteuerter Dreh-, Fräs- und Schleifmaschinen mitten auf der grünen Wiese, gleich daneben eine Baustelle für zwei weitere Hallen: An der Aleea Schaeffler Nr. 3 im rumänischen Cristian bei Brasov (Kronstadt) herrscht Hochbetrieb. "Wir sind einer der größten Arbeitgeber der Region", verkündet Alexandru Blemovici stolz. Der Maschinenbau-Ingenieur ist Werkleiter von Schaeffler Rumänien und Chef von 3.650 Beschäftigten.Seit 2002 hat die Schaeffler Gruppe, Maschinenbauer und Zulieferer für die Automobil- und Luftfahrtindustrie aus dem mittelfränkischen Herzogenaurach, im siebenbürgischen Brasov 300 Millionen Euro investiert. Weitere 60 Millionen sind geplant, die Mitarbeiterzahl soll auf 4.500 steigen – das Geschäft brummt. In der aktuellen Finanzkrise ist Rumänien bislang mit einem blauen Auge davongekommen. Die Banken seien stabil, versicherte Nationalbank-Gouverneur Mugur Isarescu.Schaeffler ist nur eines von rund 8.000 deutschen Unternehmen, die derzeit in Rumänien aktiv sind, darunter viele kleine und mittlere Betriebe. Ein Problem haben fast alle von ihnen gemeinsam: Es wird immer schwieriger, Facharbeiter zu finden. "Wir müssen heute mehr in die Qualifizierung der Leute investieren, bis sie an der Maschine stehen können", erklärt Werkleiter Blemovici. Zu Beginn konnte Schaeffler noch auf Dreher, Fräser und Schleifer zurückgreifen, die bereits in einem der völlig überdimensionierten sozialistischen Betriebe Brasovs zur Herstellung von Traktoren, Lkws oder Flugzeugen Berufserfahrung gesammelt hatten.Auf der Ebene der Ingenieure kooperiert Schaeffler eng mit der Universität Brasov, bietet Praktikumsplätze und Stipendien an, schreibt Wettbewerbe aus oder bezahlt die Ausstattung von Vorlesungsräumen. "Auf diese Weise kriegen wir unsere Leute", so Blemovici. Die Uni vor Ort und die Tradition in der Maschinenindustrie waren – nebst den niedrigen Lohnkosten – ausschlaggebend für die Großinvestition ausgerechnet in Brasov. Bei Schaeffler verdient ein Berufseinsteiger nach der Uni derzeit 400 bis 500 Euro netto im Monat, ein Facharbeiter 300 bis 400 Euro.Obwohl Schaeffler Rumänien kräftig in die Zukunft investiert, weist Blemovici auch auf Risiken hin: "Es könnte sein, dass sich die Lohnspirale zu schnell dreht – aber vor allem, dass unser Land zuwenig Facharbeiter ausbildet." Marko Walde, Geschäftsführer der Deutsch-Rumänischen Industrie- und Handelskammer in Bukarest, kennt den Grund des Problems: "In Rumänien hat man entweder ein Hochschulstudium – oder gar keine Ausbildung. Etwas dazwischen gibt es kaum und es ist sozial nicht anerkannt." Weil der Staat keine Ausbildungen für Facharbeiter oder Kaufleute anbiete, müssten die Firmen dies selbst übernehmen. Beobachter sehen eine Ursache dieser Schwierigkeiten aber bereits in der unzureichenden Volksschulbildung. "Die Lage ist dramatisch", warnt der Politologe Cristian Pirvulescu.Trotz aller Unwägbarkeiten im Bildungssektor: Als wichtigen Standortvorteil für ausländische Unternehmen nennt Marko Walde – nebst dem mit 22 Millionen Einwohnern sehr großen rumänischen Binnenmarkt – die vielen hoch qualifizierten jungen Hochschulabsolventen: "Ein Viertel der Rumänen ist unter 25 – hier stimmt die Bevölkerungspyramide noch." Doch der völlig ausgetrocknete rumänische Arbeitsmarkt saugt die Uni-Abgänger sofort auf. Bukarest verzeichnet eine Arbeitslosenquote von 1,8 Prozent – im ganzen Land herrscht Vollbeschäftigung. Dies hängt auch damit zusammen, dass zwischen offiziell 2,5 Millionen und von Experten geschätzte 5 Millionen Rumänen im Ausland arbeiten, vor allem in Italien und Spanien.Rumänien, so sind sich Wirtschaftsexperten einig, ist heute nur noch für jene Unternehmen interessant, in denen durch gezielte Qualifizierung oder Automatisierung ein Produktivitätszuwachs zu erreichen ist und dadurch steigende Löhne ausgeglichen werden. Die Textilindustrie, für die das Balkanland über Jahre ein attraktiver Standort war, gehört nicht mehr dazu: "Wenn eine Näherin 30 Euro mehr Lohn bekommt, kann sie deswegen nicht schneller nähen", veranschaulicht Unternehmensberater Johannes Book die Problematik. "Diese Betriebe lassen jetzt in Asien produzieren". Marko Walde sieht dafür Spielräume in der Automobilzulieferindustrie, im IT-Bereich, der Softwareentwicklung, im Dienstleistungssektor oder in der Baubranche, "in allen Bereichen also, in denen es in Rumänien selbst Nachholbedarf gibt".Um diese Chancen zu nutzen, fordert Walde deshalb von der rumänischen Regierung "dringend Konzepte für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung". Doch Wirtschafts- und Finanzminister Varujan Vosganian hat nichts dergleichen anzubieten. Die Parlamentswahlen vom 30. November vor Augen, zündet er lieber er ein Feuerwerk an Zahlen, die den Erfolg der rumänischen Wirtschaft und damit der national-liberalen Minderheitsregierung von Ministerpräsident Calin Popescu-Tariceanu unterstreichen sollen: Acht Prozent Wachstum in diesem Jahr, eine Zunahme des Brutto-Inlandproduktes pro Kopf von 2.600 Euro im Jahr 2000 auf 6.500 Euro heute; eine erwartete Verdoppelung des Brutto-Durchschnittsgehalts von heute 450 Euro bis ins Jahr 2012; etwa 100 Milliarden Euro Investitionen innerhalb der letzten vier Jahre. Über die Verantwortung der rumänischen Regierung für die Ausbildungssituation verliert der Wirtschaftsminister hingegen kein Wort.Dies alles kümmert die Beschäftigten von Schaeffler Rumänien wenig. Viele von ihnen haben es in den letzten Jahren zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht, der Mitarbeiter-Parkplatz an der Aleea Schaeffler Nr. 3 ist gut belegt. "Im Jahr 2004 standen hier genau 14 Autos, heute sind es schon über 200", freut sich Alexandru Blemovici – und macht sich schleunigst auf zum nächsten Termin.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0


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