Polen

Der schwierige Nachbar

Thomas Urban konzentriert sich in seinem neuen Buch über die deutsch-polnischen Beziehungen auf die Geschichte(n-ost) – Wenn Politiker für Bücher werben, dann schlagen sie hohe Töne an. So auch im Fall der Edition „Die Deutschen und ihre Nachbarn“. Die schmalen Bändchen, die zugleich politische Landeskunde und historisches Brevier sein sollen, werden von ihren Herausgebern, Ex-Kanzler Helmut Schmidt und Altbundespräsident Richard von Weizsäcker, mit staatstragendem Pathos als Beitrag zur europäischen Verständigung angepriesen. Damit bürden sie den Autoren Ansprüche auf, die nur schwer einzulösen sind.Einer der ersten Bände aus der Reihe ist Deutschlands schwierigstem Nachbarn gewidmet – Polen. Deutsche und Polen verbindet eine mehr als tausendjährige Geschichte, die im Schlagschatten des 20. Jahrhunderts steht. Entsprechend beginnt Thomas Urban, Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Warschau und Autor populärer zeithistorischer Sachbücher, mit dem Zweiten Weltkrieg. Auf wenigen Seiten handelt er den Überfall der Wehrmacht auf Polen, die nationalsozialistische Okkupation, den Mord an den polnischen Juden und den Warschauer Aufstand ab. Die Darstellung ist so komprimiert, dass wesentliche Zusammenhänge untergehen. Den Hitler-Stalin-Pakt, der die vierte Teilung Polens erst ermöglichte, erwähnt Urban nicht. Damit bleiben auch die Flucht und Vertreibung der Deutschen als „Preis für den Krieg“ unverständlich. Schließlich war es Stalin, der nach 1945 die Westverschiebung Polens besiegelte, indem er die Westalliierten überzeugte, die zwischen dem NS-Regime und der Sowjetunion 1939 vereinbarte Annexion ostpolnischer Gebiete zu akzeptieren.Wie sehr der Zweite Weltkrieg und seine Folgen noch immer das deutsch-polnische Verhältnis belasten, zeigen die seit Jahren anhaltenden Debatten um eine angemessene Form des Gedenkens. Die Pläne für eine Ausstellung zum Thema Flucht und Vertreibung in Berlin stoßen in Polen auf massive Ablehnung: Die Deutschen wollten sich in die Rolle des Opfers flüchten, lautet der stereotype Vorwurf konservativer Politiker und Publizisten. Als Journalist beteiligt sich Urban aktiv an diesen geschichtspolitischen Kontroversen. Entsprechend gefärbt sind seine Urteile. Die Vertriebenen zählt er „zu den großen Verlierern der deutsch-polnischen Geschichte“. Seit der Ostpolitik Willy Brandts, mit der praktisch die Oder-Neiße-Grenze anerkannt wurde, seien die Vertriebenenverbände gesellschaftlich isoliert worden, behauptet Urban. Dabei isolierten sich der Bund der Vertriebenen (BdV) und die Landsmannschaften selbst, indem sie stur auf ihr vermeintliches „Recht auf Heimat“ pochten und die politischen Nachkriegsrealitäten hartnäckig ignorierten.Urban beschränkt sich jedoch nicht bloß auf die Konflikte der deutsch-polnischen Geschichte. Exemplarisch erinnert er an Epochen der friedvollen Koexistenz in Schlesien und Danzig. Gemäß den politisch-pädagogischen Vorgaben der Herausgeber beschwört Urban diese Aspekte der Vergangenheit als Leitbild für die deutsch-polnische Zukunft in Europa. Damit werden einige bittere Wahrheiten versüßt: So erlebte der Hass auf den östlichen Nachbarn, der seine Staatlichkeit auf Kosten des Deutschen Reichs 1918 wieder gewonnen hatte, ausgerechnet in der ersten deutschen Demokratie ihren Höhepunkt. Die Presse in der Weimarer Republik stellte Polen notorisch als Läuse, Ratten und gierige Wölfe dar.Die deutsch-polnischen Beziehungen definieren sich in großen Teilen über die Vergangenheit, die jeweils ganz anders wahrgenommen wird. Während in Polen ein geschlossenes nationales Geschichtsbild tradiert wird, in dem Helden und Märtyrer ihren festen Platz haben, reicht das Geschichtsbewusstsein in Deutschland kaum über das „Dritte Reich“ hinaus. Für das Übermaß an Geschichte in seiner Darstellung hat Urban also gute Gründe. Zu kurz kommen bei ihm jedoch die gesellschaftlichen, kulturellen und ökonomischen Entwicklungen. Über die rasante Modernisierung des Landes und den daraus resultierenden sozialen Folgekosten erfährt man nicht viel. So entsteht das Zerrbild von Polen als einer geschichtssüchtigen Nation, die ihre Identität durch die Abgrenzung vom westlichen Nachbarn gewinnt.Thomas Urban, Polen. C.H. Beck; München 2008. 179 S. 18 Euro.ENDE


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