Polen

Der Adler muss mit

Am 16. Dezember 2011 trägt die polnische Fußballnationalelf ihr letztes Länderspiel des Jahres aus, und zwar in der Türkei gegen Bosnien-Herzegowina. Der geneigte Fan fragt sich: Warum ein Länderspiel außerhalb des Uefa-Länderspielkalenders, noch dazu fast zeitgleich mit den letzten Spielen der Europaleague-Gruppenphase? Und warum findet eine Fußballspiel zwischen Polen und Bosnien-Herzegowina nicht entweder hier oder dort statt, sondern in einem Drittland, wo es niemanden recht interessiert?

Die Antwort auf beide Fragen hat einen Namen: „Sportfive”. Mit diesem internationalen Sportrechtevermarkter, der mit vielen großen Klubs und nationalen Verbänden zusammenarbeitet, schloss der polnische Fussballverband PZPN vor Jahren einen langfristigen Vertrag ab. Dieser spülte zwar ein hübsches Sümmchen in die stets klamme Verbandskasse, beeinhaltet dafür aber auch die Verpflichtung, vier Auswärtsspiele pro Jahr in einem ebenfalls von „Sportfive” vertretenen Land zu absolvieren. Ist man damit in Verzug, muss man eben kurz vor Weihnachten noch außerhalb des offiziellen internationalen Terminplans ein Match organisieren. Hat man einen Gegner gefunden, der aber kein „Sportfive-Land” ist, muss man in ein passendes Drittland ausweichen.

Und so entstehen Geisterspiele. Wenige Zuschauer, keine Stimmung, Trainingsplatzatmosphäre. Anstatt zu Hause in den nagelneuen EM-Stadien Fußballfeste zu feiern, spielte Polen auf diese Weise 2011 u.a. in Portugal gegen Norwegen, in Wiesbaden gegen Belarus und nun in Antalya gegen Bosnien-Herzegowina. Ist die sportliche Darbietung obendrein mäßig, sind solche Spiele für alle Seiten frustrierend und lassen daheim bei den Fans nur schwer Vorfreude auf die EM im eigenen Land aufkommen.

Gibt es dann doch mal zwei interessante Heimspiele, wie im November gegen Italien und Ungarn, versteht es der PZPN auch hier, durch sein skandalöses Treiben den Sport in den Hintergrund treten zu lassen. Als die polnische Nationalelf am 9. November ihr neues EM-Trikot vorstellte, trauten die Beobachter ihren Augen kaum. Das traditionelle Nationalsymbol, der weiße Adler mit gekröntem Haupt, der seit 1926 das Trikot der polnischen Nationalmannschaft ziert, fehlte. Er wurde vom Verband in Zusammenarbeit mit dem Sportartikelhersteller NIKE einem neuen, postmodern bunt gestylten Logo des PZPN geopfert. Wieder wurden Vermarktungsstrategien als Begründung genannt. Für jedes verkaufte Trikot mit Verbandslogo bekommt der PZPN einen Obolus, nationale Symbole bringen kein Geld.

Die Welle der Entrüstung, die daraufhin über das Land schwappte, erfasste den kleinen Fußballfan genauso wie höchste Regierungsvertreter. Es reichte! Unter dem Motto „Tradition verpflichtet – das neue Trikot werden wir niemals unterstützen“, riefen die organisierten Fans zum Boykott der Nationalmannschaft auf. Premierminister Donald Tusk sprach ausnahmsweise mal für fast alle Polen, als er sagte, dass die Repräsentation des Landes eine Angelegenheit aller sei und nicht die Privatsache eines Verband wie dem PZPN, verbunden mit der Aufforderung, die Entscheidung nochmals zu überdenken.

Der Boykottaufruf zeigte Wirkung. Das Heimspiel gegen Ungarn fand vor der Minuskulisse von 8.000 Zuschauern statt, und selbst dieses Häuflein skandierte fortwährend: „Wir wollen den Adler wieder haben.“ Spätestens da wussten die Funktionäre um Verbandspräsident Grzegorz Lato, dass sich diese Affäre nicht durch bloßes Aussitzen aus der Welt schaffen lässt. Auch Ausrüster „Nike” hatte nach merklichem Zögern schließlich ein Einsehen. Verbandslogo plus weißer Adler lautet der Kompromiss.

Und so bekommt dieses seltsame Länderspiel gegen einen kleinen Balkanstaat, ausgetragen an der Peripherie der europäischen Fußballwelt, tatsächlich eine Dimension nationaler Bedeutung: Die Rückkehr des weißen Adlers auf die Brust der polnischen Elitekicker. Manches Eigentor lässt sich zum Glück schnell wieder ausgleichen.


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