Europarat warnt Opposition vor Wahlboykott
Seit Wochen diskutieren die aserbaidschanischen Oppositionsparteien darüber, ob sie die Präsidentschaftswahlen am 15. Oktober boykottieren sollen. Während sich die beiden großen Blöcke Asadlig (Freiheit) und Musawat für den Boykott entschieden haben, gab die Partei „Offene Gesellschaft“ kurz vor den Wahlen ihre Unterstützung für den autoritär regierenden Präsidenten Ilham Alijew bekannt. Der Europarat rief die Oppositionsparteien dazu auf, an den Wahlen teilzunehmen. Nur mit einer Teilnahme an den Wahlen könnte die Opposition ihre Bedeutung vor der Gesellschaft demonstrieren, sagte Giovanni Buccicio von der europäischen Kommission für die Demokratie durch Recht (Venediger Kommission) laut der aserbaidschanischen Nachrichtenagentur „Trend“. Eine der Regeln in einer Demokratie sei es, dass alle politischen Wahlen am Wahlprozess teilnehmen.
Doch dieser Aufruf beeindruckte die Oppositionsparteien nicht. Nach Ansicht des Politologen Ilgar Mamedow ist die Opposition zu uneinig und zu schwach, um dem Druck der Regierung standzuhalten. Die Regierung habe, so der Vorwurf der Opposition, ihre Tätigkeit sowie die Presse- und Versammlungsfreiheit vor den Wahlen massiv eingeschränkt. Die Regierung redet indes im Wahlkampf von den Erfolgen der Politik Alijews, vom Wirtschaftswachstum und davon, dass die meisten Länder der Welt die territoriale Integrität Aserbaidschans im Berg-Karabach-Konflikt unterstützen. Dem Europarat und anderen internationalen Organisationen warf Alijew Unehrlichkeit vor. Ihn ärgere es, wenn diese Organisationen ihn aufforderten, politische Gefangene und festgenommenen Journalisten freizulassen. „Was passiert, wenn wir einmal nicht mehr Mitglied der internationalen Organisationen sind? Nichts – auch ohne sie geht Aserbaidschan nicht verloren“, sagte Alijew Berichten der Zeitung „Echo“ zufolge.
Der Westen setzt indes auf die Unterstützung Aserbaidschans für die Gaspipeline Nabucco, die turkmenisches und aserbaidschanisches Gas über die Türkei nach Europa befördern soll. Experten befürchten, dass Alijew eben dies verhindern könnte. Baku versucht seinerseits zwischen dem Westen und Russland zu manövrieren. Während Europa von Baku eine Verurteilung der Aggression Russlands in Georgien erwartet, will Alijews Regierung den nördlichen Nachbarn nicht verärgern. Denn der könnte, so hoffen Regierungsvertreter, bei der Lösung des Minderheitenkonflikts in Berg-Karabach helfen.
Doch so einfach ist das Verhältnis zu Moskau nicht: Der Kreml unterstützt die separatistischen Bestrebungen der kaukasischen Minderheit im Norden des Landes und der iranischstämmigen im Süden. Zugleich erklärte Baku jüngst, dass das Land im Unterschied zu Georgien und der Ukraine nicht in die NATO und die EU strebe, obwohl noch vor Monaten von „einer bewussten und freiwilligen Entscheidung für die nortatlantische Integration“ die Rede war. Der Präsidentschaftskandidat der regierungsnahen Liberalen Demokratischen Partei Aserbaidschans Fuad Alijew zeigte sich im Wahlkampf besonders stark prorussisch. Wie die aserbaidschanische Internetzeitung Day.az berichtete, sollte das Land nach Meinung von Fuad Alijew die prowestliche Organisation GUAM (Georgien, Ukraine, Aserbaidschan, Moldau) verlassen, die Integration in die NATO bremsen und der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) beitreten. Zur SOZ gehören neben Russland und China auch Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan. Iran und Pakistan sind ebenfalls an einer SOZ-Mitgliedschaft interessiert.
Fuad Alijew ist einer von sechs Kandidaten, die neben Ilham Alijew zur Wahl antreten werden. Doch unter ihnen ist niemand, der wirklich zur Opposition gehört. Es handelt sich entweder um der Regierung nahe stehende Politiker oder um solche, die kurz vor den Wahlen das Oppositionslager verlassen haben, um Alijew zu unterstützen. Dass Alijew diese Wahlen gewinnt, bezweifelt in Aserbaidschan kaum jemand. Es stehe bereits jetzt alles unter der Kontrolle Alijews und seiner Familie, wirft die Opposition dem Präsidenten vor.Angesichts dieser Ausgangslage haben die Menschen wenig Interesse an den Wahlen. Die politische Atmosphäre in dem Land ist ruhig, die Medien berichten nur oberflächlich über den Wahlkampf. Es werde in diesem Jahr die geringste Wahlbeteiligung seit der Unabhängigkeit des Landes geben, prognostiziert der aserbaidschanische Politologe Ilgar Mamedow.
Hintergrund: Ilham Alijew übernahm das Präsidentenamt von seinem Vater Hajdar Alijew, dem ehemaligen KGB-Chef und Ersten Sekretär der Kommunistischen Partei Aserbaidschans. Haidar Alijew war in den 1980er Jahren der Erste Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates der Sowjetunion, bis Michail Gorbatschow ihn 1987 in Rente geschickt hatte. Anfang der 1990er Jahre begann Alijew wieder in Aserbaidschan zu regieren, diesmal unterstützt von den USA. Durch Alijew wurden in Aserbaidschan mehrere westliche Öl- und Gaspipelines sowie Transportprojekte verwirklicht. Das brachte dem Land jedoch keine Demokratie und Pressefreiheit. Kurz vor Haidar Alijews Tod 2003 wurde sein Sohn Ilham Alijew zum Präsidenten gewählt. Diese Wahlen sind bekannt wegen der großen Fälschungen, wegen der Unterdrückung der demokratischen Opposition und der fehlenden Pressefreiheit.