Tschechien

Ein Leben lang rechnen

(n-ost) – Es duftet nach frisch gekochtem Kaffee, auf dem wuchtigen Wohnzimmertisch aus Holz steht ein großer Teller mit Aprikosenkuchen, den Bronislava Čubová gebacken hat,  für ihren Mann und die Enkelin, die mit dem kleinen Urenkel zu Besuch kommt. Vaclav Čuba und seine Frau Bronislava leben seit 54 Jahren im Prager Stadtteil Žižkov. Die Wohnung liegt im dritten Stock eines schönen Gründerzeithauses. Undenkbar, dass das Rentnerpaar irgendwann dort auszieht. Und doch muss es immer wieder darüber nachdenken. Denn die staatliche Mietregulierung soll bald wegfallen.


„Als Buchhalterin habe ich das ganze Leben rechnen müssen“, sagt Bronislava - so auch im Rentenalter, wo das Geld kaum für die Miete reicht.
Foto: Andreas Wiedemann

Jeder fünfte Haushalt in Tschechien zahlt heute noch regulierte Mieten (rund 800.000 Wohnungen). Als nach dem Ende des Kommunismus in Tschechien 1989 zahlreiche Häuser aus vormaligem Staatsbesitz an die früheren Besitzer oder deren Nachkommen zurückgegeben bzw. restituiert wurden, legte der Staat fest, dass die Mieten für Personen, die bereits vor 1989 in ihren Wohnungen lebten nicht einfach erhöht werden dürften. Diese Mietverträge können auch nicht einfach gekündigt werden. „Wir waren ja schon vor 1989 Rentner, also noch in der kommunistischen Tschechoslowakei. In unserem Privatleben hat sich finanziell erstmal nicht viel geändert. Die Rente bekamen wir nach der Wende weiterhin. Allerdings stiegen die Preise schnell. Die Mietregulierung hat uns sehr geholfen“, erklärt Vaclav.Václav und Bronislava fühlen sich wohl in ihren vier Wänden und wollen nicht weg aus ihrer vertrauten Umgebung. Finanziell wäre ein Umzug auch nur schwer möglich. Vaclav (86) war früher Goldschmied, Bronislava (87) Buchhalterin. Vaclav bezieht eine durchschnittliche Rente. Die beträgt in Tschechien 9500 Kronen, rund 380 Euro. Bronislava bekommt eine kleinere Rente in Höhe von 230 Euro. Die Wohnung können sie sich nur wegen der Mietregulierung leisten. „Wir haben noch Glück, weil wir beide eine Rente bekommen. Damit kommen wir aus. Aber wenn die Mieten weiter steigen und die regulierten Mieten frei gegeben werden, dann wird es schwierig“, erläutert Vaclav. Der zentrumsnahe Stadtteil Žižkov hat sich in den letzten Jahren zu einem der teuersten Prager Bezirke entwickelt. Žižkov ist ein ehemaliges Arbeiterviertel. Heute leben dort viele junge Menschen, Studenten, aber auch viele Rentner.Zahlreiche Hausbesitzer fordern schon seit Jahren, die Mietregulierung aufzuheben, weil die geringen Mieteinnahmen ihrer Meinung nach nicht ausreichen, um die laufenden Kosten zu decken und notwendige Renovierungs- und Modernisierungsarbeiten durchzuführen. Das Verfassungsgericht bestätigte den Hausbesitzern bereits 2001, dass die Mietregulierung im Grunde genommen verfassungswidrig ist. Über 4000 Hausbesitzer klagten außerdem vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Mietregulierungen und forderten Schadensersatz vom tschechischen Staat. Das Parlament beschloss im Jahr 2006, die regulierten Mieten bis 2010 jährlich um 14 bis 20 Prozent zu erhöhen. Das Ministerium für Regionalentwicklung, in dessen Kompetenz die Mietregulierung fällt, hat nun aber angekündigt, dass in Prag für 2009 eine Teuerung um bis zu 46% zu erwarten sei. Auslöser der neuen Entwicklung sind die gestiegenen Preise auf dem freien Wohnungsmarkt. Bei der schrittweisen Aufgabe der Mietpreisbindung sollen die Mieten an das Niveau des freien Marktes bis Ende 2010 angeglichen werden. Danach sollen die Regulierungen vollständig wegfallen. Das wäre für Václav und Bronislava nicht mehr zu schaffen. Die beiden haben schon mehrere Mieterhöhungen in Kauf genommen. Vor fünf Jahren zahlten sie noch weniger als 3000 Kronen für ihre Wohnung (ca. 120 Euro). Heute liegt die Miete bei 4700 Kronen (etwa 190 Euro). Für ihre 50 qm Wohnung müssten sie auf dem freien Markt mit etwa 10.000 Kronen (rund 400 Euro) rechnen. „Noch können wir mit der Mieterhöhung mithalten. Wir schränken uns etwas ein, aber das funktioniert. Wenn ich mir aber vorstelle, dass unsere Wohnung in zwei Jahren noch mehr kosten sollte, dann wird es eng“, so Vaclav.Trotz bereits erfolgter Teuerungen sind die Unterschiede zwischen regulierten Mieten und Marktmieten in Tschechien noch sehr markant. Vertreter des Prager Magistrats weisen darauf hin, dass niemand weiß, wie stark die Mieten nach der Aufgabe der Regulierungen im Jahr 2010 steigen werden. Die Kommunistische Partei warnt vor einem sozialen Erdbeben und fordert, die Deregulierung ganz zu stoppen. Um die Auswirkungen der Deregulierungen für sozial schwache Bürger zu dämpfen, plant der Magistrat, auf städtischen Grundstücken kleine Wohnungen zu bauen. Während der tschechische Mieterverband die angekündigten rasanten Mietsteigerungen ablehnt, zeigt sich die Bürgervereinigung der Hausbesitzer zufrieden und weist darauf hin, dass sich dadurch die Mieteinnahmen in Prag langsam in die Gewinnzone bewegen könnten. Noch vor einigen Jahren blühte in Prag der Handel mit regulierten Mietverträgen, die für Tausende und Zehntausende Euro angeboten wurden. In den Zeitungen konnte man Angebote finden: „Da wurden Mietverträge per Inserat für über 200.000 Kronen angeboten (ca. 10.000 Euro)“, erinnert sich Bronislava. Das sei zwar viel Geld, aber die Aussicht dauerhaft wenig Miete zu bezahlen, habe das Geschäft möglich gemacht, fügt sie hinzu. Der Hausbesitzer, der nach 1989 das Haus zurückbekommen hatte, in dem Václav und Bronislava wohnen, verkaufte es sofort weiter. Die neue Besitzerin war von Anfang an bemüht, das Haus zu leeren. Václav hat das Gefühl, dass die Besitzerin indirekt versucht, sie loszuwerden. „Wir hatten häufig Infomaterial über Wohnungsangebote im Briefkasten. An der Infotafel im Hausflur hingen Werbeangebote von Umzugsfirmen.“ Mittlerweile ist das Haus in Žižkov zur Hälfte leer. Dem Treppenhaus sieht man an, dass dort nichts investiert wurde. Die Besitzerin plant für die Zukunft, das Haus in ein Hotel oder eine Pension umzuwandeln. Für Václav und Bronislava sind die Mietsteigerungen nicht die einzige Sorge. Auch durch die steigenden Energie- und Lebensmittelpreise und die Einführung einer Praxisgebühr von 1,20 Euro pro Arztbesuch schrumpft das zur Verfügung stehende Geld immer weiter. „In unserem Alter gibt es natürlich häufig Arztbesuche, das merkt man auch im Geldbeutel.“ Die Regierung hat wegen der Preissteigerungen in diesem Jahr die Renten einheitlich um rund 500 Kronen (20 Euro) erhöht. Dadurch werden die Kosten aber nicht aufgefangen. Im kommenden Jahr, wenn die Mieten um über 40 Prozent steigen, werden Václav und Bronislava jede Krone zweimal umdrehen müssen, erklärt Bronislava Čubová. „Als Buchhalterin habe ich das ganze Leben rechnen müssen“, fügt sie lächelnd hinzu.

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