Belarus

"Unsere Zukunft ist in der EU“ / Interview mit Alexander Milinkiewitsch

Oppositionsführer Alexander Milinkiewitsch sieht die Zukunft seines Landes in der EU. Doch bis dahin sei es ein weiter Weg. Die Gefahr einer massiven Wirtschaftskrise sieht er als Chance, den Behörden Zugeständnisse abzuringen und das autoritäre Regime aufzuweichen. Milinkiewitsch ist Leiter der Bewegung „Für die Freiheit“ und Träger des Sacharow-Preises des Europäischen Parlamentes. 2006 trat der als Kandidat der Opposition bei der Präsidentschaftswahl gegen Alexander Lukaschenko an.

Alexander Milinkiewitsch ist weißrussischer Oppositionsführer / Jan Zappner, n-ost

ostpol: Wie charakterisieren Sie die politische Kultur Weißrusslands?

Milinkiewitsch: Dieses autoritäre Regime ist sehr spezifisch. Das Regime will alles bestimmen, alles definieren. Das schließt ein, dass die Gesellschaft in Gut und Böse gespalten wird. In richtige und falsche Menschen. Das Regime will alle Machtpositionen besetzen. Und das seit zwölf Jahren. Die jetzige Wahl war eigentlich sehr wichtig. Aber nichts ist geschehen. Wir wollten Diskussionen und Debatten organisieren. Aber das wurde nicht erlaubt. Der große Held der Kampagne war der Chef der zentralen Wahlkommission, der endlos über die Erfolge der weißrussischen Demokratie geredet hat.

Was kann man tun, um die jetzige Situation aufzuweichen?

Milinkiewitsch: Der Weg zur Demokratie ist nicht einfach. Keine Diktatur gibt freiwillig seine Machtfülle ab. Aber es gibt eine Chance in Weißrussland, dass die Behörden Zugeständnisse machen. Nur aus einem Grund: Sie fühlen die große Gefahr einer massiven Wirtschaftskrise. Oder noch schlimmer: Sie fürchten um ihre ökonomische Unabhängigkeit. Nur darum haben sie dieses Spiel mit der EU und den USA begonnen. Es ist der Versuch, eine Demokratisierung zu simulieren und damit Investoren zu locken.

Der starken Führung in Weißrussland steht eine sehr schwache, in sich gespaltene und zerstrittene Opposition gegenüber. Warum?

Milinkiewitsch: In der Sowjetunion gab es eine kleine Gruppe von Dissidenten. Und die wurde sanktioniert und unterdrückt. Es ist ein sehr einfaches und effektives System von Repression: Menschen, die eine Demokratisierung fordern, werden schlicht und einfach aus ihren Jobs gefeuert. Das ist eine sehr effektive Methode. Menschen, die uns während der Kampagne halfen, die vielleicht Zeitungen verteilt haben, werden jetzt gekündigt. So etwas erzeugt große Angst. Selbst in den letzten Jahren der Sowjetunion herrschte nicht ein solches Klima der Angst wie jetzt. Unter solchen Umständen kann man nicht sagen, dass die Opposition schwach ist.

Wie groß ist die Opposition?

Milinkiewitsch: Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: In meinem Wahlkampf vor zwei Jahren hatten wir 5000 registrierte Helfer. Also Menschen, die mit ihrem Namen, ihrer Passnummer, ihrer Adresse gesagt haben: Wir sind gegen die Führung. Und unterstützt wurden wir von einer noch größeren Anzahl an Menschen, die uns mit ihrer Unterschrift, also mit ihrem Namen, unterstützt haben. Das waren mehr als 200.000 Menschen. Aber natürlich: Sehr viele Menschen wählen den Weg des Konformismus.

Das größte Argument, mit dem das Regime für sich wirbt, ist Stabilität und der etwa im Vergleich zur Ukraine relativ hohe Lebenstandard. Was kann die Opposition dem entgegensetzen?

Milinkiewitsch: Minsk ist sauber und ordentlich. Das stimmt. Aber das gab es auch in der Sowjetunion. Man nennt die Weißrussen auch gerne die slawischen Deutschen. Wir mögen Ordnung, wir mögen saubere Parks und Gehsteige. Das wissen und nutzen die Behörden. Über die letzten Jahre hatten wir ganz verschiedene Slogans der Behörden, die genau darauf abgezielt haben. Alle offiziellen Kandidaten sagen, sie sind für Ordnung und Stabilität.

Nach den Parlamentswahlen am 28. September gingen in Minsk die Menschen auf die Straße, um gegen den undemokratischen Verlauf zu protestieren /  Jan Zappner, n-ost

Was setzen Sie dem entgegen?

Milinkiewitsch: Wir sagen, wir sind für Veränderungen. Ich bin sicher, dass die Mehrheit der Belarussen auf unserer Seite ist, was das angeht. Auch ältere Menschen. Wir sprechen heute vom weißrussischen Wirtschaftswunder. Aber seit vielen Jahren basiert das nur auf der Hilfe Russlands. Jetzt bockt Russland in der Wirtschaftshilfe. Der Gaspreis wird in zwei Jahren Weltmarkt-Niveau erreichen. Und wir sind darauf nicht vorbereitet. Wir müssen dringend die Wirtschaft modernisieren. Außerdem haben die Behörden immer weniger Geld für Sozialmaßnahmen. Und das wirkt sich gegen sie aus.

Wo sehen Sie Belarus? Als Partner von Russland? In der EU? Dazwischen?

Milinkiewitsch: Ich sehe unsere Zukunft in der EU. Ich weiß, dass der Weg dorthin sehr weit ist. Wir müssen sehr viel verändern. Aber angesichts unserer Tradition, unserer Mentalität und Geschichte sind wir Europäer. 30 Prozent der Menschen denken wie ich. Das ist sehr viel. Sie dürfen nicht vergessen, dass das Regime hier jahrelang massive anti-europäische Propaganda betrieben hat. Wenn man fragt, ob die Weißrussen zu Russland wollen, befürworten das nur zwei bis drei Prozent. Warum? Sie wollen nicht, dass ihre Kinder in Tschetschenien oder Georgien kämpfen müssen. Sie wollen nicht, dass Oligarchen das Land aufkaufen. Sie wollen nicht so eine Kriminalitätsrate wie in Russland.
„Lukaschenko ist der letzte Diktator Europas“ steht auf dem Plakat der Protestler/ Jan Zappner, n-ost

Was wäre das erste, das Sie in diesem System verändern würden?

Milinkiewitsch: Das wichtigste ist, ein System zu finden, in dem die Führung nicht eingesetzt, sondern vom Volk bestimmt wird. Die Menschen müssen den Staat kontrollieren. Es gibt heute in diesem Staat keine Machtteilung. Die Befugnisse des Präsidenten müssen beschnitten werden. Wir wollen ein parlamentarisches System. Viel muss in der Wirtschaft getan werden. Da stehen harte Reformen an. Und dann natürlich die Zivilgesellschaft: Wir sind das letzte postsowjetische Land, in dem es noch immer den KGB gibt. Das Land muss einfach geöffnet werden. Was wir auf jeden Fall brauchen, ist die Hilfe der EU. Ohne sie werden wir unter dem Protektorat Russlands landen.


Weitere Artikel