Belarus

"Lukaschenko will die Angst schüren"

Die zahlreichen Argumente belarussischer Menschenrechtler, selbst das Flehen einer Mutter hat nicht geholfen. Das Oberste Gericht in Minsk verurteilte gestern (Mittwoch) Wladislaw Kowaljow und Dmitrij Konowalow, beide 25 Jahre alt, zum Tod durch Genickschuss. Die beiden sollen in Belarus drei Terroranschläge verübt haben, zuletzt den Anschlag auf die Minsker Metro im April dieses Jahres, bei dem 15 Menschen starben und 200 weitere verletzt wurden. Konowalow wurde wegen „Terrorismus“ schuldig gesprochen, Kowaljow soll von den Plänen gewusst haben. Das Urteil könnte bereits heute vollstreckt werden. Es besteht kein Recht auf Einspruch.

„Ich weiß, dass jetzt viele Menschen zu Hause sitzen und weinen“, kommentierte die belarussische Bürgerrechtlerin Olga Karatch das Urteil. Karatch rechnet damit, dass die beiden Verurteilten noch vor Weihnachten hingerichtet werden. „Lukaschenko hat damit sein Ziel erreicht: Angst unter den Menschen zu schüren.“

Auch der Oppositionelle Alexander Atroschankau reagierte in einer ersten Reaktion auf das Urteil entsetzt: „Unser ganzes politisches System, ohne öffentliche Kontrolle, ohne Gewaltenteilung, wird immer gefährlicher, nicht nur für Belarussen, sondern die für die ganze Region.“ Atroschankau war Pressesprecher von Andrej Sannikow, einem oppositionellen Kandidaten während der vergangenen Präsidentschaftswahlen, der derzeit im Gefängnis sitzt. Das Verfahren habe gezeigt, dass die beiden Angeklagten Teil eines größeren Spiels seien. „Aber es wurde alles dafür getan, um die Wahrheit vor dem Volk zu verbergen“, so Atroschankau. „Und die Todesstrafe ist der letzte Schritt zu diesem Ziel.“

Denn hartnäckig halten sich in Belarus Zweifel an der Schuld der Verurteilten. Ein Video, das sie am Tag des Anschlages in der Metro-Station zeigen soll, ist laut Verteidigung manipuliert worden. Die Geständnisse der beiden Männer seien unter Folter abgepresst worden. Konowalew hatte den Metroanschlag zu Beginn des Prozesses gestanden. Kowaljow erklärte in seinen letzten Worten vor Gericht, er habe beim Verhör unter psychologischem Druck gestanden.

Schon in der vergangenen Woche hatten sich belarussische Menschenrechtler mit einer gemeinsamen Erklärung an die Öffentlichkeit gewandt, nachdem die Minsker Staatsanwaltschaft zum Abschluss der Beweisaufnahme die Todesstrafe für die beiden Angeklagten gefordert hatte. Das Gericht solle auf die Todesstrafe verzichten, so die Forderung der Verfasser. Seit der Unabhängigkeit 1991 wurde die Todesstrafe in Belarus laut Amnesty International bis zu 400 Mal vollstreckt.
In einem weiteren Brief hatte die Mutter Kowaljows den belarussischen Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko gebeten, kein „unschuldiges Blut“ fließen zu lassen. „Und wenn Sie unbedingt müssen, erschießen Sie lieber mich als zwei unschuldige junge Männer. Ich habe genug gelebt.“ Im ersten Brief, den Ljubow Kowaljowa von ihrem Sohn aus der U-Haft bekam, stand: „Mama, glaub denen nicht.“

Die Bürgerrechtlerin Olga Karatch stammt aus Witebsk, dem Geburts- und Wohnort der beiden mutmaßlichen Attentäter. Sie gehört zu den Belarussen, die hinter dem Anschlag in Minsk nicht etwa die zwei Witebsker Handwerker Kowaljow und Konowalow vermuten, sondern die Staatsmacht selbst. Die politische Führung habe nach dem Vorbild des Sowjetdiktators Josef Stalin mit Terror von der Krise im Land ablenken wollen, so lautet die vor allem in Internet-Blogs verbreitete These.

Olga Karatch ist eine der wenigen, die dafür mit ihrem Namen gerade steht. In einem offenen Brief an den Präsidenten hatte sie kurz nach dem Anschlag die Verdachtsmomente aufgezählt. So habe Lukaschenko vor dem Anschlag auffällig oft vor solchen Aktionen geplant. Außerdem habe für den zusammengebrochenen öffentlichen Nahverkehr an diesem Tag überraschend schnell ein Ausweichplan bereitgestanden.

Olga Karatsch wurde daraufhin wegen Beleidigung des Präsidenten angeklagt. Das Verfahren läuft noch. Das gestrige Entscheidung in Minsk ist wohl unumkehrbar. Nach der mehr als vierstündigen Urteilsverkündung riefen viele der rund 500 Zuschauer im Gerichtssaal laut „Schande“.


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