6 MILLIARDEN EURO FÜR OPFER VON ENTEIGNUNGEN
(n-ost) – Dieses Gesetz dürfte für viel Wirbel sorgen: Das polnische Ministerium des Staatsschatzes, dass vor allem Unternehmen und Immobilien in Staatshand verwaltet, hat einen Gesetzentwurf über die „Genugtuung“ von Opfern von Enteignungen in den Jahren 1944-1962 vorgelegt. Im Raum steht eine Summe in Höhe von 20 Milliarden Zloty, also umgerechnet rund 6 Milliarden Euro. Die will der Staat durch Privatisierungen von Staatseigentum erlösen, um das Geld dann über einen Fonds an Geschädigte auszuzahlen, die Ansprüche vorbringen. Ansprüche stellen können ausdrücklich auch Personen, die bereits nach der Okkupation 1939 vom deutschen Nazi-Regime enteignet worden waren und deren Besitz später das kommunistische Polen von den Nazis übernahm. Nutznießer sollen zwar alle Geschädigten sein, die zum Zeitpunkt der Nationalisierungen polnische Staatsbürger waren, darunter auch polnische Juden. Doch gibt es bereits erste Kritiker, die auch Forderungen von deutscher Seite befürchten, vor allem die Stadt Szczecin (Stettin) betreffend. So ist nach Meinung des polnischen Historikers Bogdan Musial die im Gesetzentwurf verankerte Berufung auf das Potsdamer Abkommen ein folgenschwerer Fehler. Zwar sind laut der Gesetzesvorlage Personen, die ihr Eigentum auf Basis der Beschlüsse des Potsdamer Abkommens und der dort vereinbarten Kriegsreparationen verloren haben, von möglichen Genugtuungszahlungen ausgeschlossen. Das Problem liege aber darin, so der Historiker des Instituts für Nationales Gedenken (IPN), dass die Stadt Szczecin westlich der Oder liege – in den Potsdamer Verträgen jedoch von Gebieten östlich der Oder die Rede ist. Stettin wurde erst im Juli 1945 von den Sowjets an Polen übergeben, die deutsche Bevölkerung wurde in der Folge weitgehend vertrieben. Die Enteignungen und Nationalisierungen in der Stadt könnten also laut dem Gesetzentwurf Gegenstand von Forderungen aus Deutschland werden, schlussfolgert Musial. Dieser Ansicht widerspricht jedoch das Schatzministerium. Laut dem Gesetzentwurf sollen nämlich nur natürliche Personen Nutznießer sein können, die zum Zeitpunkt der Enteignung polnische Staatsbürger waren, sagt Sprecher Maciej Wewior. Ausgeschlossen sind juristische Personen wie etwa Unternehmen oder öffentliche Körperschaften. Daher sei das Gesetz auch für etwaige deutsche Forderungen bezüglich Szczecin versperrt, so der Sprecher. Genau dies kritisieren Vertreter der Preußischen Treuhand. Die private Handelsfirma, die im Namen von Vertriebenen Rechtsansprüche etwa gegenüber Polen vorbringt, übt scharfe Kritik an dem Gesetzesvorhaben. Rudi Pawelka, Gründer und Aufsichtsrat der Gesellschaft, droht Polen gar mit Klagen in den USA und fordert „die Berücksichtigung der Vertriebenen im Prozess der Reprivatisierung“. Ein Ausschluss vertriebener und enteigneter Deutscher aus dem Privatisierungsprozess in Polen sei eine gesetzeswidrige Diskriminierung, sagte Thomas Gertner, der Anwalt der Treuhand, gegenüber der polnischen Tageszeitung „Rzeczpospolita“. Ein polnischer Professor der Rechtswissenschaften, der anonym bleiben wollte, sprach auf Anfrage hingegen von „historischer Gerechtigkeit“, die im Ausschluss von Deutschen aus dem geplanten Genugtuungsgesetz ihren Ausdruck finde.Der Gesetzentwurf soll noch im Oktober dem polnischen Kabinett vorgelegt werden. Im November soll die Vorlage im polnischen Parlament eingebracht werden – spätestens dann dürfte es zu heftigen Auseinandersetzungen kommen. Zwar wollte die oppositionelle Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Ex-Premier Jaroslaw Kaczynski noch keine Stellungnahme abgeben. Doch sollte bei der weiteren Arbeit an dem Entwurf auch nur der kleinste Verdacht möglicher Schlupflöcher für deutsche Forderungen auftauchen, dürfte die Ablehnung der national-konservativen PiS fundamental ausfallen. Ganz und gar nicht einverstanden mit der Gesetzesvorlage sind bereits jetzt Vertreter der einstigen Entschädigungsopfer in Polen. Miroslaw Szypowski, Vorsitzender der Polnischen Union der Immobilienbesitzer (PUWN), verweist darauf, dass 70 Prozent der einst nationalisierten Immobilien immer noch dem Staat gehören. „Daher sollte die Rückgabe auch in Natura erfolgen“, sagte er. Vorgesehen ist aber grundsätzlich eine Genugtuung in Geldform – gestreckt über einen Zeitraum von 15 Jahren. Den Wert der von den deutschen Besatzern und polnischen Kommunisten 1939-1962 enteigneten Vermögen und Immobilien schätzt die PUWN auf 85 Milliarden Zloty, umgerechnet etwa 25 Milliarden Euro. Das Schatzministerium spricht gar von 100 Milliarden Zloty (29,7 Milliarden Euro) – die veranschlagten 6 Milliarden Euro für die Zahlung im Rahmen des geplanten Gesetzes bilden damit rund 20 Prozent des einstigen Wertes. Die Gesetzesinitiative der Regierung hat zugleich einen sehr pragmatischen Hintergrund: Polen ist nach Angaben des Schatzministeriums bislang das einzige Land in Mittelosteuropa, dass noch keine Entschädigungsregelung für Enteignungen gefunden hat. Dadurch entstünden Unsicherheiten bei Investitionen, vor allem bei Betrieben und Immobilien, die bislang der Staat halte und die er privatisieren möchte. Es kann nämlich kein Staatseigentum veräußert werden, wenn der ehemals enteignete Besitzer vor Gericht auf Rückgabe klagt, so die Begründung aus dem Ministerium.Der Präsident des World Jewish Congress (WJC), Ronald S. Lauder, hatte bereits im Juni bei einem Treffen mit dem polnischen Premierminister Donald Tusk die Forderung bekräftigt, Polen müsse ein Gesetz auf den Weg bringen, das auch enteignete Juden aus Polen berücksichtigt. Lauder verwies in einem Zeitungsbeitrag darauf, dass der WJC zusammen mit der World Jewish Restitution Organisation (WJRO) bereits Entschädigungsabkommen mit anderen Staaten, darunter postkommunistischen Ländern Mittel- und Osteuropas, ausgehandelt habe. Polen zählt jedoch bislang nicht dazu.
ENDE
Nachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 – 0