"WIR HÄTTEN KÄMPFEN SOLLEN"
(n-ost) - "Wir hätten damals kämpfen sollen", sagt General Tomas Sedlacek und spricht dabei von den letzten Septembertagen des Jahres 1938. In dieser Zeit erreichte die Sudetenkrise ihren Höhepunkt. Das NS-Regime in Berlin unterstützte die Autonomieforderungen der Sudetendeutschen Partei. Für Hitler war dies ein Mittel, um die Zerschlagung der Tschechoslowakei zu erreichen. Im März 1938 hatte Hitler an Konrad Henlein, den Führer der Sudetendeutschen Partei, die Marschroute ausgegeben, an die tschechoslowakische Regierung unerfüllbare Forderungen zu stellen. Im September drohte Hitler mit dem Einmarsch in die Tschechoslowakei. Europa stand am Rande eines neuen Krieges. Gespannt schaute man auf Prag und Berlin.Die tschechoslowakischen Verbündeten Frankreich und Großbritannien versuchten angesichts der heraufziehenden Kriegsgefahr einen Kompromiss zu erreichen. Das vermeintliche Ende dieser Krise markiert das Münchener Abkommen, das vor 70 Jahren in der Nacht vom 29. auf den 30. September 1938 um 1.30 Uhr in München unterzeichnet wurde. Unterzeichner waren Hitler, Mussolini, der britische Premier Chamberlain und der französische Ministerpräsident Daladier. Das Abkommen bestimmt die Abtretung der Sudetengebiete an das Deutsche Reich.Die Tschechoslowakei war zu den Verhandlungen gar nicht eingeladen worden. Der Regierung in Prag wurde lediglich eine Liste mit Forderungen vorgelegt. Von den Verbündeten alleine gelassen, akzeptierte Prag notgedrungen das Abkommen. Der Staat verlor in der Folge ein Gebiet mit einer Fläche von rund 29.000 km², in denen 3,6 Millionen Einwohner lebten, davon 719.000 tschechischer Nationalität.Am 1. Oktober marschierte die Wehrmacht in die Sudetengebiete ein. Viele Tschechen verließen gezwungenermaßen oder aus Furcht vor Unterdrückung die besetzten Gebiete. Auch viele jüdische Bewohner sowie Sozialdemokraten und Kommunisten flüchteten ins Binnenland. Präsident Edvard Beneš trat am 5. Oktober zurück und ging ins Exil.Der britische Premier Chamberlain erklärte nach seiner Rückkehr nach England, das Abkommen habe den "Frieden für unsere Zeit" gesichert. Das erwies sich als großer Irrtum. Nicht einmal ein halbes Jahr nach dem Münchener Abkommen zerschlug Hitler die Tschechoslowakei und errichtete das von ihm so genannte "Protektorat Böhmen und Mähren". Wieder kam den Tschechen niemand zu Hilfe. Ein weiteres halbes Jahr später entfesselte Hitler mit dem Überfall auf Polen endgültig den Zweiten Weltkrieg.Das Münchener Abkommen ist in Tschechien bis heute für viele ein Symbol des Verrats und wird häufig als Münchener Diktat bezeichnet. Die Redewendung "Ohne uns, über uns" wurde in diesem Kontext geprägt. Bis heute wird in Tschechien die Frage diskutiert, ob sich die Tschechoslowakei damals hätte militärisch verteidigen sollen, obwohl die Chancen auf einen Sieg gegen die Wehrmacht wohl mehr als gering gewesen wären. Seit dem so genannten Anschluss Österreichs im März 1938 befand sich die Tschechoslowakei in einer Zange."Damals waren viele bereit zu kämpfen", betont General Sedlacek. Sedlacek war damals 20 Jahre alt und Artillerie-Leutnant. Vor 70 Jahren gehörte er zu den Demonstranten, die vor dem Sitz des Generalstabs in Prag-Dejvice die Verteidigung der Republik gegen Deutschland forderten. Am 23. September 1938 wurde in der Tschechoslowakei die allgemeine Mobilmachung ausgerufen.Kriegsveteranen sowie ehemalige und aktuelle Soldaten der Tschechischen Armee haben in der vergangenen Woche vor dem Gebäude des Generalstabs in Prag-Dejvice dieses Ereignisses gedacht. Dass die Positionen an der Grenze nach dem Münchener Abkommen kampflos aufgegeben wurden, war für viele Soldaten ein deprimierendes Erlebnis.In diesen Tagen ist die Frage, ob militärischer Widerstand sinnvoll gewesen wäre, wieder ein heiß diskutiertes Thema. Auf einer Historikerkonferenz in Prag kamen die Beteiligten zu dem Schluss, dass es vom militärischen Standpunkt keine Chance für die Tschechoslowakei gegeben hätte, sich zu verteidigen. Kein Staat in Europa wäre bereit gewesen, der C(SR zu helfen. Jan Nemecek vom Historischen Institut der Akademie der Wissenschaften weist darauf hin, dass das wesentlich größere Polen sich nur zwei Wochen lang gegen die Wehrmacht verteidigen konnte. Außerdem wäre die Erneuerung der C(SR nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gefährdet gewesen, weil sie vielleicht als Initiator des Kriegs gegolten hätte.Der Historiker Eduard Stehlik betont hingegen, dass die tschechoslowakische Armee nicht so schlecht ausgestattet gewesen sei. Einen Blitzkrieg wie gegen Polen hätte die Wehrmacht gegen die Tschechoslowakei seiner Ansicht nach nicht führen können. Man hätte einen Krieg wohl sehr wahrscheinlich verloren, "aber dafür mit Ehre", wie er betont. Polen zum Beispiel habe gekämpft und habe bis heute seine Kriegshelden und Kampferinnerungen. Den Tschechen habe die Kapitulation den Ruf eingebracht, eine Nation zu sein, die nicht schieße und lieber "den Schwanz einziehe".Auf das Münchener Abkommen wird bis heute von Politikern und Publizisten in aktuellen politischen Diskussionen in Tschechien Bezug genommen. So kritisierten viele Kommentatoren die Anerkennung des Kosovo mit einem Hinweis auf das Münchener Abkommen. In beiden Fällen hätten die Großmächte über die Abtrennung eines Gebiets entschieden, ohne die Regierung des betroffenen Landes einzubeziehen. Mit dem gleichen Hinweis wurde auch die Anerkennung der abtrünnigen Gebiete Georgiens durch Russland verurteilt.Seit Juli ist im Kolowrat-Palais in Prag eine Kopie des Münchener Abkommens zu sehen. Im Grünen Salon dieses Palais' wurde die damalige Regierung der Tschechoslowakei über den Inhalt des Münchner Abkommens informiert, ohne das Abkommen selbst in die Hände zu bekommen. Bald wird aber auch das Original des Münchener Abkommens zum ersten Mal in Prag zu sehen sein. Deutschland wird das Dokument an Tschechien ausleihen, wo es ab dem 28. Oktober im Nationalmuseum in Prag ausgestellt wird. Noch bis vor kurzem war die Herausgabe des Originaldokuments aus konservatorischen Gründen stets abgelehnt worden. Den Sinneswandel begründete das Außenministerium in Berlin nun damit, dass man unterstreichen wolle, wie gut die gegenwärtigen Beziehungen zwischen Deutschland und Tschechien seien.ENDE Nachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0