Das Maisfeld im Nachbarland
Weinlese bei Familie Cmager. / Veronika Wengert, n-ost
Die weißen Trauben glänzen prall in der Sonne, die sich an diesem Samstagvormittag allerdings nur zögerlich über dem Dörfchen Razkrižje zeigt, ganz im Osten von Slowenien. Über den Hof der Familie Cmager schmettert slowenische Blasmusik im Stil der Oberkrainer aus einem Kofferradio, Dutzende von Kindern und Erwachsenen sind emsig damit beschäftigt, Weintrauben aus einem Anhänger zu schöpfen und die Ernte in einen großen Bottich zu schütten. Weinlese bei Familie Cmager. „Das ist das größte Fest des Jahres für uns”, sagt Hausherrin Marija Cmager. Denn dann kommen alle Freunde und Verwandten zum Helfen, mehr als 40 sind es in diesem Jahr.
Nur wenige Schritte vom Hof ist der Weinberg entfernt, der sich direkt hinter dem Wohnhaus erhebt. „Die Rebstöcke am Hang gehören zu Slowenien, das Maisfeld hier gegenüber ist schon Kroatien“, sagtMarija Cmager. Die 61-Jährige steht auf einem Feldweg, den der Regen der vergangenen Tage aufgeweicht hat und zeichnet den Grenzverlauf mit dem Finger nach. „Die Baumreihe ist noch slowenisch, beim Stein beginnt Kroatien und der Gemüsegarten ist wieder Slowenien”. Ganz gewöhnliche Maisstauden und Bäume bekommen durch ihre Worte eine neue Dimension, denn sie markieren die Grenze zwischen zwei Staaten. Der eine ist seit nunmehr vier Jahren in der Europäischen Union, der andere hängt noch in der Warteschleife in Brüssel.
„Früher hätte niemand gefragt, ob der Feldweg nun kroatisch oder slowenisch ist”, sagt Marija Cmager. „Denn damals war alles Jugoslawien, wir waren ein Volk”. Marija Cmager ist Slowenin und lebt direkt an der Grenze zu Kroatien. Oder besser gesagt, zwischen den Grenzen. Denn wer sie besuchen will, muss einen schmalen asphaltierten Weg einbiegen, der direkt beim slowenischen Grenzposten abzweigt. Und wer nur wenige Meter daran vorbeifährt, findet sich auf einmal vor dem Schiebefenster des slowenischen Grenzbeamten wieder. Dieser zeigt freundlich auf ein Verkehrsschild mit der Aufschrift „Zufahrt nur zum Anwesen der Cmagers gestattet” und öffnet sogleich die Grenzschranke zum Wenden.
Die schmale Zufahrt schlängelt sich den Hügel hinauf, um dann in Marija Cmagers Hof zu münden – der wiederum direkt gegenüber dem kroatischen Grenzhäuschen liegt. Nur ein winziger Bach und eine Landstraße trennen das Anwesen der Cmagers von dem Blech-Container, neben dem die kroatische Flagge weht – weniger als zehn Meter. Die Grenze ist allgegenwärtig in Marija Cmagers Leben: „Sogar nachts im Bett höre ich, was hier am Grenzposten passiert”, sagt sie.
An der slowenisch-kroatischen Grenze: „Zufahrt nur zum Anwesen der Cmagers gestattet“, steht auf dem Schild. Dahinter ist das slowenische Grenzhäuschen zu sehen. / Veronika Wengert, n-ost
Jahrzehntelang gingen die Cmagers von ihrem Hof direkt auf die Straße hinaus. Heute versperrt eine Schranke die Zufahrt – seit Slowenien die Außengrenze des Schengenraumes sichert. Marija Cmager und ihre Familie haben einen Schlüssel bekommen, um die Schranke zu öffnen. Doch seit der Schengen-Erweiterung Ende 2006 sehen die Cramers häufiger Polizisten auf Pferden durch den Weinberg streifen. Und manchmal schauen diese sogar im Hof der Cmagers nach dem Rechten – denn dort beginnt die Europäische Union, zumindest vom Osten aus gesehen.
Marija Cmager hat viele Jahre gekämpft. Um ihre eigene Zufahrt, die ihr Elternhaus in einer Art Niemandsland mit dem Dörfchen Razkrijze in Slowenien verbindet, zu dem das Haus gehört. Nach dem Zerfall Jugoslawiens musste sie zunächst die kroatische, dann die slowenische Grenze passieren – um ihre Einkäufe in Razkrižje zu erledigen. Marija Cmager hat seither schon Dutzende von Journalisten auf ihr Grundstück geholt, um immer wieder auf die absurde Lage ihres Hauses aufmerksam zu machen. Und der Bürgermeister sei wiederholt in die Hauptstadt Ljubljana gefahren, um sich für eine Zufahrt einzusetzen. „Was wissen die in Ljubljana schon, wie wir kleinen Leute hier leben?”, fragt Marija Cmager.
Ihr Kampfgeist führte zum Erfolg: Nach 13 Jahren unermüdlicher Bürokratie, Bittschreiben und einem Gerichtsprozess bekam das Anwesen der Cmagers endlich eine eigene Zufahrt nach Slowenien – und der Pass kann nun getrost zu Hause bleiben, wenn Marija Cmager zum Kirchgang ins Dorf geht. Auch das kroatische Grenzhäuschen wurde zwischenzeitlich um einige Meter verschoben, so dass die Ausfahrt der Cmagers direkt ins Niemandsland zwischen Kroatien und Slowenien mündet – und nicht mehr nach Kroatien. Dennoch spielt sich Marija Cmagers Leben vor den Augen der Grenzbeamten ab. „Das ist auf Dauer mehr als belastend”, sagt sie. Trotzdem bringt sie den Beamten öfter mal selbstgebackenen Kuchen. „Die können auch nichts dafür, das es so ist, wie es jetzt ist”, mildert sie ab.
Der Kampf um die eigene Zufahrt hat Marija Cmagers Nerven blank gelegt, aber auch körperlich an ihr gezehrt. Zunächst wurde Leberkrebs diagnostiziert, lange Zeit lag sie im Krankenhaus von Ljubljana. Als sie sich wieder erholt hatte, stellten die Ärzte einen Tumor am Knie fest und schickten sie aus der Textilfabrik, in der sie gearbeitet hatte, direkt in Frührente. Marija Cmager lächelt müde: „Doch das Leben geht weiter”, sagt sie. Ob sie schon mal ans Wegziehen gedacht habe? Nein, schüttelt Marija Cmager den Kopf. Sicher habe sie sich ihren Lebensabend ganz anders vorgestellt, als er jetzt sei. Viel ruhiger, ohne das Grenzhäuschen vor der Haustür und vor allem mit den beiden Kindern und den drei Enkeltöchtern unter einem Dach. Das sei ihr großer Traum gewesen. „Ich bin hier aufgewachsen und habe mein ganzes Leben, eigentlich mein ganzes Dasein, in das Anwesen investiert”, sagt sie. Jeder Dinar wurde gespart. Mit ihrem Mann Adolf, der sechs Jahre älter und ebenfalls seit einigen Jahren Frührentner ist, sei sie nie in Urlaub gefahren. „Dazu war kein Geld da.”
Ein Leben mit mehreren Generationen unter einem Dach: Das war der Traum von Marija Cmager, hier mit Sohn Branko und Enkelin Nikita. / Veronika Wengert, n-ost
Nun hat sich der Traum von der Großfamilie unter einem Dach aufgelöst: „Die Kinder wären wohl geblieben, wenn der ganze Aufruhr mit der Grenze nicht passiert wäre, doch so konnten sie nicht leben”, sagt sie. Zwar habe sie nun eine Zufahrt, doch einige Jahre zu spät: Die Kinder haben sich inzwischen ihre eigene Existenz aufgebaut. Sohn Branko lebt in Österreich, Tochter Jožica in Slowenien.
Marija Cmager schiebt die schwere Stalltür auf. Zwei rosafarbene mächtige Schweine, die auf Stroh liegen, heben träge ihre Köpfe. Das dritte wurde für das Weinlesefest geschlachtet. Die übrigen Stallplätze sind leer. Früher habe sie mit ihrem Mann Adolf gut 50 Schweine gehalten und vom Verkauf gelebt. Als ihr Haus nicht mehr problemlos von Slowenien erreichbar war, blieben auch die Käufer weg. Der Transport über zwei Grenzen war den meisten zu aufwändig. Zurückgekehrt sind die Abnehmer nicht wieder, auch wenn es mittlerweile die Straße gibt.
Das ist den Cmagers auch mit dem Wein passiert. „Auch den nimmt uns heute keiner mehr ab, wir sind froh, wenn mal jemand zehn Liter kauft, vieles verschenken wir auch einfach”, erzählt Marija Cmager. Auf slowenischer Seite sei die Konkurrenz für Weißwein sehr groß und nach Kroatien könne man aufgrund der Zollbestimmungen nicht ohne Weiteres verkaufen, so wie es früher in Jugoslawien war.
Marija Cmager wirft einen Blick in die Küche. Ihre Tochter Jožica und Schwiegertochter Marijana würzen gerade das Essen für die Weinhelfer. Gemeinsam stemmen sie einen übergroßen blauen Emaille-Topf hoch, der 40 Weinhelfer sattmachen soll. Es gibt geschmorte Bohnen, Buchweizengrütze, grünen Salat mit Kürbiskernöl und natürlich knusprigen Schweinebraten – alles aus eigenem Anbau. Marija Cmagers Mutter Olga, die 87 Jahre alt ist und mit ihnen im Haus lebt, wärmt sich nebenan am Ofen. Trotz des großen Hauses, des Weinbergs und der vollen Weinfässer müssen die Cmagers sehr sparsam wirtschaften.
Denn zu Dritt bekommen Oma Olga, Marija und Adolf Cmager gerade mal 700 Euro Rente – gemeinsam. „Mein Anteil geht eigentlich nur für die Nebenkosten drauf“, sagt Marija Cmager. Für die kleinen Leute habe sich trotz Europäischer Union das Leben nicht verbessert. Die seien nur noch ärmer geworden, da die Preise gestiegen seien. Und dass die Grenze vor ihrem Haus eines Tages wieder verschwinde, daran mag Marija Cmager kaum glauben. „Das werden vielleicht meine Enkel eines Tages erleben”, sagt sie.