Ukraine

Schwierige Rettung eines Juwels

Wenn Iris Gleichmann durch die Straßen von Lwiw läuft, ist ihr Architektenherz hin- und her gerissen. „Sehen Sie diesen Straßenzug? An den Häusern findet man über 100 Meter allein 25 verschiedene Balkons aus mindestens vier Epochen. So etwas ist einzigartig in Europa.“ Doch die Freude über die nahezu vollkommen erhaltene Altstadt wird oft getrübt, denn an jeder Ecke offenbaren sich die massiven Probleme, unter denen Lwiw leidet.

Der historische Kern der ukrainischen Stadt Lwiw (Lemberg) unweit der polnischen Grenze ist seit 1998 UNESCO-Weltkulturerbe. Die Auszeichnung ist für die Stadt Fluch und Segen zugleich: Der Titel ist prestigeträchtig, lockt Touristen an. Doch er bringt auch Auflagen mit sich. Hier setzt die Architektin Iris Gleichmann an, die im Auftrag der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gekommen ist. Es gilt, die ursprüngliche Bausubstanz so weit wie möglich zu erhalten. In kleinen Schritten werden Fenster, Türen, Balkons und Treppenaufgänge aufwendig restauriert. „Es geht darum, ein Bewusstsein bei den Hauseigentümern zu schaffen, dass ihnen ein Schatz gehört und dass es sich lohnt, diesen zu erhalten“, sagt die ukrainische Historikerin Sofia Dyak. Sie unterstützt die GIZ bei ihrer Arbeit vor Ort.

Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus wurde den meisten Mietern ihre Wohnung einfach überschrieben. Mit dieser Verantwortung seien viele überfordert, meint Dyak. Auch finanziell. Um einen kleinen Anreiz zu schaffen, bezuschussen die GIZ und die Stadt Lwiw die Sanierungsarbeiten zur Hälfte. Meist scheitern einfache Instandsetzungsarbeiten aber an unklaren Besitzverhältnissen oder dem hohen Anteil an leer stehenden Wohnungen.

Die ukrainische Bauwirtschaft wurde von der internationalen Finanzkrise stark getroffen und brach im Jahr 2009 schließlich um fast 50 Prozent ein. Die Wohnungspreise fielen in der Folge drastisch. Viele Eigentümer halten ihre leer stehenden Wohnungen daher zurück und warten auf bessere Zeiten. Die ungenutzten Gebäude verfallen.

Investoren bieten Geld, das die Stadt dringend braucht

Die Fußball-Europameisterschaft, die im kommenden Jahr in Polen und der Ukraine stattfindet, ist die nächste große Herausforderung für die Stadt. Lwiw ist einer von vier Austragungsorten in der Ukraine, am 9. Juni etwa trifft die deutsche Auswahl in der Arena Lwiw auf Portugal. Doch es mangelt an Infrastruktur und Hotels. „Oft es ist so, dass ein Investor kommt, viel Geld bietet, und die Stadt schnelle Entscheidungen trifft, die nicht durchdacht sind“, beklagt Beraterin Dyak. So sei es im Fall des Vier-Sterne-Hotels gewesen, das derzeit an der Fedorova-Straße entsteht. Seit dem Sommer läuft die jüdische Gemeinde Sturm gegen den Bau, weil er gefährlich nah an die Ruinen der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Synagoge „Goldene Rose“ heranreicht. „Es ist eine Schande, dass dieser Neubau so nah an etwas so Wertvollem entstehen darf“, ärgert sich Dyak. Seit Jahren sei in der Stadt ein Trend zu beobachten, dass große Investoren Lücken entdeckten und mit Prestigebauten zupflasterten. Auch Gleichmann findet das EM-Hotel „vollkommen überdimensioniert, wie so vieles in dieser Stadt“.

Die Stadtverwaltung beschwichtigt. Serhiy Kiral, Chef des städtischen Außenhandels- und Investmentbüros, bittet, das endgültige Ergebnis abzuwarten: „Bei vielen Gebäuden ist es viel zu früh, um zu beurteilen, ob sie sich ins Stadtbild einfügen. Das kann man erst sagen, wenn die Fassade fertig ist.“ Beim Hotel-Bau in der Fedorova-Straße sei er sich sicher, dass es die Gegend aufwerte. „Außerdem“, sagt Kiral, „brauchen wir dringend Hotels der oberen Kategorie in der Stadt.“

Die UEFA fordert ein Kontingent an Hotelbetten

Dieses Argument bringt auch Lwiws Bürgermeister Andrjy Sadovjy an. Die UEFA fordert eine bestimmte Anzahl von Betten im Vier- und Fünf-Sterne-Bereich. Ohne Investoren von außen könne Lwiw diese Vorgaben nicht erfüllen. Die Aufregung um die Fedorova-Straße kann Sadovjy nicht nachvollziehen: „Die Synagoge ist nur noch eine Ruine. Die Überreste wurden konserviert und werden durch das Hotel nicht angetastet.“

Seit dem Sommer herrscht Stillstand auf der Baustelle, denn die jüdische Gemeinde hat einen Baustopp erwirkt. „Das ist in der Tat eine schmerzhafte Maßnahme für den Investor. Er hat bereits mehrere Millionen Griwna, wenn nicht sogar Dollar, in das Projekt gesteckt“, sagt Stadtfunktionär Kiral. Detaillierte Angaben zum Geldgeber will er allerdings nicht machen, man sei um Diskretion bemüht. Nur so viel: Die Firma heiße Ukrainian Investment Company. Sie arbeite im Auftrag der Hotelkette Sheraton.

Noch habe sich der Investor durch die zahlreichen Proteste nicht abschrecken lassen. Er will das Projekt fertig stellen. Doch für die Stadtverwaltung ist das gesamte Unterfangen EM-Hotel trotzdem eine Niederlage. Denn bis zur EURO 2012, die im Juni kommenden Jahres angepfiffen wird, wird der Bau ganz sicher nicht fertig.


Weitere Artikel