Die Avantgarde der Grünberger Winzer
(n-ost) - Die westpolnische Stadt Zielona Góra (Grünberg) feiert ihr Weinlesefest wie jedes Jahr ohne Wein, dafür mit mehr Bier. Noch immer ist der Weinverkauf rechtlich nicht erlaubt. Dabei ist die aus dem alten Grünberg fortgeführte Weintradition längst unentbehrlich geworden für die lokale Identität und das Stadtmarketing Zielona Goras. Es gibt einen Weinberg im Stadtzentrum, ein Weinmuseum und sogar eine wachsende Zahl von Winzern, die sich auf dem Festumzug vorstellen. Seit Jahren kämpfen sie für adäquate Normen für Kleinunternehmer im Weinsektor. Eine Gesetzesinitiative des polnischen Senats soll dem jetzt Rechnung tragen.Eine mit Glück unter dem Ladentisch erstandene Flasche des legendären Grünberger Wein. Kaum ein Winzer ließ sich beim Weinfest auf ein solches Geschäft ein. Foto: Nancy WaldmannDer Grünberger Wein war immer als besonders sauer bekannt. "Strumpflöcher sollte er zusammenziehen", sagten schon die alten Grünberger ironisch über das Getränk. Die örtliche Weintradition ist fast tausend Jahre alt. Und sie ist eine von wenigen Traditionen ehemals deutscher Städte, die nach der Zäsur von 1945 nicht verschwanden -- auch wenn der Weinbau im polnisch gewordenen Zielona Góra in der Nachkriegszeit mehr als Folklore denn als ernsthaftes Unternehmen betrieben wurde. Zwar existierte bald nach dem Krieg ein staatliches Weinkombinat, doch dort stellte man den so genannten "Polish Wine" her, ein belächelter, gesüßter Obstweincocktail - mehr Fusel als Wein.Eine solche Vorgeschichte hat eine ganz besondere Spezies zeitgenössischer polnischer Winzer hervorgebracht, die sich seit einigen Jahren wieder dem traditionellen Weinbau in der Region widmet: Wer etwas auf sich hält und einen halbwegs großen Garten in oder um Zielona Gora hat, pflanzt Reben an und probiert sich als Winzer aus.Roman Grad, Vorsitzender des Winzervereins in Zielona Góra, auf seinem Weinberg in Stary Kisielin. Die Ernte kann bald beginnen. Foto: Nancy WaldmannRoman Grad, Vorsitzender des städtischen Winzervereins, zeigt stolz sein kleines 20 Ar großes Weingut "Julia" hinter seinem Haus am Stadtrand. Die dunklen, dicken Trauben schimmern satt in der Sonne. "2003 nahm mich ein Bekannter mit zu einem Treffen von Winzern. Dort wurde ich gleich mit dem Bazillus infiziert", erklärt er. Sogleich setzte er Reben, erntete vor zwei Jahren die ersten Trauben, der zweite Jahrgang ist schon reif. Der Weißwein steigt einem zwar schnell zu Kopf, schmeckt aber angenehm mild und keineswegs sauer. "Das kommt durch die Klimaerwärmung", meint Roman Grad. "Vor 150 Jahren war das Klima hier etwas rauer. Schon minimale Temperaturunterschiede beeinflussen den Säuregehalt der Trauben."Helmut Moelle relativiert die These: "Dass der Wein jetzt besser schmeckt, liegt auch an besseren Sorten und an besseren technischen Möglichkeiten im Vergleich zu früher." Der Mann vom Gubener Weinbau e.V. präsentiert auf Einladung der Grünberger Winzer Riesling aus eigener Produktion beim Weinfest an einem Stand in der überfüllten Grünberger Fußgängerzone.Die deutschen Winzer aus Guben und die polnischen Kollegen aus Zielona Gora pflegen enge Kontakte, tauschen sich aus über Anbaumethoden und Winzergeheimnisse, bilden sich gegenseitig fort und besuchen sich zur Weinlese. "Guben und Grünberg gehörten bis 1945 gemeinsam zur Niederlausitzer Weinbauregion", fügt Moelle an. Die deutschen Winzer haben einen Vorteil, um die sie die Polen beneiden dürften: Sie dürfen ihren Wein verkaufen - ganz legal als "Brandenburger Landwein".Im Gegensatz zu seinen polnischen Winzerfreunden darf Helmut Moelle die Erzeugnisse seines Vereins Gubener Weinbau e.V. legal vertreiben. Foto: Nancy WaldmannLang und mühselig ist der Kampf der polnischen Winzer um Rechtsnormen im Weinsektor, die einen rentablen Weinbau für Kleinunternehmer erlauben. Marek Jarosz vom Polnischen Wein-Institut Krakau sieht den polnischen Weinsektor noch immer vom kommunistischen Erbe belastet. Seit 1945 sei Polen von seinen traditionellen Weinbaugebieten im ukrainischen Osten abgeschnitten. In der Planwirtschaft des Ostblocks dagegen war Polen als Weinland nicht vorgesehen, sondern produzierte nur Wodka, erläutert Jarosz."Deswegen fehlt uns bis heute ein ordentliches Weingesetz. Für traditionelle europäische Weinländer ist es ein Witz, mit welchen Problemen wir uns hier herumschlagen. Selbst Schweden verkauft inzwischen seinen eigenen Wein, nur wir haben immer noch keinen." Der Weinanbau ist füür Jarosz mehr als ein vielversprechendes Geschäft: "Wein ist doch ein europäisches Getränk. Griechen und Römer tranken Wein - und nicht Wodka!" betont Jarosz. - Wodka, das ist der Trunk der alten Volksrepublik - im Schwarzhandel erworbenes Bestechungsmittel im korrupten Kommunismus. Diese Zeiten sind vorbei, der bekennende Europäer trinkt in Polen Wein.Durch den EU-Beitritt erhielt Polen erstmals den Status eines Weinanbaugebietes. Andere Anbauregionen müssen allerdings keine Konkurrenz fürchten. Kaum ein polnischer Winzer besitzt eine Anbaufläche, die größer als 1 Hektar ist. Je nach Ernte lassen sich daraus etwa 10.000 Flaschen Wein herstellen - gerade ein Lieferwagen voll. Genug für den Hausverkauf. Industrielle Produktionsmengen strebt ohnehin kaum ein Winzer an, der Weinbau ist nur Nebenerwerb.Auch in Polens Weinhauptstadt Zielona Góra macht man sich nichts vor. Winzer Roman Grad: "Im Supermarkt wird Grünberger Wein nicht zu kaufen sein. Ich sehe den Wein als Kennzeichen regionaler Identität und als touristisches Produkt, das man hier vor Ort trinkt." Aber Roman Grads bodenständige Perspektive blieb bisher nur eine Vision. Selbst der Hausverkauf war nicht erlaubt.Die Anforderungen, technischen Standards und Kontrollmechanismen waren bisher an industrielle Produktionsbedingungen angepasst und für Kleinunternehmer, die im eigenen Garten anbauen, unmöglich zu erfüllen. 2006 sollte das Gesetz novelliert werden, aber der damalige Premierminister Jaroslaw Kaczynski blockierte das Projekt. Die Winzer kostete das zwei Jahre.Im August dieses Jahres wurde das Gesetz dann doch unerwartet schnell in Warschau verabschiedet. Es senkt unter anderem die Steuer auf Genussmittel für kleine Winzer und befreit sie von einigen bürokratischen Erschwernissen. Bis zum 12. September können die Winzer jetzt ihren für nächstes Jahr erwarteten Weinertrag anmelden.Jarsolaw Lewandowski hat seine Weinproduktion schon in Warschau angemeldet. Im kommenden Jahr soll endlich das Geschäft starten. Foto: Nancy WaldmannIn Zielona Gora ist die Freude groß über diese glückliche Wende, ist sie doch dem Engagement des Grünberger Senators Stanislaw Iwan zu verdanken. Viele haben ihre Produktion für nächstes Jahr schon angemeldet und hoffen, mit dem Geschäft starten zu können. Marek Jarosz vom Krakauer Wein-Institut ist dennoch skeptisch: "Zwar gibt es jetzt das Gesetz, aber es fehlen die Vorschriften zur Ausführung. Wir sind von der Willkür der Beamten abhängig, und diese lieben es selbst zu regieren." Dennoch überwiegt auch bei ihm der Optimismus: "Ich glaube im nächsten Jahr wird man polnischen Wein kaufen können."ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0