Slowakei

Der einsame Läufer

Die Stadt zeigt sich von ihrer besten Seite. Der Sommer hat tausende Touristen nach Bratislava gelockt und verleiht ihr südliches Flair. Ivan Strpka hat kein Auge für das Leben auf der Straße. Hinter einer unförmigen Sonnenbrille sitzt er im stickigen Zimmer eines klobigen Büroneubaus mitten in der malerischen Altstadt. Die Fenster sind schon länger nicht geputzt worden. Der Raum hinter den anonymen Türen am Ende des dunklen Gangs ist voller Bücher, Hefte und Manuskripte. „Romboid“ steht handgeschrieben klein am Türschild wie ein Fremdkörper im engen 70er-Jahre-Ambiente.


Ivan Strpka. Foto: Miroslav Nota

Dort entsteht die Literaturzeitschrift, dessen Chefredakteur Strpka ist. Er sitzt an seinem Schreibtisch und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Der Sommer hat ihm nichts als einen Virus gebracht. Strpka schleppt sich trotzdem her, so als wollte er den Virus von seinem mächtigen Körper abschütteln. Slowakische Dichter sind oft bärtige, kräftige Typen. Offenbar ist die kräftige Gestalt nötig, um unter widrigen Bedingungen filigrane Gedichte hervorzubringen.

Die Literaturwissenschaftlerin Ute Raßloff nennt Strpka einen „Steher“. Eigentlich hat ihm der Arzt gesagt, er solle zu Hause liegen. Aber Strpka hält es nicht aus in seiner Wohnung in Petrzalka, der Neubaustadt von Bratislava auf der anderen Seite des Donau-Ufers. Er hat noch zu tun, ein neues Buch wird vorbereitet, da passt ihm der Virus überhaupt nicht.Strpka ist jetzt 64 und lebt seit seiner Jugend für die Poesie. „Er ist besessen von der Literatur“, sagt sein langjähriger Freund Jan Strasser über ihn. Strasser muss es wissen, er ist auch Schriftsteller, manchmal Dichter, am ehesten Publizist. Inzwischen ist er Rentner und ähnlich wie Strpka Lebenskünstler.

„Ich habe immer etwas gemacht, wovon ich gut leben und meine andere Kunst finanzieren konnte. Ich habe für das Theater geschrieben, Texte für Kinderlieder entworfen, ich arbeitete als Redakteur bei einer Zeitschrift.“ In dieser Zeit hat Strasser mal die acht Wege beschrieben, mit denen man als Dichter in der Slowakei leben kann. „Das ist nicht einfach“, gibt Strasser zu, obwohl er davon überzeugt ist, dass es geht, „denn die Rahmenbedingungen sind noch zu wenig entwickelt“.

Der slowakische Dichter wurde zu lange – bis in die 90er Jahre hinein – vom Staat unterstützt. Es gibt zu wenig gute Verlage, es gibt keine Stiftungen und die Männer der reichen Witwen, die sich gern um Künstler kümmern würden, sind noch nicht gestorben.“Auch Strpka ist vielseitig, aber er macht nichts aus dem Kalkül heraus, davon leben zu können und ist weit entfernt davon, von einer Witwe gesponsert zu werden. Er hat nicht mal eine Frau, sie hat ihn samt Tochter verlassen, weil er bereit war, für die Kunst seine Ansprüche zu minimieren – bei seinem Freund Strasser ist das allerdings nur der fünfte von acht Wegen.Es bleibt ein Leben immer an der Kippe, weit entfernt, eine Attitüde des armen Künstlers zu sein. Die Wohnung im Neubaublock ist wenig romantisch, sie ist einfach nur günstig. Viel Geld lässt Strpka bei Ärzten.

Ein hartnäckiges Augenleiden macht sie zu seinem ständigen Begleiter. Darum die Sonnenbrille. Strpka schlägt sich durch, so wie damals, als er für einige Zeit in den Westen ging. Sein Land war gerade mit Panzern „befriedet“ worden. Ihn lockte Hamburg, der Hafen, das Meer. Grenzenlose Freiheit. Er wollte eigentlich anheuern, blieb aber dann doch auf dem Land und zog weiter, immer von einem Tag auf den anderen lebend. Irgendwann vermisste er die Heimat, seine Stadt und kehrte zurück zu Frau und Tochter, aber auch in die Unfreiheit. Strpka schreibt Gedichte, die nur schwer zu ihren Lesern finden. Und das schon seit über 40 Jahren. Immer steht ihnen etwas im Wege. Mitte der 60er Jahre nannte er sich mit seinen Dichterfreunden Ivan Laucik und Peter Repka die „Einsamen Läufer“. Das war körperlich ernst gemeint, denn alle drei liefen, die beiden Ivans die Langstrecke, Repka auf der mittleren Distanz.


Ivan Strpka plagt das Gefühl eines einsamen Läufers. Foto: Miroslav Nota

Aber vor allem war es ein Programm: „Unser Gefühl, das uns unentwegt verfolgt, ist das Gefühl der Einsamkeit des Läufers, der seine Bewegung auf unbekanntem Weg vollführt, entfernt von Start und Ziel, welches er nicht kennt, er läuft, also ist er“, heißt es in ihrem Manifest Navrat anjelov (Rückkehr der Engel). War solche Eigensinnigkeit in der Tauwetterphase der Sechziger Jahre noch geduldet, ereilte Strpka nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen 1968 Publikationsverbot, das erst Ende der 80er Jahre aufgeweicht wurde. Da vertonte der Rocksänger Dezo Ursiny Strpkas Gedichte und entriss sie und den Dichter so dem Vergessen. In der Zwischenzeit schrieb er für die Schublade und verdiente sein Geld als Übersetzer portugiesischer und spanischer Texte. Seine staatstreuen Schriftstellerkollegen genossen indes ein fürstliches Salär und hohe Auflagen, egal, ob sie jemand lesen wollte oder nicht.Das änderte sich erst mit der Wende 1989. Doch zu schnell kam die Ernüchterung. Zwar konnte Strpka inzwischen publizieren. Das autokratische Regime des Premierministers Vladimir Meciar hielt jedoch die Privilegien für genehme Autoren aufrecht. Strpkas Wochenzeitung „Kulturny zivot“ dagegen wurde weggespart. Er begab sich wieder auf die Flucht, reiste nach Portugal und Brasilien. „Alles Low Budget“, wie er sagt. Die Unsicherheit war ein ständiger Begleiter, aber der Wille frei zu sein, stärker.


Ivan Strpka unterwegs in der Stadt. Dort trifft er seine Schriftstellerkollegen. Foto: Miroslav Nota

Ein Relikt aus jener Zeit der Privilegien ist eine Kantine. Der Schriftstellerverband schenkt dort verbilligt Essen für seine Mitglieder aus. Vor der Kantine pflückt eine ältere Frau Klaräpfel von einem Baum. Der neue Reichtum der Boomtown Bratislava wird ungleich verteilt. Das ist auch in der Kultur so. Jan Strasser hält sie für unterfinanziert. „Außerdem wird zu wenig lebendige Kunst gefördert, zu viel Geld geht in Verwaltung.“ Das bekommt auch Strpka zu spüren. Einerseits ist Geld für so diffuse Projekte wie billigeres Essen da. Andererseits muss er um jede Krone kämpfen, wenn es um die Literaturzeitschrift „Romboid“ geht.Wenn Strpka unterwegs ist, trifft er häufig Freunde und Kollegen. Die Stadt ist klein, die Kollegen verabreden sich spontan für den Abend, um die neue Ausgabe zu besprechen. Manchmal grüßt Strpka nur. Der „Einsame Läufer“ ist nicht allein. Er hat das, was heute ein gutes Netzwerk genannt wird. Aber in der Slowakei ist das keine neuzeitliche Erscheinung. „Die Slowaken sind so, sie helfen einander, der Familiengedanke ist da viel ausgeprägter. Das ist eben ein katholisches Land. Da wird keiner allein gelassen“, beschreibt Ute Raßloff die Psyche des Volkes.

Die Literaturwissenschaftlerin hat früher hier gelebt und bereist das Land seit dreißig Jahren. Familiär – das ist in der Slowakei auch die Kultur. „Kultur wird allgemein als Privatsache betrachtet und muss daher nicht gefördert werden“, erklärt Strpka. „Davon ausgenommen ist natürlich die ‚offizielle Kunst’ wie unser überteuertes protziges Nationaltheater, das noch von den Kommunisten geplant wurde.“ Wenn er über die fehlende Anerkennung der Kultur wettert, erinnert er wieder an den „Einsamen Läufer“. Er spricht über Kultur und eigentlich spricht er über sich. Denn die mageren Zuschüsse für die Zeitschrift bedeuten auch ein mageres Gehalt für ihren Chefredakteur. Die kräftige Dichterhand wischt das aber beiseite. „Es ist nicht nur der Staat, der sich der Verantwortung entzieht, auch die Gesellschaft ist desinteressiert“, sagt Strpka enttäuscht. Es herrsche eine Massenkultur. „Wir haben hier eine Demokratie, und die besagt angeblich, dass sich das durchsetzt, was die Masse will. Ich habe kein Problem damit, dass die Masse bekommt, was sie will. Aber die intellektuelle Minderheit muss sich um ihre Kultur kümmern.“ Strpka beklagt die mangelnde Fähigkeit, authentische Kunst zu identifizieren. „Und es gibt zu wenig gute Verlage und Buchhandlungen. Wir sind ein kleines Land, wo das Interesse zu gering ist.“Wieder kommt dem einsamen Dichter der Leser abhanden. Wieder scheint Strpka etwas im Weg zu stehen. Was bedeutet das für ihn, wenn er kein Publikum mehr hat? „Natürlich ärgert es mich. Aber ich schreibe weiter, ich bin Künstler.“ Und das ohne Lamento.


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