HOCH-ZEIT FÜR SIMULANTEN
(n-ost) - Doktor Grünstein aus Jaroslav Haseks "Schwejk" hätte in diesem Sommer seine wahre Freude gehabt. Besagter Stabsarzt hatte in dem Bestseller dafür zu sorgen, dass Kranke und Verwundete recht schnell wieder fit fürs Schlachtfeld gemacht wurden. Für ihn waren alle seine Patienten schlichtweg Simulanten.Die Freude Grünsteins hätte sich an der Tatsache entzündet, dass die Tschechen in den Sommermonaten erstaunlich häufig krank waren. Seit Anfang Juli stieg die Krankenquote um zehn Prozent im Vergleich zum Vormonat. Die Wirtschaftszeitung "Hospodarske noviny" schrieb vom einem "Sommer der Simulanten".Das Blatt fand in einer landesweiten Umfrage zugleich den Grund für den erhöhten Krankenstand heraus: Im Juli hatte in Tschechien das Verfassungsgericht eine Gesetzesänderung außer Kraft gesetzt. Diese besagte, dass für die ersten drei Krankheitstage kein Krankengeld in Höhe von 60 Prozent des Durchschnittslohnes mehr gezahlt werden müsse. Daraufhin sank der Krankenstand sichtlich. Nun, nach der Aufhebung dieser Verordnung, kam der erneute Anstieg der Zahlen.Vor allem Menschen mit geringerem Einkommen gingen häufiger zum Arzt. Sie kamen finanziell gut dabei weg. Das Krankengeld wird nämlich auch an den Wochenenden gezahlt und muss im Gegensatz zum Gehalt nicht versteuert werden. Der Chef der Wirtschaftskammer Jiri Stefek brachte es auf den Punkt: "Einige Leute haben sich im Sommer mit der Krankheit hübsch die Wochenenden verlängert."Auffällig sei auch der hohe Anteil von Handwerkern unter den Kranken. Das lege den Verdacht nahe, dass diese im Sommer lieber in den Wochenendhäusern betuchter Leute schwarz arbeiteten.Einen Krankenschein zu bekommen, ist den Experten zufolge in Tschechien kein großes Problem. Die Ärzte selbst räumen ein, in dieser Frage großzügig zu sein: "Auch wenn wir unsere Zweifel haben, füllen wir lieber den Krankenschein aus, als uns dem Vorwurf auszusetzen, wir würden die Probleme der Patienten unterschätzen." Der Krankenstand ist in Tschechien denn auch deutlich höher als etwa in Polen, Ungarn oder der Slowakei.Zur Sorge der Ärzte, sie könnten die Probleme ihrer Patienten nicht ernst genug nehmen, gibt es laut Arbeitsministerium keinen Anlass. Der Sprecher des Ministeriums Jiri Sezemsky sagt: "Nach vergleichenden Studien ist der Gesundheitszustand der Tschechen besser als in den Nachbarländern." Einen weiteren Arzt hinzuzuziehen, der die Diagnose überprüft, ist in Tschechien nicht üblich. Dafür fehlt den Kassen schlichtweg das Geld.Doktor Grünstein aus "Schwejk" hatte seine eigenen Methoden, mit den "Simulanten" umzugehen. Denen verpasste er entweder eine absolute Diät, wiederholtes Magenausspülen, Einläufe oder Packungen mit eiskalten Leinentüchern. Die Zeiten solch harter Bandagen liegen glücklicherweise fast hundert Jahre zurück, wird sich so mancher neuzeitliche Simulant sagen.
Hintergrund:Die tschechischen Ärzte stellten von Januar bis Juni 2008 mehr als eine Million Krankschreibungen aus. Durchschnittlich waren die Patienten 39, 3 Tage krank. 33 Prozent der Patienten erkrankten montags, 20 Prozent dienstags, an den Wochenenden waren es nur zwei Prozent. Tschechen gehen doppelt so häufig zum Arzt wie Deutsche oder Österreicher, durchschnittlich einmal im Monat. Das ist einsame Spitze in der EU.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0