Ukraine

Freie, aber käufliche Presse

Es laufen die Spätnachrichten im ukrainischen Fernsehkanal 1. Ein Thema ist der Fall Tschernowezki: Das Stadtoberhaupt von Kiew konnte sich bei den Bürgermeisterwahlen im Mai durchsetzen und blieb im Amt – das, obwohl im Vorfeld der Wahlen massive Korruptionsvorwürfe gegen Tschernowezki laut geworden waren. Ein ausgewogener, kritischer Beitrag wie dieser – undenkbar etwa im Fernsehen des Nachbarlandes Russland, wo inzwischen so gut wie alle Medien unter staatlicher Kontrolle sind.

„Davon ist die Ukraine zum Glück weit entfernt“, sagt Nico Lange vom Kiewer Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung. „Seit der Orangenen Revolution gibt es eine Pressefreiheit wie in keinem anderen Land des GUS-Raums.“ Im Gegensatz zu Ländern wie Russland, Weißrussland und auch Georgien gebe es in der Ukraine eine pluralistische und kritische Berichterstattung über alle politischen Themen sowie eine Ausgewogenheit vor den Wahlen, „die selbst für viele westliche Demokratien nicht selbstverständlich ist. Da ist die Ukraine in dieser Region ein leuchtendes Beispiel“.

Doch bei genauerem Hinsehen verblasst auch der Glanz der ukrainischen Pressefreiheit. Zwar finden sich tatsächlich alle wichtigen politischen Kräfte des Landes in den Medien wieder. Das liegt jedoch vor allem daran, dass die Parteien bislang über die nötigen Finanzen verfügen. Denn politische Berichterstattung vor allem im Fernsehen wird in der Regel von den jeweiligen Akteuren bezahlt, weiß Nico Lange aus seiner Arbeit vor Ort: „Wenn ein Politiker in einer Talk-Show auftreten will, gibt es eine klare Ansage vom Sender, wie teuer das sein wird.“„Dschinza“ – Jeanshose, so heißt das System bezahlter Beiträge im Volksmund, weil das Geld sofort in den Hosentaschen der Redakteure verschwindet. Dass diese Praxis zum journalistischen Alltag gehört, ist unter ukrainischen Medienmachern ein offenes Geheimnis. Auch der Chefredakteur der kritischen politischen Wochenzeitung „Zerkalo Nedeli“, Volodymyr Mostovoj, beklagt sich über die zweifelhafte Arbeitsweise vieler seiner Kollegen.

Einen Grund für die Einstellung vieler Journalisten zur Berufsethik sieht er in der schlechten Ausbildung: „Als ich noch in der damaligen Sowjetunion Journalistik studierte, gab es gerade einmal drei entsprechende Fakultäten in der gesamten Ukraine.“ Heute seien es sage und schreibe 41 – von zweifelhafter Qualität. Mostovoj zitiert eine aktuelle Studie, der zufolge, der Bedarf an Redakteuren für die nächsten 400 Jahre gedeckt ist, wenn weiterhin Massen an Journalisten auf den Markt geschwemmt werden.

Mit noch größerer Sorge beobachtet Chefredakteur Mostovoj den Bedeutungsverlust kritischer Berichterstattung. Denn Pressefreiheit bedeutet für ihn auch, dass eine freie Presse Beachtung findet. So sei es zu nächst einmal kein Problem, den ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko zu kritisieren oder andere hochgestellte Politiker. „Aber was nützt das, wenn die Machthabenden das einfach ignorieren und sich nichts ändert? Wenn Sie schreiben, was Sie wollen, aber Ihnen keiner zuhört?“ Seine Zeitung „Zerkalo Nedeli“ stehe aktuell vor allem vor dem Problem, dass die Redakteure nicht wissen, worüber sie schreiben sollen. „Denn alle politischen Skandale, die zur Zeit aktuell sind, über die haben wir schon vor zwei, drei Jahren berichtet, ohne dass das jemanden interessiert hätte.“


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