Tschechien

TSCHECHIEN TRAUERT UM SCHUHKÖNIG BATA

(n-ost) - Schwarze Fahnen wehten am Dienstag an allen öffentlichen Gebäuden der mährischen Stadt Zlin. Lange Schlangen bildeten sich vor der schönsten Villa der Stadt, wo ein Kondolenzbuch ausliegt. Die Stadt, ja ganz Tschechien hat einen großen Sohn verloren: Im kanadischen Toronto verstarb Tomas (Tomik) J. Bata, der"Schuhkönig", kurz vor seinem 94. Geburtstag.Er war der dritte Schuhkönig einer Dynastie, die Vater Tomas 1894 in Zlin begründet hatte. "Zwei Milliarden Menschen leben auf der Erde. Jeder davon braucht jährlich mindestens zwei Paar Schuhe. Es werden weltweit aber nur 900 Millionen Paar hergestellt", sagte Vater Tomas und machte sich daran, das zu ändern.Als der sechsjährige Tomas (Tomik) Bata 1920 in Zlin eingeschult wird, muss er barfuß laufen. Der Vater will nicht, dass sich sein Sohn von seinen Schulkameraden unterscheidet. Vater Tomas besitzt zu diesem Zeitpunkt in nahezu jedem böhmischen, mährischen und slowakischen Dorf eine Bata-Filiale, hat die junge Tschechoslowakei bereits "batasiert".Das erste große Geld hat er mit der Produktion von mehreren tausend Paar Schuhen für die Österreicher im Ersten Weltkrieg gemacht. Mit Fließbandarbeit, die er bei einem Amerika-Besuch kennengelernt hat. Und er ist besser als die Amerikaner. Dort dauert die Produktion eines Paars Schuhe sieben Stunden - bei ihm nur vier. "Gehorsam und Arbeit" lautet Vater Batas Credo. Aber er tut auch etwas für seine Arbeiter: Er bringt sie über die Weltwirtschaftskrise, gründet eigene Schulen und eine Handelsakademie.Als der Vater von Tomas Bata 1932 einen Flugzeug-Absturz nicht überlebt, übernimmt dessen immer unterschätzter jüngerer Bruder Jan die Firma und macht sie zum Weltkonzern. Zu besten Zeiten arbeiten weltweit mehr als 100.000 Menschen für Bata. Die Tschechoslowakei wird zum größten Schuhexporteur. Jan Bata lässt Häuser für seine Leute bauen. Zlin wird zur ersten funktionalistischen Stadt der Welt. 1936 lautet die pfiffige Reklame: "Kein Schritt ohne Bata".Ein Jahr darauf geht der berühmte Fahrstuhl in Betrieb: ein gläsernes Büro, fünf mal fünf Meter, klimatisiert, mit Schreibtisch, Radio und fließend warmem Wasser. Das mobile Büro fährt außen am 77 Meter hohen Firmengebäude entlang und kann auf jeder der 16 Etagen halten, um dem Chef einen Blick auf seine Angestellten zu ermöglichen.1938 kommt Jan die seltsame Idee, die ganze Tschechoslowakei nach Patagonien, also Südargentinien, umzusiedeln. Um die Deutschen zu besänftigen. Gleichzeitig trifft er Göring, produziert fortan Stiefel für die Wehrmacht. Hitler schickt Rüstungsexperten nach Zlin. Die sollen bei Bata lernen, wie man effektiv arbeitet. Ein Jahr darauf - er traut den Deutschen nicht - verlässt Jan Bata das Land und geht nach Amerika ins Exil. Als er von den Amerikanern als Kollaborateur eingestuft wird, flieht er weiter nach Brasilien, baut dort mehrere "neue" Zlins auf. Hitler kann Bata in dessen Heimat nicht enteignen. Das geht rechtlich nicht, auch wenn der Chef im Ausland ist. Nach dem Krieg enteignen ihn dafür die Kommunisten. Und verurteilen ihn in Abwesenheit.Tomik, mit der Mutter während der Kriegszeit in Kanada, errichtet dort "neue" Zlins. Die Kommunisten nennen Zlin jetzt Gottwaldov und Batas Schuhe "Morgenrot". Jan Bata liegt ewig im Streit mit Tomik. Nach 15 Jahren gibt er auf, Tomik erbt Anfang der 1960er Jahre fast das ganze Vermögen. Doch in seine Heimat kann Tomik erst im Dezember 1989 zurückkehren. Im wieder zurück benannten Zlin begrüßen ihn begeistert "seine" Schuhmacher. Er kämpft um die Rehabilitierung des Vaters, hat teilweise Erfolg. Vor allem aber berät er die Tschechen bei der Privatisierung. Der heutige Präsident Vaclav Klaus nennt ihn ehrlichen Herzens eine "große Persönlichkeit".Was bleibt von Bata? Die Schuhe natürlich. Vielleicht aber auch diese Ankedote: In einem seiner tschechischen Schuhläden empört sich Tomik 1990 über die Bedienung. Der Kunde sei König sagt er, kniet nieder und bindet einem potenziellen Käufer die Schnürsenkel. Da ist er schon über 70.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0


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