Rumänien

WÜRDELOSE RENTE FÜR EX-HÄFTLINGE

(n-ost) – Gheorghe Besciu Gherghina hat die Details nicht vergessen, auch wenn sie Jahre zurückliegen. Rückblick in die 80er Jahre, ins Ceausescu-Regime. Gherghina – als Staatsfeind verurteilt – sitzt in Einzelhaft im siebenbürgischen Gefängnis Aiud. In der Isolierzelle ist es stickig, aus einem Eimer quillt Kot. Frischluft? Sie wird dem Häftling aus einem Rohr zugeführt, in Wirklichkeit ist es ein Folterwerkzeug. Hahn auf, Hahn zu. Dem politischen Häftling Gherghina geht in seiner Zelle die Luft aus, langsam, qualvoll.


Gherghina im Lesesaal der CNSAS, die in Rumänien das Securitate-Archiv aufarbeitet. Die Behörde sagt, das Interesse, die Akten einzusehen, sei in Rumänien ungebrochen. Foto: Annett Müller„Bereue!“, brüllt ein Wärter, „dann bekommst Du wieder was zum Atmen“. Gherghina überlebt die mörderischen Torturen seiner vierjährigen Haftzeit. Er sagt, er hätte Parfüm statt Exkremente gerochen, Fleischwickel statt hartes Brot geschmeckt, ein inneres Exil aufgebaut, in dem er überlebt hat. Seine politische Aktion hat er unter der Folter indes nicht bereut. Er  weiß zugleich, dass man in seinen Gefängnis-Akten Geständnisse finden kann, die er nie abgelegt hat. Gherghina – inzwischen 67-jährig – ist einer von rund 50.000 politischen Ex-Häftlingen in Rumänien. Anfang der 90-er Jahre waren es rund vier Mal so viele – die meisten starben, ohne eine angemessene Wiedergutmachung erfahren zu haben. Auch Gherghina hat die Hoffnung fast aufgegeben. Zwar besitzt der Rentner seit vier Jahren ein staatliches Diplom „als antikommunistischer Widerstandskämpfer“, „doch finanziell hilft mir das Dokument wenig, es ist lediglich schön anzusehen.“


Den Großteil der Akten hat die CNSAS erst Ende 2006 erhalten. Foto: Annett MüllerDie Entschädigungssumme, die politische Ex-Häftlinge in Rumänien erhalten, war Anfang der 90-er Jahre der blanke Hohn: Pro Haftjahr wurden monatlich umgerechnet 2,50 Euro gezahlt. Heute liegt die monatliche Summe bei 50 Euro – der rumänische Staat verweist gern auf die „zweihundertprozentige Steigerungsrate“. Gherghina sagt über die Opferrente: „Sie lässt mich weder sterben noch leben.“ Der Rentner lebt in Bukarest, wo Preise wie in Westeuropa den Alltag diktieren. Gherghina besitzt ein kleines Haus in der Innenstadt, wo er mit seiner Familie lebt. Mit seiner Rente kann er gerade mal die monatlichen Nebenkosten für Strom, Gas und Wasser begleichen, für den Rest kommen andere auf. Gherghina sagt: „Es ist mir peinlich, meine Kinder um Geld zu bitten.“„Würdelos“, nennt der rumänische Historiker Marius Oprea die Entschädigungsrente, die früheren politischen Häftlingen in seinem Land zusteht. Ihre früheren Folterer – die Ex-Offiziere des berüchtigten rumänischen Geheimdienstes Securitate – erhalten bis zu fünfmal mehr Rente. Wer sich Menschenverbrechen schuldig gemacht hat, solle nicht noch vom rumänischen Staat mit einem satten Altersgeld belohnt werden, fordert Oprea, der die eingesparten Mittel den früheren politischen Opfern geben will.


Gheorghe Gherghina musste vier Jahre ins Gefängnis. Seine Frau Mariana half ihm bei der Flugblatt-Aktion, sie musste drei Monate in Untersuchungshaft. Foto: Annett MüllerOprea arbeitet als Chef des Instituts zur Untersuchung der kommunistischen Verbrechen in Rumänien (IICCR) derzeit an einer Gesetzesinitiative zur Kürzung der Renten von Ex-Geheimdienstlern. Opreas Ansatz ist moralisch wertvoll, die Realität ist jedoch eine andere. Sein Institut hat zahlreiche Beweise, dass sich die Mitarbeiter des Geheimdienstes eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht haben. Doch bis heute ist nicht ein Ex-Securitate-Offizier in Rumänien für seine verbrecherische Spitzeltätigkeit verurteilt worden. Hinzu kommt, dass die kommunistische Vergangenheitsaufarbeitung in Rumänien äußerst schleppend verläuft. So sind bislang knapp 500 Ex-Offiziere von der CNSAS – dem rumänischen Pendant der deutschen Birthler-Behörde – als Täter identifiziert worden. Das ist eine verschwindend kleine Zahl angesichts der rund 9.000 Ex-Offiziere, die der Geheimdienst im Jahr 1989 beschäftigt haben soll. Dass die Aufarbeitung der Securitate-Vergangenheit so mühsam verläuft, liegt am fehlenden politischen Willen in Rumänien. Damit wurde der CNSAS-Behörde jahrelang der direkte Zugang zu den Securitate-Akten verweigert, die bis Ende 2006 vom Inlandsgeheimdienst (SRI) verwaltet werden durften. Oft heißt es heute, der Geheimdienst hatte damit ausreichend Zeit, die Akten nach seinem Gutdünken zu ordnen. Gheorghe Gherghina kennt die vielen Securitate-Offiziere, die ihn in seinem Leben verhört haben, noch mit Namen, selbst ihre Augenfarbe hat er nicht vergessen. Wie kann er auch? Ein Gefängnis in Rumänien kam Todestorturen gleich und erst recht, wenn der Häftling als „Staatsfeind“ galt. Gherghina aber war lediglich ein Andersdenkender. Rückblick ins Jahr 1977: Gherghina trifft sich regelmäßig mit einem Freund zum Schach, „doch eigentlich haben wir ständig über Politik diskutiert und irgendwie Trost und Antwort auf die Frage gesucht, was wir mit unserem unglücklichen Leben anfangen sollen.“ Statt immer nur reden, müssen wir handeln, sagen sich beide. Sie produzieren ein anonymes Flugblatt. Darin fordern sie Meinungsfreiheit, die in der Ceausescu-Diktatur zwar per Gesetz erlaubt, doch in Wirklichkeit verboten war.


Not macht erfinderisch. Eine Holzrolle von einer Wäschemangel diente als Stempel für die regimekritischen Flugblätter. Foto: Annett MüllerDie beiden Männer – Heizer und Mechaniker von Beruf – sind erfinderisch: Sie basteln aus einer Wäschemangel ein Stempelkissen für den Text, um ihn tausendfach zu vervielfältigen. Sie lassen Korrektur lesen – ein Flugblatt mit Rechtschreibfehlern kommt für sie nicht in Frage. Sie tränken jedes Exemplar in Petroleum, das soll ihre Spuren verwischen. „Technisch waren wir dem Geheimdienst überlegen“, sagt Gherghina. Erst vier Jahre nach der Nacht- und Nebelaktion in Bukarest werden die Männer festgenommen – ein Familienangehöriger hatte sie an die Securitate verraten. „Hölle“, nennt der heutige Rentner seine Gefangenschaft: So wurden die Häftlinge unter Folter verhört, sie mussten Mitgefangene bespitzeln, sie wurden in Arbeitslagern bis zum Umfallen gequält. Dass seine früheren Peiniger mehr Rente bekommen als er, ist für Gherghina unvorstellbar: „Sie profitieren weiter davon, dass sie früher andere gequält haben.“ Doch nicht nur bei der Rente haben frühere Securitate-Mitarbeiter in Rumänien ausgesorgt. Die Jüngeren von ihnen kamen als Mitarbeiter im neuen Inlandsgeheimdienst unter, sie profitierten von alten Netzwerken, um Wirtschaftsfirmen zu etablieren oder eine politische Karriere zu starten. Experten vermuten, dass einem Viertel der rumänischen Parlamentarier eine Securitate-Tätigkeit nachgewiesen werden könnte, doch ihre Geheimdienstakten sind nach der Wende verschwunden. Diese Entwicklung lässt Gherghina wenig Hoffnung. Schließlich muss der Gesetzentwurf, der die Kürzung der Renten für Ex-Geheimdienstler vorsieht, vom Parlament verabschiedet werden. „Da können Sie sich doch an fünf Fingern abzählen, wie das Votum ausfallen wird“, sagt der Rentner. Er geht täglich eine Runde spazieren, Einkäufe erledigen, Rechnungen bezahlen – im gepflegten Anzug, der mindestens schon zwanzig Jahre alt ist. Alle hundert Meter bleibt Gherghina stehen, schnappt nach Luft. Er hat Diabetes – es sind die Spätfolgen der Folterjahre. Ob er sich wohl manchmal überlegt hat, wofür sich seine wagemutige Flugblatt-Aktion gelohnt hat? Gherghina schmunzelt über die Frage: „Die Securitate hat meinen Körper gebrochen, meinen Charakter aber nicht.“
ENDE

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