Georgien

„Saakaschwili ist ein Abenteurer"/ Interview mit dem ehemaligen Filmregisseur und Oppositionsführer Georgij Chaindrawa

Der ehemalige Filmregisseur Georgij Chaindrawa ist einer der herausragende Köpfe der georgischen Opposition. Im Gegensatz zu den meisten Oppositionsführern, die den georgischen Präsidenten nicht kritisieren wollen, solange russische Truppen in Georgien sind, nimmt Chaindrawa auch heute kein Blatt vor den Mund. Schon jetzt wird er von den staatlich gelenkten georgischen Medien weitgehend ignoriert. Minister Chaindrawa wurde von Präsident Saakaschwili entlassen, weil er militärische Abenteuer zur Rückgewinnung der abtrünnigen Provinzen ablehnte.


Georgi Chaindrawa, Oppositionsführer und Filmregisseur. /
Ulrich Heyden, n-ost

Warum ziehen die russischen Truppen nicht ab?

Chaindrawa: Können Sie sich daran erinnern, dass die russischen Truppen schon jemals irgendwo abgezogen sind? Aus Afghanistan sind sie erst nach 17 Jahren abgezogen. Natürlich sucht Russland nach Vorwänden, um in Georgien zu bleiben. Sie rauben das ganze Land aus.

Welches Ziel hat Russland?

Chaindrawa: Das Ziel ist die Zerstörung Georgiens als Staat. Wenn man sich die Taktik der Bombardierungen anguckt, sieht man, dass sie die zivile und militärische Infrastruktur zerstören. Das sind Häfen, das sind Kommunikationsknoten, das sind ökonomische Objekte. Sie werden solange in Georgien bleiben, wie der Westen das duldet.

Wer trägt die Schuld an dem Konflikt?

Chaindrawa: Wir sind schuld, weil unser Land in der Nähe von Russland liegt. Wir befinden uns praktisch seit 200 Jahren unter der russischen Aggression. Russland ist seit dem 9. Jahrhundert ein imperialistisches, aggressives Land. Es hat sich nie geändert. Russland ist der Urheber der Barbarei, die es heute in Georgien gibt. Natürlich haben die Führung Georgiens und Michail Saakaschwili persönlich Schuld, weil sie die Willkür der russischen Militärs zulassen. Russland hat schon vor einem Monat eine Militärübung unter der Bezeichnung "Kaukasus 2008" durchgeführt, bei der die Okkupation Georgiens trainiert wurde. Dass diese Gefahr eine Realität wurde, ist die Schuld von Michail Saakaschwili.

Wer fing den Krieg an?

Chaindrawa: Im Bezirk Zchinwali gibt es schon seit Monaten Schießereien. Durch den Rokski-Tunnel fuhren vor dem Krieg ständig russische Militärfahrzeuge. Vor drei Monaten wurde das berüchtigte Bataillon "Wostok" aus Tschetschenien nach Zchinwali verlegt. Es gab keinen Grund in das Abenteuer der Rückeroberung von Zchinwali einzusteigen. Was Saakaschwili macht, ist mit dem Verstand nicht zu fassen.

Georgien hätte auf die Schießereien an der Grenze von Süd-Ossetien einfach nicht reagieren sollen?

Chaindrawa: Er war verpflichtet, darauf nicht zu reagieren. Vor einem Monat war Condoleezza Rice in Tiflis. Rice, die Vertreter der europäischen Staaten und der Nato haben Saakaschwili, gesagt, er dürfe unter keinen Umstanden ein militärisches Abenteuer beginnen, weil das schrecklich endet.

Gab es von Seiten der USA nicht auch Signale, die Saakaschwili als Ermunterung für einen Angriff auf Süd-Ossetien interpretieren konnte?

Chaindrawa: Ich kenne Condoleezza Rice als verantwortungsvolle Politikern. Sie gehört zu den führenden Politikern der USA. Was in Zchinwali passierte, ist einfaches Abenteurertum. Ich will nicht glauben, dass Condoleezza Rice sich an Abenteuern beteiligt.

Die Politik von Saakaschwili ist ...

Chaindrawa: ... ein Verbrechen am eigenen Volk. Wir befinden uns in einer Katastrophe mit Tausenden Opfern, zehntausenden Flüchtlingen, einer zerstörten Infrastruktur, einem geplünderten und faktisch okkupierten Land.

Die Koalition der neun georgischen Oppositionsparteien hat erklärt, man werde Saakaschwili nicht kritisieren, solange russische Truppen im Land sind. Kritik am Präsidenten könnte Russland nützen.

Chaindrawa: Ich bin mit dieser Position nicht einverstanden, weil die russischen Truppen noch lange im Kerngebiet von Georgien bleiben werden. Ich glaube, wir sind deshalb in einer schwierigen Lage, weil Saakaschwili unbegrenzte Macht hat. In so einer Situation auf eine Verbesserung zu warten, ist sehr schwer.

Sie sind ein bekannter Führer der Opposition. Wie reagierte die Regierung auf ihre Kritik?

Chaindrawa: Die Presse, die unter der Kontrolle von Saakaschwilis Partei, der "Nationalen Bewegung", steht, hat eine psychologische Attacke auf mich gestartet. Man ruft mich an und bedroht mich. Ich werde beschattet. Die Mitglieder unseres "Komitees für Gerechtigkeit" - das ist eine Nicht-Regierungsorganisation - wurden vom Geheimdienst zu Verhören geladen. Unter dem Regime Saakaschwili gibt es keine freie Presse mehr und keine unabhängigen Gerichte. Im letzten Jahr gingen Armee-Einheiten mit Gasgranaten gegen eine friedliche Demonstration vor. Dann gab es massenhafte Fälschungen bei der Präsidentschafts- und der Parlamentswahl. Der unabhängige Fernsehkanal Imedi wurde abgeschaltet. Weil die US-Administration und die Führer der europäischen Staaten aus übergeordneten, geopolitischen Gründen die Augen vor der Willkür in Georgien verschließen und der völlig unausgeglichene Saakaschwili, internationale Unterstützung spürt - ungeachtet dessen, dass er praktisch ein sowjetisches Regime in Georgien führt -- musste das letztlich zu einer internationalen Krise führen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Sonntag in Tiflis erklärt, Georgien könne Mitglied der Nato werden ...

Chaindrawa: In einer Situation, wo Russland 40 Kilometer vor Tiflis steht, kann ich mir nicht vorstellen, wie Georgien Mitglied der Nato werden soll. Wenn die Nato-Mitgliedschaft nur möglich ist, wenn wir gleichzeitig Abchasien und Süd-Ossetien verlieren, macht der Beitritt für uns keinen Sinn. Ich glaube, die Position der westlichen Länder in der Nato-Frage ist nicht richtig. Man muss nicht unbedingt Mitglied der Nato sein, damit man nicht von Panzern überrollt wird.

Soll die Nato Truppen schicken, damit die russischen Truppen abziehen?

Chaindrawa: Unter keinen Umständen! Man muss wirtschaftliche Hebel einsetzen. Die Wirtschaft Russlands hängt heute in Vielem vom Westen ab. Russland kann kein Mitglied der G8 sein.

Die abtrünnigen Provinzen haben erklärt, dass sie keine internationalen Friedens-Soldaten akzeptieren wollen.

Chaindrawa: Abchasien und der Bezirk Zchinwali haben dem Regime Saakaschwili nie getraut. Die Anwesenheit der russischen Truppen in diesen Gebieten gibt ihnen Selbstbewusstsein. Wenn es in Georgien eine vernünftige Führung gegeben hätte, die ein reales Programm zur friedlichen Beilegung der Konflikte erarbeitet hätte, anstatt eine aggressive Rhetorik zu führen, hätte es Chancen für die Rückgewinnung der Provinzen gegeben. Wenn es aber nicht gelingt, internationale Friedenstruppen in Abchasien und im Zchinwali-Bezirk zu stationieren, werden die Spannungen zwischen dem Westen und Russland zunehmen.


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