Verschlussache von 1968 jetzt im Museum
(n-ost) - Es war ein ungewöhnlicher Schichtbeginn für die Prager Polizei an jenem 21. August 1968. Schon eine halbe Stunde nach Mitternacht war die volle Einsatzbereitschaft hergestellt. Eine Stunde zuvor hatten Truppen der Warschauer-Pakt-Staaten die Grenzen der Tschechoslowakei überschritten, um den Versuch zu unterbinden, dem Sozialismus ein menschliches Antlitz zu geben. Eine weitere Stunde später verbreitete der Prager Rundfunk erstmals eine Erklärung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, in denen der Überfall der "Bruderländer" verurteilt wurde.Was danach geschah, ließ sich im Detail später kaum noch rekonstruieren. Die Polizei gehörte zu den wenigen Institutionen, die einen Überblick über das Geschehen hatte. Doch die Berichte waren geheime Verschlusssache. 1980, in der Hochzeit der "Normalisierung", sollten die Dokumente in den Reißwolf wandern. Dass sie erhalten blieben, ist dem damaligen Kriminalpolizisten Rudolf Cizek zu verdanken. Er schaffte sie beiseite und versteckte sie. Ab dem 21. August, mit einem Abstand von 40 Jahren, kann man sie erstmals im Prager Polizeimuseum einsehen.Zwei grundsätzliche Aufgaben hatte die Polizei an jenem 21. August zu erfüllen: Sie sollte strategisch wichtige Gebäude wie die von Radio und Fernsehen sichern und dafür sorgen, dass die Menschen Ruhe bewahrten und sich nicht in Gefahr begaben. Die Prager selbst wurden in jener Nacht von ungewöhnlichen Motorengeräuschen aus dem Schlaf gerissen. Verursacht wurden die von sowjetischen Flugzeugen, die den Flughafen Ruzyne anflogen, um Fallschirmjäger abzusetzen. Doch bald ratterten auch schon die ersten Panzer durch die Moldaustadt.Um 2.10 Uhr registrierte die Polizei die ersten Flugzeuglandungen. Um 2.14 Uhr, kurz nach der Verbreitung der Erklärung der Prager Parteiführung um Alexander Dubcek, meldeten Streifen die Ankunft erster aufgebrachter Prager Bürger vor dem Radio-Gebäude unweit des Wenzelsplatzes. Ein Einsatzkommando wurde in Marsch gesetzt, um das Gebäude abzuriegeln. Außerdem wurde die Zufahrt zu den Polizeizentralen in der Innenstadt verbarrikadiert. Um 2.47 Uhr wurde eine größere Menschenmenge auf dem Altstädter Ring gemeldet. Noch vor 4 Uhr, so kann man weiter nachlesen, begab sich Staatspräsident Ludvik Svoboda in die sowjetische Botschaft. "Zur selben Zeit bewegen sich die ersten Panzer in Richtung Zentrum."Dramatisch wurde es nach 5 Uhr: Am Platz der Republik seien erste Schüsse gefallen. 500 Menschen hätten sich vor dem Gebäude der Parteiführung versammelt, das selbst von einer Einheit der Sowjetarmee besetzt war. Die Soldaten waren bis in das Sitzungszimmer der Parteiführung vorgedrungen, wo seit dem Vorabend fast das komplette Politbüro, der innerste Führungszirkel um Dubcek, tagte. Vom Dubcek-Vertrauten Zdenek Mlynar weiß man, dass die Parteiführung aus den Fenstern mit ansehen musste, wie der Anführer der Protestierenden kaltblütig erschossen wurde. Im Polizeibericht ist dann sogar von vier Toten die Rede. Um 5.30 Uhr schließlich die Meldung: "Die sowjetische Armee hat Prag eingekesselt."Bis in die Mittagsstunden hinein häuften sich die Informationen von blutigen Zusammenstößen. "Panzer fahren direkt auf die Menschen zu, die sich ihnen nur mit ihrem Körper entgegen stellen", hieß es aus der Weinbergstraße, unmittelbar vor dem Radio-Gebäude. Die Sowjets schossen eine Barrikade aus Bussen in Brand, in einer Seitenstraße explodierte ein Munitionsfahrzeug, Häuser brannten, 17 Schwerverletzte blieben zurück. "Die Leute rufen verzweifelt nach medizinischer Hilfe." In der Polizeizentrale registrierten die Beamten, dass selbst die eigenen Fahrzeuge von den Sowjets beschossen werden.Die letzten Schießereien vermeldeten Streifen kurz vor Mitternacht vom Altstädter Ring. Der Kontakt zu den Krankenhäusern ergab: "Der erste Tag der Invasion hat 13 Menschenleben gefordert. 170 Menschen wurden verletzt." So lapidar kann Statistik sein. Doch diese Statistik zeigt: Prag wehrte sich. Es war ein verzweifelter, ungleicher Kampf. Die Lektüre der Polizeiberichte von damals ist für viele Prager kein leichtes Unterfangen, weil erneut die schlimmen Bilder ins Gedächtnis kommen. Doch gerade deshalb wünscht man der Ausstellung viele Besucher.
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