Slowakei

Verräterisches Klopapier

(n-ost) - Als am 18. August 1968 die Partei- und Staatschefs des Warschauer Pakts bei einer Tagung in Moskau endgültig den Stab über der Tschechoslowakei brachen, zog Kreml-Führer Leonid Breschnew ein Papier aus der Tasche: "Genossen, wir haben einen Brief." Der Brief war eine Art "Einladung" zum militärischen Überfall auf die abtrünnigen Tschechen und Slowaken, die den Sozialismus mit einem menschlichen, freiheitlichen Anstrich versehen wollten.Verfasst hatten den Brief Kräfte aus der Prager Parteiführung, die die Russen aufforderten, der "Konterrevolution" ein Ende zu bereiten. Breschnew zitierte: "Wir bitten Sie um Hilfe mit allem Mitteln, die sie zur Verfügung haben." Und forsch fügte er hinzu, was nicht in dem Brief stand: "einschließlich militärischen Mitteln". Die Sowjets und die anderen "Bruderländer" brauchten das "Einladungschreiben", um sich gegenüber der Weltöffentlichkeit für ihr militärisches Eingreifen rechtfertigen zu können.Was Breschnew den teuren Genossen aus Polen, Bulgarien, Ungarn und der DDR verschwieg, enthüllte unmittelbar vor dem jetzigen 40. Jahrestag des Einmarsches ein langjähriger enger Vertrauter des Reformers Alexander Dubcek, Ivan Laluha: "Breschnew ist dieser Brief an einem etwas seltsamen Ort zugesteckt worden -- auf einem Hotel-Klo in Bratislava." Überbringer sei Zbynek Sojak gewesen, ein Mitarbeiter des Zentralkomitees der KP der Tschechoslowakei.In der Tat hatten sich die späteren Okkupanten am 3. August in Bratislava getroffen, um den Tschechen und Slowaken mit Dubcek an der Spitze noch einmal klar zu machen, was sie von ihren Reformen hielten - nichts. Ziel war es, Dubcek zu einem gemeinsamen Kommuniqué zu bewegen, als eine Art Demonstration gemeinsamer Positionen. "Dubcek gelang es in mühsamen Verhandlungen zwar noch, eine Passage über die Beachtung nationaler Eigenheiten und Bedingungen in das Dokument zu drücken", so Laluha. Er habe geglaubt, damit noch weiteren Spielraum für die Reformen in seinem Land gewonnen zu haben. Doch das sei am Ende ein Trugschluss gewesen.Die anderen Fünf legten das Dokument anders aus. Für sie war die Passage entscheidend, wonach es eine "gemeinsame Pflicht aller sozialistischen Länder" sei, "die sozialistischen Errungenschaften zu festigen, zu unterstützen und zu verteidigen". Das taten sie denn auch -- auf ihre Weise.Der "Einladungsbrief" befindet sich mittlerweile in Prag. Boris Jelzin brachte ihn einst seinem tschechischen Amtskollegen Vaclav Havel als Geschenk mit. Einer der Unterzeichner, der gefürchtete Chefideologe Vasil Bilak, lebt bis heute unbehelligt als Rentner in Bratislava.Nicht ganz so unbehelligt ist stattdessen seit einigen Tagen eine Reihe mutmaßlicher Spitzel, die die tschechoslowakische kommunistische Staatssicherheit auf den nach dem 21. August gestürzten Alexander Dubcek angesetzt hatte. Eine entsprechende Namensliste veröffentlichte die Behörde für das nationale Gedächtnis -- eine Art slowakische Birthler-Behörde. Unter den Aufgeführten fanden sich zur Überraschung vieler Menschen enge Freunde Dubceks. Laluha wie auch der Sohn Dubceks, Dr. Pavol Dubcek, messen der Liste aber keine wirkliche Bedeutung zu.Pavol Dubcek erinnerte auf Anfrage daran, dass er drei Jahre auf eine Liste der Spitzel habe warten müssen. Die jetzt veröffentlichte Liste sei unvollständig und auch fehlerhaft. Pavol Dubcek wisse, dass sein Vater mehrere Freunde selbst gebeten habe, mit der Stasi Kontakt zu halten -- um die Spitzel gezielt mit falschen Informationen zu versorgen. "Dies war klar abgesprochen und sie haben die Stasi auch an der Nase herumgeführt." Wenn man diese Leute, die mittlerweile tot sind, jetzt an den Pranger stellen wolle, dann nur, um die Sensationslust einiger Boulevardmedien zu befriedigen.
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