Polen

MICHNIK KÄMPFT WEITER

(n-ost) - Adam Michnik war bereits als Teenager ein Aufmüpfiger. Bereits 1963, noch nicht siebzehnjährig, fiel sein Name aus dem machtvollen Munde des damaligen Parteichefs der Vereinigten Arbeiterpartei PZPR, Wladyslaw Gomulka, der den Jüngling als "Revisionisten" brandmarkte. Michnik soll, als ihn sein Freund Jacek Kuron kurz danach über diese "Ehrung" informierte, gesagt haben: "Lass mich in Ruhe, ich habe keine Zeit für so einen Blödsinn, ich muss eine Physik-Klausur wiederholen." 45 Jahre ist diese Begebenheit her, doch der mittlerweile 62-jährige Michnik gilt vielen immer noch als Querkopf -- der einflussreichste in ganz Polen.Landesweit wahrgenommen wurde Michnik erstmals im Jahr 1968, als es im Vorfeld des Prager Frühlings zum Polnischen März gekommen war: Aus Protest gegen die Absetzung einer Theaterinszenierung waren am 8. März 1968 im ganzen Land Studenten für "Kultur ohne Zensur" auf die Barrikaden gegangen. Der Geschichtsstudent Michnik war als einer ihrer Anführer bereits zuvor von der Warschauer Universität verwiesen und später verhaftet worden. Die Studenten organisierten in der Folge weitere Proteste an den Warschauer Hochschulen gegen Diskriminierung sowie für weitgehende Freiheitsrechte.Dem wachsenden Protest traten die Machthaber entschieden entgegen, bereits im Mai hatte der übermächtige Staatsapparat den studentischen Protesten, die unblutig verliefen, den Garaus gemacht. Der 22-jährige Michnik saß im Gefängnis, und während der Prager Frühling erst richtig los ging, trieb die polnische Regierung eine beispiellose Hetze gegen polnische Juden auf den Höhepunkt, in deren Folge etwa 13.000 polnische Juden zwischen 1968 und 1971 das Land verließen.Michnik, der selbst einen jüdischstämmigen Vater hatte und dessen Eltern kommunistische Parteikader waren, weigerte sich stets, Polen zu verlassen. "Mich als Jude aus meinem eigenen Vaterland werfen zu lassen, war für mich absolut unmöglich", erklärte er unlängst. "Seit Hitler meine Eltern und Großeltern, meine ganze Familie als für den Ofen geeignete Juden abstempelte, erlaube ich absolut niemandem, mich so zu denunzieren."In die CSSR haben 1968 die Polen voller Hoffnung geblickt, sagte Michnik in einem Interview 40 Jahre später. "Ganz Polen wartet auf seinen Dubcek." Er erinnert sich auch an den Schock und die tiefe Verletzung, die er empfand, als das Militär, auch das polnische, in die Tschechoslowakei einmarschierte. "Über die nächsten zwanzig Jahre konnte ich mit meinen tschechischen und slowakischen Freunden nicht ohne Schuldgefühle sprechen", schreibt er in seinem Buch "Scham und Wut".1969, als auch die Prager Hoffnungen längst begraben waren, wurde der damals 23-jährige Michnik aus dem Gefängnis entlassen, durfte aber nicht zurück an die Universität. Doch er ließ sich von seinem oppositionellem Weg nicht abbringen, publizierte im Untergrund oder für die in Paris erscheinende Zeitschrift "Kultura". Anfang der 70er Jahre war er als Arbeiter in einer Fabrik beschäftigt. Erst 1975 konnte er als Externer seinen Abschluss an der Universität Posen machen.Michnik, der den Nachnamen von seiner Mutter übernommen hatte, gehörte zu jenen polnischen Intellektuellen, die mit der Wirklichkeit des polnischen Systems nicht zufrieden waren, es jedoch links reformieren wollten. Schon als Jugendlicher fand er, dass "ein Kommunist ein solcher Mensch ist, der, wenn er das Böse sieht, die Wahrheit darüber erzählen soll". So trat er als "laizistischer Linker" strikt für die Trennung von Staat und Kirche ein, kritisierte viele rückständige Ansichten des mächtigen katholischen Klerus, suchte aber zugleich den Dialog mit kirchlichen Reformkräften.Wissenschaftlich hat er diese Dialogsuche erstmals 1977 mit seinem Werk "Die Kirche und die polnische Linke. Von der Konfrontation zum Dialog" ("Kosciól, lewica, dialog") betrieben, das der polnische Publizist Adam Krzeminski als eines der wichtigsten Werke für die polnischen 68er bezeichnet. 1976 engagierte sich Michnik im "Komitee zur Verteidigung der Arbeiter" (KOR). Nach der Gründung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc 1980 war er einer ihrer wichtigsten Berater, wofür er 1981 nach der Ausrufung des Kriegsrechts für drei Jahre ins Gefängnis wanderte. Er lehnte es ab, einer so genannten Loyalitätserklärung zuzustimmen und Polen zu verlassen, wenn man ihn aus dem Gefängnis entließe. Vier Jahre saß er in den 80er Jahren insgesamt ein -- bis zum Wendejahr 1989. Es läutete seine große Stunde ein.1989 gründete Michnik im Auftrag von Lech Walesa die "Gazeta Wyborcza" ("Wahlzeitung"), die ursprünglich nur vor den ersten "halbfreien" Parlamentswahlen am 4. Juni 1989 die Opposition stützen sollte. Zusammen mit seinem Dissidenten-Kollegen Jacek Kuron prägte er in der Erstausgabe vom 8. Mai 1989 die Formulierung "Euer Präsident -- unser Premier", in Anspielung auf den regierenden Staatschef Wojciech Jaruzelski und den ersten nichtkommunistischen Premier-Kandidaten Tadeusz Mazowiecki.Die Zeitung wurde jedoch auch nach der aus Oppositionssicht erfolgreichen Wahl weiter herausgegeben und ist unter der Leitung ihres Chefredakteurs Michnik bis heute zur dominierenden Tageszeitung aufgestiegen. Michnik selbst verzichtete darauf, Anteilseigner zu werden, er begnügte sich mit der Rolle des Chefradakteurs. In dieser Funktion unterstützte er die wirtschaftsliberalen Reformen, verteidigte die Ergebnisse des Runden Tisches von 1989, des Kompromisses zwischen Regierung und Opposition, und unterstützte nachdrücklich die dort vereinbarte Politik einer generellen Nichtabrechnung mit den ehemaligen Machthabern.Gerade deshalb musste und muss sich Michnik starken Anfeindungen aussetzen. Konservative Publizisten, aber auch konservative Politiker, werfen ihm vor, die III. Republik Polen seit 1989 mitgestaltet zu haben -- eine, wie Kritiker behaupten, korrupte politische Formation mit einem aufgezwungenen Grundkonsens des "dicken Strichs" unter die Geschichte. Und tatsächlich: Michnik, der mehrere Jahre in kommunistischen Gefängnissen verbrachte, verteidigt seine einstigen Peiniger.Eine Episode macht Michniks Konsequenz in diesem Punkt deutlich: In einem Brief, den Michnik aus dem Gefängnis 1983 an den damals mächtigen Innenminister Czeslaw Kiszczak geschrieben hatte, der für seine Inhaftierung verantwortlich war, heißt es: "Ich wünsche mir für mich selbst, dass ich da sein kann zu jenem Zeitpunkt, an dem Sie (Kiszczak) bedroht sein werden und ich Ihnen dann helfen kann. Und dass ich noch einmal auf der Seite der Opfer stehen kann, nicht der der Täter." Als es soweit war, in den 90er Jahren und in einem Aufsehen erregenden Interview im Jahr 2001, verteidigte Michnik Kiszczak öffentlich und handelte sich dafür heftige Kritik ein.Tatsächlich sind die Grabenkämpfe der aktuellen polnischen Politik - mit Michnik als der intellektuellen Hauptzielscheibe - Ausdruck einer noch gespaltenen Gesellschaft. Einer Gesellschaft, deren 1968 unterdrückt wurde und in der das Jahr 1989, der politische Umbruch, von erstarkten Nationalkonservativen mehr denn je infrage gestellt wird. Viele gesellschaftliche Reformen, die im Westen seit 1968 verwirklicht wurden, stehen in dem katholisch geprägten, konservativen Polen noch bevor.Und selbst die Rolle Michniks im polnischen März 1968 wird heute nicht einstimmig beurteilt. Als im März 2008 Präsident Lech Kaczynski die einstigen studentischen Aufrührer zum Präsidentenpalast lud und sie ehrte, stand Michnik nicht auf der Liste der Geehrten. Ob die Respektlosigkeit des polnischen Präsidenten Michnik jedoch wirklich berührt hat, ist fraglich. Schon sein Vater hatte ihm einst eingetrichtert: "Sei der erste in der Schlange zur Gefängniszelle, und der letzte in der, die zu den Orden führt." Michnik hat mittlerweile zahlreiche, nationale und internationale Auszeichnungen. Angestanden hat er dafür nie.
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