Tschechien

Der unbekannte Fotograf

(n-ost) - Lange wusste niemand, wer er war. Er wollte dadurch seinen Vater schützen. Denn Josef Koudelka hatte den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in Prag und die Niederschlagung des zivilen Aufstandes fotografiert, die Bilder heimlich über die Landesgrenze gebracht und anonym veröffentlicht.

Als "unbekannter tschechischer Fotograf" wurde er 1969 zum ersten Jahrestag der Niederschlagung des Prager Frühlings mit der Robert Capa Goldmedaille ausgezeichnet. Er selbst floh ins Ausland, nutzte das Kürzel PP (für Prague Photographer) und trat der berühmten Fotoagentur Magnum bei. Erst als sein Vater starb, wurde bekannt, wer die Aufnahmen gemacht hatte, die immer noch wie kaum eine andere Serie für die klassische Reportagefotografie der Nachkriegszeit stehen.

Der 1938 geborene Tscheche hat seine Zeitdokumente nun zum ersten Mal geordnet und in einem umfangreichen Bildband publiziert. Auf den Schwarz-Weiß-Fotografien gibt es keine Helden, sondern jeder Einzelne bekommt Bedeutung, in seiner eigenen Art und Weise, Widerstand zu leisten. Und das ist wie eine Typologie des Straßenkampfes: Barrikaden mit öffentlichen Bussen, Sitzstreik auf Straßenbahnschienen, Diskussionen mit den fremden Soldaten, gereckte Fäuste, selbstgemalte Plakate, spontane Protestchöre oder "Russe Go Home", mit Kreide auf einen Panzer gemalt. Und immer wieder streckt sich ein Gewehrlauf quer durch die Aufnahmen.

Das Buch enthält neben 249 Drucken viele O-Töne aus dem August 1968 und so entsteht ein eindringliches Porträt dieser Tage. Die Augenzeugin H.B. erzählt im Telegrammstil, dass auf ihre Wohnungstür geschossen wurde. Der damalige Sekretär des Zentralkomitees der tschechoslowakischen kommunistischen Partei berichtet, wie Soldaten Dubceks Büro mit den Worten "Nicht sprechen, stillsitzen! Kein Tschechisch sprechen!" stürmten und er diese Erniedrigung mit barschem Russisch an sich abprallen ließ.

Das Stadtkomitee richtete sich hilflos und verständnislos in einem Flugblatt an alle Bürger: "Unsere Stadt erlebt den wohl schwersten Moment unserer gegenwärtigen Geschichte. Schon mehrfach ist Prag in der Vergangenheit von fremden Mächten besetzt worden. Zum ersten Mal in der Geschichte ist unsere Stadt nun von Soldaten verbündeter und befreundeter Länder besetzt worden." Und eine Sendung des freien legalen Senders Prag weist darauf hin, man solle keinen Konflikt heraufbeschwören, zur Arbeit gehen und passiven Widerstand leisten. Mit Ausrufungszeichen!

Der tschechische Schriftsteller Ivan Klíma, der am wegweisenden Schriftstellerkongress 1967 teilgenommen hatte, sagte einmal in einem Interview: "Die junge Generation hasst normalerweise alles, was mit dem Prager Frühling zu tun hat, die findet uns alte Männer zum Kotzen." Doch die Fotografien von Josef Koudelka wirken weder alt noch neu, sondern relevant. Sie zeigen alte, junge Männer und Frauen, vereint in einem ungleichen Freiheitskampf: Menschen gegen Panzer.

Die Fotos lassen den Betrachter beobachten, wie Stadtbewohner ungläubig, entsetzt, erschüttert, flehend, gelähmt oder wütend Präsenz zeigen. Sie führen vor Augen, welche Macht eine Bevölkerung hat, die für ihr eigenes Recht eintritt. Und sie zeigen Gesichter voller Zivilcourage aus einer Zeit, in der es das Wort noch gar nicht gab. Eine Ehrerbietung an den Mut der Pragerinnen und Prager.

Josef Koudelka: Invasion Prag 1968. München: Schirmer/Mosel, 2008. 296 Seiten, 249 Abbildungen, 49,50 Euro.

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