JOBBEN JENSEITS DER ODER
(n-ost) – Steffen Möller ist ein Superstar. Der gebürtige Wuppertaler, der 1994 im Alter von 25 Jahren nach Polen gezogen ist, hat dort eine atemberaubende Karriere hingelegt. Zunächst arbeitete er als Deutschlehrer und Dozent für deutsche Sprache in Warschau. Doch dann machte der Philosoph und Theologe sein Hobby zum Beruf und wurde Kabarettist und Schauspieler. In polnischen Unterhaltungssendungen und TV-Serien verkörpert er den unkonventionellen Deutschen – und erobert die Herzen der Polen im Sturm.
Der Kabarettist Steffen Möller ist einer von wenigen Deutschen, die in Polen dauerhaft leben und arbeiten. Foto: Agniezska Hreczuk
Möller gehört jedoch einer seltenen Spezies an. Denn nach wie vor sind es nur wenige Deutsche, die den Sprung über die Oder wagen. So haben sich im Jahr 2006 nur rund 4000 Deutsche für einen längeren Aufenthalt im Land angemeldet. Dabei stehen die meisten Polen Ausländern, die in ihrem Land leben und arbeiten wollen, sehr aufgeschlossen gegenüber. Nach einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CBOS vom Mai 2008 befürworten 86 Prozent der Polen Arbeitsaufenthalte für Ausländer.Auch die polnischen Hochschulen nehmen gerne Ausländer auf. Und dennoch: Unter den 13.700 Ausländern, die polnische Hochschulen im laufenden Studienjahr wählten, sind gerade mal 400 Deutsche. Dabei ist das Studien-Angebot groß. Über 300 staatliche und private Hochschulen gibt es in Polen. Ein Regelstudium an den staatlichen Einrichtungen ist auch für Ausländer gebührenfrei, die Studiengänge können in der Regel europaweit im ECTS-System angerechnet werden. Zwischen Deutschland und Polen gibt es zudem ein Äquivalenzabkommen, dass die Anerkennung von Studienleistungen und Abschlüssen regelt. Neben klassischen Volluniversitäten sind für deutsche Studierende auch Spezialangebote interessant, bei denen in internationalen Verbünden gelehrt wird. So bieten die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder und das Collegium Polonicum Slubice grenzüberschreitende Lehre und Forschung an. Das trinationale Hochschulnetzwerk „Neisse University“ offeriert ein Studium im Informations- und Kommunikationsmanagement an drei Studienorten: Zittau (Deutschland), Wroclaw (Polen) und Liberec (Tschechien).
Die Danziger Werft. Schiffs- und Maschinenbau sind wichtige Wirtschaftszweige in Polen, für die händeringed Fachkräfte gesucht werden. Foto: Katarzyna Tuszynska
Wiebke Rohrer wählte es klassisch. Die 31-jährige Archäologin hat ihren einjährigen Studienaufenthalt in Polen in vollen Zügen genossen und genutzt – und profitiert weiterhin davon. „Ich habe gerade in Polen meine Nische gefunden“, sagt Rohrer. Seit 2004 arbeitet sie in Marburg im Herder-Institut, einer der größten Einrichtungen in Deutschland für historische Mittel- und Osteuropaforschung. Hier nutzt sie ihre Sprach- und Fachkenntnisse aus Polen – und schreibt an ihrer Dissertation.Neben einem Studium sind aber auch Arbeitsaufenthalte für Deutsche in Polen zunehmend eine Alternative; denn der polnische Arbeitsmarkt ist für sie seit Januar 2007 uneingeschränkt offen. Die Arbeitslosigkeit in Polen hat in den vergangenen Jahren massiv abgenommen und betrug im Mai 2008 nach Eurostat-Berechnungen 7,5 Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr 2004 lag die Quote noch bei 19 Prozent. Die Arbeitslosigkeit sinkt so schnell wie in kaum einem anderen EU-Land. Manche Städte, vor allem die großen wie Warschau, Katowice und Poznan, verzeichnen Arbeitslosenraten von unter 4 Prozent. Das Wirtschaftswachstum betrug im Jahr 2007 6,6 Prozent. Und es fehlen Fachkräfte. Laut einer Studie der deutschen Auslandskammern (AHK) sowie Kienbaum Management Consultants über Mittel- uns Osteuropa wird die Verfügbarkeit von Ingenieuren, Technikern und Anwendungsprogrammierer in Polen momentan gerade mal als ausreichend bewertet. Hochqualifizierte Akademiker fehlen vor allem in den Bereichen Maschinenbau, Elektrotechnik, Bau, Umweltschutz, Informatik, Bergbau und Nahrungsmittelindustrie. Gute Karriere-Chancen gibt es laut der Studie für ambitionierte Ausländer vor allem bei polnischen Unternehmen – sie zahlen nicht nur häufig besser als ausländische, sondern haben ihren Firmensitz und damit auch Top-Positionen in Polen. Glaubt man Maria Montowska, Mitglied der Geschäftsführung der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer (AHK) in Warschau, lohnt es sich für Deutsche in der Perspektive auf jeden Fall, in Polen zu arbeiten. „Der polnische Arbeitsmarkt ist zwar nicht so stabil wie der deutsche, doch viele Branchen müssen und wollen sich schnell entwickeln, um den Anschluss an die Mitgliedsländer der Alt-EU zu erreichen“, sagt Montowska. Allerdings sei die Kenntnis der polnischen Sprache Voraussetzung, als unentbehrliche Zweitsprache gelte Englisch, Deutsch liege von der Bedeutung her in der Regel an dritter Stelle.Ein Grund, warum sich bislang nur wenige Deutsche in dem Land östlich der Oder versuchen, ist sicherlich die Vergütungssituation. Denn trotz rasanter Zunahme der Verdienste von zuletzt zehn Prozent pro Jahr bewegen sich die Einkommen von Arbeitnehmern im mittleren Einkommensbereich bei gut einem Drittel der deutschen Entgelte. Der Durchschnittslohn wird im August 2008 umgerechnet die 1000 Euro-Grenze brutto überschreiten, Arbeitnehmer mit Hochschulabschluss kommen auf umgerechnet rund 1600 Euro brutto – allerdings sind massive Gehaltsschwankungen nach oben als auch unten möglich und üblich. Vor allem Berufseinsteiger müssen sich allerdings mit relativ geringen Einkommen zufrieden geben. „Die niedrigeren Lebenshaltungskosten in Polen kompensieren die geringeren Bezüge immer weniger“, bestätigt Montowska von der AHK. Andererseits nähern sich laut der Kienbaum-Studie die Vergütungen insbesondere in Polen und Russland schnell dem westeuropäischen Niveau an. Rainer von Daak ist trotz geringerer Bezüge hochzufrieden mit seinem Leben in Polen. Seit 2001 lebt der technische Ingenieur in Polen und sieht für sich und generell für Hochqualifizierte, auch Deutsche, viele Perspektiven. „Es ist mittlerweile kein Problem, in Polen eine Arbeit zu finden“, sagt der 43-Jährige. Es sei für den beruflichen Erfolg jedoch elementar, die polnische Sprache zu beherrschen, denn dann würde man in Polen schnell akzeptiert. Und noch mehr: „Ich habe erlebt, dass es für viele polnische Unternehmen eine Ehre ist, wenn sich ein Deutscher bei ihnen bewirbt oder für sie arbeitet“, sagt der Wahl-Warschauer. ENDE
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