DIE ERINNERUNG ERWECKT ZU NEUEM LEBEN
Stanislaw Borowski zieht Kraft aus seinen Erzählungen über seine Zeit mit Oskar Schindler
(n-ost) - Es ist die Erinnerung, die ihm Kraft gibt. Die Erinnerung an ein Leben, das von dem Grauen der Zwangsarbeit geprägt war. Aber auch von guten Erfahrungen, die Stanislaw Borowski, heute 86 Jahre alt, mitten im Krieg gemacht hat: bei Oskar Schindler, jenem deutschen Industriellen, der im Zweiten Weltkrieg fast 1200 Juden das Leben rettete . Deshalb will der Pole nichts anderes als aus dieser Zeit berichten – aus der Zeit nach 1939, als er nach Krakau kam.
Stanislaw Borowski. Foto: Michal Sosna
Und Borowski beginnt über jene Ereignisse zu berichten, die seine Gedankenwelt in den letzten Jahren wohl am stärksten geprägt haben und ihm eine Art persönliche Renaissance bescheren. Über seine Familie, seine Töchter und Enkel, sein Leben im sozialistischen Polen und später als Rentner erzählt er nur wenig. Ihm liegt vor allem am Herzen, über die Zeit bei Oskar Schindler zu berichten. Und dessen Namen hoch zu halten. 1939 also. Als 17-Jähriger wurde der aus der südostpolnischen Stadt Sanok stammende Borowski von den deutschen Besatzern nach Krakau zum Baudienst gebracht. Dort arbeitete er bis zum Jahr 1942, als ihn Oskar Schindler in die Fabrik für Emaille-Waren holte, in der neben der Mehrzahl von bis zu 1000 polnischen Juden auch etwa 300 nichtjüdische Polen arbeiteten. Zunächst war er abkommandierter Zwangsarbeiter im Rahmen des Baudienstes, später arbeitete er dort auf freiwilliger Basis. „Nach einem Jahr stellte Herr Schindler mich privat ein. Ich war in der Aufsicht für die militärische Produktion, in der Zünder für Artilleriegeschosse hergestellt wurden, beschäftigt“, erzählt der 86-Jährige. Durch den ständigen Kontakt lernte Borowski Schindler gut kennen. „Herr Schindler war ein sehr kultivierter Mensch, der es nicht zuließ, dass irgendjemandem Leid zugefügt wurde.“ Mit seinen Arbeitern habe Schindler fast immer in gebrochenem Polnisch und Tschechisch gesprochen. Immer wieder spricht Borowski von „Herrn Schindler“, drückt seine Wertschätzung für dessen Rettungstaten aus, erzählt kurze Anekdoten. Etwa die, als ihn Schindler aus dem berüchtigten Lager Plaszow herausholte, in dem 6000 polnische Männer nach Ausbruch des Warschauer Aufstandes 1944 inhaftiert worden waren. „Ich bat ihn danach, auch zwei meiner Freunde aus dem Lager zu holen, und er tat es, obwohl sie nicht in seiner Fabrik beschäftigt waren“, erinnert sich der 86-Jährige.
Stanislaw Borowski in seiner Krakauer Wohnung. Foto: Michal Sosna
1944 konnte Schindler die Fabrik ins tschechische Brnenec verlegen und fast 1200 Juden als Arbeiter mitnehmen, die auf diese Weise vor dem Tod gerettet wurden. Borowski blieb, um sich um seine Eltern in Krakau zu kümmern und weil für ihn, einen katholischen Polen, anders als für Juden, zu diesem Zeitpunkt keine unmittelbare Lebensgefahr mehr bestand. Dann kam die Befreiung. Borowski arbeitete zwar noch eine Zeit lang in der Emaille-Fabrik, die nun unter polnischer Verwaltung stand. Dann zog er aber 1948 nach Gliwice, fand in der Industriestadt eine Anstellung in einem Projektbüro eines großen Unternehmens, das in der Region Chemie-Betriebe plante und baute. „Die Kontakte mit Krakau blieben zwar über den Beruf, jedoch habe ich über die Zeit nur mit einer ehemaligen Kollegin aus der Schindler-Fabrik den Kontakt aufrecht erhalten können.“ Die gesamte Zeit bis in die 90er Jahre hinein habe sich niemand für die Geschichte von Schindler interessiert, er selbst habe in der Familie aber sporadisch über seine Erlebnisse berichtet. Erst zu Beginn der 90er Jahre meldete sich ein polnischer Zeitschriften-Reporter, nachdem Steven Spielbergs Film über Oskar Schindler auch in Polen Furore machte. Wichtige Teile davon wurden in Krakau gedreht. „Über ein aufgezeichnetes Interview hat dann Aleksander Skotnicki den Kontakt zu mir gefunden.“ Skotnicki, Medizinprofessor an der Krakauer Jagiellonen-Universität, hat 2007 ein 450 Seiten starkes Buch mit Berichten und Fotos von ehemaligen jüdischen und polnischen Mitarbeitern Oskar Schindlers herausgebracht – „Oskar Schindler, in den Augen der von ihm geretteten Juden“. „Im Jahr 2002 besuchte mich Herr Skotnicki im Krankenhaus, und dieses Treffen hat mich damals sowohl gefreut als auch gerührt.“ Das neu erwachte Interesse an der Geschichte Borowskis hat dem damals kranken Rentner wieder neues Leben eingehaucht. Seitdem verfolgt er Skotnickis Bemühungen, die Erinnerung an Schindler und auch an die von ihm Geretteten in Form des Buches, durch Ausstellungen und Begegnungen wachzuhalten. Auch Skotnickis Versuch, eine Dauerausstellung in Krakau über den Deutschen mitzugestalten, begleitet Borowski. Doch der 86-Jährige ist nicht nur Beobachter, sondern auch wichtiger Berater und Ideengeber. „Herr Skotnicki freut sich, dass ich eine Art fotografisches Gedächtnis habe und ihm viele Details von den Geschehnissen damals und von dem Ort, der Fabrik, erzählen kann“, sagt der 86-Jährige. In Skotnickis Buch ist Borowskis Person und seinen Schilderungen ein eigenes Unterkapitel gewidmet, Erinnerungsfotos aus dieser Zeit wurden bereits auf Ausstellungen gezeigt. Vor einem Jahr gab es ein Treffen in Krakau, bei dem das zur Zeit neu entstehende Geschichtsmuseum auf dem Gelände der Emaille-Fabrik in Krakau Thema war. Dort soll die Geschichte rund um Schindler in einem Teilbereich gezeigt werden. „Ich wollte bei dieser Veranstaltung die Stimme erheben, war aber so gerührt, dass mir das Sprechen schwer fiel“, erinnert sich Borowski etwas verlegen. Ebenso habe es noch im Juni 2008 eine Begegnung in der Polnischen Akademie der Wissenschaften (PAU) gegeben, „bei der Herr Skotnicki ein Treffen mit einer ehemaligen Kollegin aus der Fabrik einfädelte, die ich seit über 60 Jahren nicht mehr gesehen habe“, sagt er merklich gerührt. Auch dies seien bewegende Momente gewesen. Während Borowski von diesen Begegnungen und Situationen spricht, sowohl jenen aus dem Krieg als auch denen der jüngsten Zeit, scheint es, als sprudelten all diese Erinnerungen aus einer viele Jahre fast versiegten Quelle, deren Wasser sein Leben nun dafür umso mehr bereichert und ihm neue Kraft spendet. „Jedes Gespräch, das ich über die Zeit damals führe, rührt mich. Bei dem letzten Treffen in Krakau hatten wir eine angeregte Unterhaltung, ein Gläschen Wein, und ich fühlte mich, als wäre ich 20 Jahre alt“, sagt er schmunzelnd. Leider kämen zu den heutigen Treffen nur wenige ehemalige Schindler-Arbeiter, viele seien bereits gestorben.„Meine Kinder fragen mich bis heute vorwurfsvoll, warum ich früher so wenig erzählt habe. Heute fahren sie gerne mit mir nach Krakau und begleiten mich bei meinen Treffen mit anderen Überlebenden“, sagt Borowski. Gleichwohl stellt er fest, dass die heutige junge Generation in einem ganz eigenen Lebensrhythmus lebe und in der Regel nur vereinzelt Interesse an den Geschichten der Älteren zeige. Als er in den 70er Jahren in der DDR gewesen sei, habe er festgestellt, dass so gut wie niemand über die Erlebnisse des Krieges sprechen wollte – erstaunlicherweise wären aber damals gerade die Älteren viel eher für Rückbetrachtungen über den Krieg bereit gewesen. „Wenn ich die Geschichte heute erzählen soll, und es geht in ein Ohr rein und durch das andere wieder raus, dann macht das nicht den geringsten Sinn.“ Was Borowski auf jeden Fall noch in möglichst vielen Gesprächen weitergeben möchte, ist, dass Schindler eine unglaubliche Person war, der man gedenken und über die man gut sprechen sollte. „Wenn wir auf Schindler als Menschen schauen, sollten wir sehen, dass er tätig und vor allem wohltätig war.“ Stanislaw Borowskis Geschichte, und damit er selbst, schienen von der Welt, außer von seinen Nächsten, vergessen zu sein. Jetzt, da sie wieder entdeckt wurde und auch er sie mit jeder Erzählung aufs Neue entdeckt, erwacht auch Borowski zu neuem Leben. Die Erinnerung rückt ihm eine schwierige, vom Krieg und der Besatzung gezeichnete, aber auch von überwältigender Mitmenschlichkeit geprägte Zeit seiner Jugend und des frühen Erwachsenseins ins Bewusstsein zurück. Und diese Erinnerung entfaltet sich umso größer, je stärker sie von der Außenwelt angenommen wird. Als lebendige Erinnerung durchbricht sie die Einsamkeit seines gebrechlichen Alters – und bringt ihn der Welt näher. Wer mit Stanislaw Borowski spricht, spürt weder die Armut, in der er lebt, noch dessen hohes Alter. Der 86-Jährige wirkt hellwach, äußerst bewusst – und reich an Erkenntnissen. „Ich kehre während dieser Gespräche in meine Jugend zurück, und das ist einerseits schön, andererseits aber traurig, denn dann merke ich, wie alt ich schon geworden bin. Aber es ist gut, dass ich das alles überhaupt erzählen kann.“ENDE
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