Aus für den „Kraken"
Sie hätte eine ungewöhnliche Dominante über der Moldau werden können, die futuristisch anmutende neue tschechische Nationalbibliothek. Doch der „Krake“, wie der Entwurf des Gebäudes wegen seiner fließenden Formen und der ebenso gewöhnungsbedürftigen Farbgebung von den Pragern genannt wurde, liegt in seinen letzten Zuckungen. Kulturminister Vaclav Jehlicka beendete den leidenschaftlichen Streit um das architektonische Jahrhundertprojekt mit der Bemerkung, dass dafür schlicht kein Geld da sei.In Wahrheit ist der „Krake“ aber nicht am Mangel an Finanzen gescheitert.
Entschieden hat wohl eher der konservative Geschmack der politisch Verantwortlichen. Präsident Vaclav Klaus fand den Entwurf schlichtweg „hässlich“ und drohte, er werde notfalls die Arbeit der Bagger mit seinem „eigenen Körper“ zu verhindern wissen. In der Folge knickten auch diejenigen ein, die anfangs von dem Projekt begeistert schienen. Oberbürgermeister Pavel Bem etwa, der als Mitglied der Jury noch für den Entwurf gestimmt hatte. Schließlich weigerte sich der Stadtrat, der Nationalbibliothek wie versprochen das Baugrundstück auf dem Letna-Hügel in Sichtweite zur Prager Burg zu verkaufen.Der Bau des Exil-Tschechen Jan Kaplicky, dessen Londoner Architektur-Büro zu den begehrtesten der Welt gehört, sollte eine neue Heimstadt für zehn Millionen Bücher werden.
Durch riesige Bullaugen hätten die Leser gleichzeitig einen traumhaften Blick über die Moldaustadt genießen können. Kaplicky hatte sich in einem international ausgeschriebenen Wettbewerb gegen 400 Mitbewerber durchgesetzt. Allein dieser Wettbewerb hatte 1,2 Millionen Euro gekostet, die nun in den Sand gesetzt sind. Die Nationalbibliothek erwägt jetzt eine Schadensersatzklage gegen die Stadt. Doch die verschanzt sich hinter dem Staat. Eine Nationalbibliothek sei ja wohl nicht Sache Prags, sondern ganz Tschechiens, so das Argument. Stararchitekt Kaplicky kam während der heißen Debatten um sein Projekt aus dem Staunen nicht heraus. Er hatte gemeint, „seine Tschechen“ würden mit einem Landsmann anders umgehen.
Doch die politisch Verantwortlichen griffen in die untersten Trickkisten, um das Projekt zu verhindern. Gleich drei Kommissionen und das Kartellamt wurden bemüht, um Haare in der Suppe zu finden. So sei es angeblich bei der Ausschreibung nicht mit rechten Dingen zugegangen. Kaplicky bedauerte, dass die ganze Sache zu einem „Politikum“ verkam. Nicht nur seine Anhänger sind nun der Meinung, dass Prag nach diesem Possenspiel nie wieder ein Projekt auszuschreiben brauche. Die Stadt habe sich bis auf die Knochen blamiert und auch international unmöglich gemacht.Eine Hoffnung gibt es: Sollten die oppositionellen Sozialdemokraten die nächsten Wahlen gewinnen, wollen sie den „Kraken“ bauen lassen. Die Ehefrau des Parteichefs gehört zu den großen Fans Kaplickys.
Ob es zu einem politischen Machtwechsel kommen wird, ist derzeit aber offen. Kaplicky kann ab kommenden Februar wieder allein über die Autorenrechte an dem „Kraken“ verfügen, die jetzt der Nationalbibliothek gehören. Das schottische Edinburgh hat bereits Interesse an dem Projekt angemeldet. Bleibt die Frage, wo die jährlich bis zu 100.000 neuen Bücher der tschechischen Nationalbibliothek gelagert werden sollen. Das barocke Jesuitenkolleg Klementinum in der Altstadt, das derzeit die gedruckten Schätze aufbewahrt, platzt aus allen Nähten. Und genau das war der Grund, weshalb ein Neubau in der Planung war.