Sitzen wie beim Khan
Sie ist praktisch, gemütlich, farbenprächtig, doch die Kurpacha wird stiefmütterlich behandelt. Die „kleine Decke“, so wörtlich aus dem Usbekischen übersetzt, ist eine mit Baumwolle gefüllte Matte und in jedem usbekischen Haushalt zu finden. Auch in den Nachbarländern Kirgisien, Tadschikistan und Turkmenistan sitzt, liegt oder schläft man auf ihr. Doch wer sie kaufen will, hat ein Problem: Passende Kurpachas auf den Basaren zu finden, ist nicht so einfach.In den kuppelüberdachten Markthallen Bucharas wartet usbekisches Kunsthandwerk auf Touristen.
„Madame, echte Seide, echte Seide“ locken die Händler und fahren mit den Händen über Stoffbahnen. Traditionell bunt und eckig gemustert treffen diese den westlichen Geschmack nicht ganz. Blau-grüne Keramik gibt es, kunstvoll geschmiedete Messer, Tischdecken mit aufwendiger Susami-Stickerei, sogar Kissenbezüge. Doch die viel genutzte Sitzmatte sucht der Souvenir-Jäger auf den Basaren ebenso vergeblich wie in normalen Geschäften. Auch im Taschkenter Museum für angewandte Kunst hängt prachtvoll bestickter Wandschmuck in Vitrinen.
Antike Teller aus verschiedenen Regionen sind zu bewundern, daneben kompliziert geschnitzte Koranhalter. Doch über die kleine Decke weiß das Museum nichts zu erzählen. Die Museumsmacher halten die kleine Decke wohl für keinen vorzeigenswerten Teil der usbekischen Kultur. Das liegt womöglich daran, dass die Kurpacha so sehr zum Alltag der Usbeken dazugehört, dass sie kaum Beachtung findet.
Auf Tapchan und Kurpacha lässt sich vorzüglich eine Kanne Tee trinken / Nina Körner, n-ost
Die Kurpacha ist immerhin so bedeutend wie ein Möbelstück. Der Mangel an Holz machte Möbel in Zentralasien stets rar, bis heute sind Holzmöbel teuer. Auf dem Boden ausgerollt, diente das längliche Sitzpolster daher tagsüber als Sofa, nachts als Matratze. Wurde sie nicht gebraucht, fand die Kurpacha ihren Platz in einer Wandnische. Diese ersetzte häufig ebenfalls aus Holzmangel Regal oder Schrank. War die Kurpacha abgewetzt oder löchrig, nahm die Hausherrin diese auseinander und setzte die brauchbaren Stoffstücke wieder zusammen, weiß Irina zu berichten.
Die Dolmetscherin führte zu Sowjetzeiten Besucher durch die „Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft“ in Taschkent. Die Besonderheiten des asiatischen Lebensstils haben die Gäste schon damals sehr interessiert, sagt sie, die Kurpacha gehöre dazu. In Heimarbeit wird die „kleine Decke“ heute für den Verkauf gefertigt. Allerdings sind sie nur auf großen Märkten, zum Beispiel auf dem Taschkenter Chorzu-Basar, zu finden. Im Marktgang zwischen der Pflanzensektion und den Bekleidungsbuden stapeln sich die etwa 80 Zentimeter breiten Sitzkissen.
Material und Farbe reichen von goldgewirkten chinesischen Drachenmustern bis zu einfachem Blumendruck. Zwischen all der Buntheit diskutieren Lehrerin Elvira und Ehemann aufgeregt. Welche Kurpacha sollen sie kaufen? Die „kleine Decke“ soll passen – zum kürzlich gekauften Tapchan. Murat steht an der Ausfallstraße Sofieskoi. Die Sonne brennt, doch Murat führt hier sein Möbelgeschäft unter freiem Himmel. Er verkauft Tapchane. Wie ein Bettgestell ohne Matratze sieht dieses Möbel aus und ist an zwei oder drei Seiten von einem niedrigen Geländer begrenzt. Tapchan heißt soviel wie „Bettchen“, doch es kann von stattlicher Größe sein. Das traditionelle Sitzpodest ist die Zierde jedes Innenhofes. Wer kann, leistet sich die Prestigeversion mit aufwendigen Verzierungen.
Aus dunklem Nussholz geschnitzt und in extravaganter achteckiger Form kostet diese bis zu einer Million Sum, etwa 750 US-Dollar. In Usbekistan, mit einem Durchschnittseinkommen zwischen 100 und 200 Dollar und einer inoffiziellen Inflationsrate von 38 Prozent, ist dies ein Vermögen. Murats Kunden feilschen daher ausdauernd in der sengenden Mittagshitze um Rabatt. Schließlich würden sie auch den niedrigen Tisch nehmen, der den Tapchan häufig ergänzt, um Speisen und Getränke darauf zu servieren. Ein Muss ist dieser allerdings nicht. Der Usbeke weiß, dass die Mitte des Tapchan eine Tabuzone für die Füße und der Platz für Teekanne und Süßigkeitenteller ist. In Buchara lässt sich die Mittagshitze auf dem altgedienten Tapchan im Innenhof einer ehemaligen Medrese ertragen. Das wüstenbraune Gebäude ist liebevoll zum „Hotel Amulet“ gestaltet. Die Besucher bewundern die Liebe zum Detail, die handgewebten Teppiche, die Scherben alter Majolikakacheln, die geschnitzten Türen. Und sie erleben, wie wahre usbekische Gastfreundschaft aussieht: Auf dem Tapchan und bunten Kurpacha einen Kanne grünen Tee und einen Teller voll kandierter Nüsse genießen zu können.