Karadzic ist nicht die Republika Srpska
Auch am zweiten Tage nach der Festnahme des einstigen Präsidenten der Republika Srpska (RS) ist es dort bislang zu keinerlei öffentlichen Protesten gekommen. Die RS habe sich mit dem Abkommen von Dayton zur Zusammenarbeit mit dem Haager Kriegsverbrechertribunal verpflichtet, sagte Dodik vor den Medien. Gleichzeitig verwahrte er sich aber vor einer Gleichsetzung von Karadzic und der RS. „Die Schuld ist individuell. Karadzic muss sich mit seinem Vornamen und Namen vor dem Tribunal verantworten.“ Sein Fall dürfe nicht dazu missbraucht werden, jetzt mit der RS als Ganzes abzurechnen.
Dodik reagierte damit auf Äußerungen von führenden bosnisch-muslimischen Politikern, die nach der Festnahme Karadzics die Abschaffung der RS gefordert hatten. Haris Silajdzic, Vorsitzender des bosnisch-herzegowinischen Staatspräsidiums und Verfechter eines starken Gesamtstaates, hatte kritisiert, dass trotz Karadzics Festnahme „sein Projekt weiterlebt. Es ist nötig, auch dieses Projekt zu verhaften“.
In dieselbe Bresche schlug Sulejman Tihic, Vorsitzender der vom einstigen Staatspräsidenten Alija Izetbegovic gegründeten Partei der Demokratischen Aktion (SDA): „Die RS ist eine Schöpfung von Karadzic. Deshalb darf sie nicht weiter bestehen.“ Bosnisch-muslimische Politiker wie auch Menschenrechtsorganisationen kritisieren immer wieder, die RS beruhe auf Völkermord und Vertreibung.
Die Republika Srpska wurde im Friedensabkommen von Dayton, das den Krieg in Bosnien und Herzegowina Ende 1995 beendet hatte, als eine der beiden Teilrepubliken des Landes anerkannt. Karadzic hatte die RS allerdings schon Anfang 1992 proklamiert und war bis 1996 ihr Präsident. Während des Krieges betrieben die von Karadzic und seinem Armeechef Ratko Mladic kommandierten Truppen in der RS einen blutigen Vertreibungskrieg gegen alle Nicht-Serben. Dieser gipfelte im Juli 1995 im Massaker von Srebrenica mit 8000 ermordeten Muslimen.
Trotzdem ist Karadzic für viele bosnische Serben bis heute ein Held – gerade weil er die RS gegründet hatte. Um diese Gemüter etwas zu beruhigen, bot Ministerpräsident Dodik der nach eigenen Angaben verarmten Karadzic-Familie seine Unterstützung an, um ihr einen Besuch beim Haager Angeklagten zu ermöglichen. Vor allem kommt es Dodik aber gelegen, dass Karadzic in Serbien und nicht in der RS verhaftet wurde. „So musste er sich die Finger nicht schmutzig machen, der Vorwurf des Verrats richtet sich nun gegen Serbiens Präsident Tadic und nicht gegen ihn“, sagt Tanja Topic, Politologin aus der RS-Hauptstadt Banja Luka.
Für Topic ist die Verhaftung in Serbien ein Grund dafür, dass es bislang keine Proteste der bosnischen Serben gab. Eine andere Ursache sei, dass viele Leute „ganz andere, existenzielle Probleme haben und sich nach all den Jahren nicht mehr besonders für Karadzic interessieren“, sagte die Politologin. Vor fünf oder sieben Jahren hätte es nach einer Festnahme hingegen mit Sicherheit Massendemonstrationen gegeben. „Doch jetzt wird Karadzic in einer Woche kein Thema mehr sein“.
Nebst einer recht erfolgreichen Wirtschaftspolitik ist die Verteidigung der RS als weitgehend selbständige Teilrepublik einer der Hauptpfeiler von Milorad Dodiks Politik. Darin unterstützen ihn auch die allermeisten Oppositionsparteien. In der Vergangenheit drohte Dodik immer wieder mit einem Referendum zur Abspaltung der RS vom Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina, wenn Rufe nach Auflösung der RS laut geworden waren. In Wirklichkeit, so Tanja Topic, wolle er aber damit lediglich die RS stärken. Eine staatliche Unabhängigkeit oder gar eine Vereinigung mit Serbien sei, und das wisse auch Dodik, völlig unrealistisch: „Serbien, das auf dem Weg nach Europa ist, hat keinerlei Interesse daran.“
Nach der Festnahme von Karadzic und der damit verbundenen verschärften Kritik an der RS hat Dodik die Sezessions-Karte bislang noch nicht gezogen. Spätestens im Herbst, wenn Lokalwahlen in ganz Bosnien und Herzegowina anstehen, dürfte der Grundsatzstreit über die vom mutmaßlichen Massenmörder Karadzic gegründete Republika Srpska aber wieder ausbrechen. Denn Dodik und sein schärfster Widersacher Silajdzic, Vorsitzender der vorwiegend muslimischen „Partei für Bosnien und Herzegowina“; wissen, dass sich damit am meisten Stimmen holen lassen.
2006 war das Jahr des Durchbruchs für Milorad Dodik (49), den Chef des „Bundes der Unabhängigen Sozialdemokraten“ (SNSD). Seine Partei errang die absolute Mehrheit im Parlament der Republika Srpksa. Dodik, der im Bosnien-Krieg keine aktive Rolle spielte, wurde zum zweiten Mal Ministerpräsident, nachdem er das Amt schon 1998 bis 2001 innehatte. Dieser Erfolg war auch ein Sieg über seinen politischen Erzfeind, die von Karadzic gegründete nationalistische Serbische Demokratische Partei (SDS), die bis dahin meist die tonangebende Kraft in der RS war. Heute spielt die SDS als Oppositionspartei nur noch eine marginale Rolle. Kritiker werfen Dodik einen diktatorischen, intransparenten Regierungsstil und schwere Fälle von Korruption vor. Zudem ist es ein offenes Geheimnis, dass er die Medien der RS weitgehend kontrolliert.