Ukraine

Sewastopol streitet um die Schwarzmeerflotte

Die Integration der Ukraine in die Nato erhitzt die Gemüter im Land. Erst jüngst haben sich prorussische und prowestliche Gruppierungen in Sewastopol und Odessa am Schwarzen Meer gegenüber gestanden. Anlass war das Nato-Militärmanöver „Sea Breeze 2008”, an dem Soldaten aus 15 Ländern, darunter Deutschland, noch bis zum 26. Juli teilnhmen. Es gab es sogar Handgemenge mit der Polizei. Abseits solcher Öffentlichkeit erzeugenden Aktionen wird an einem Ort ständig und heftig über dieses Thema gestritten: in Sewastopol auf der Krim. Dort ist die Russische Schwarzmeerflotte noch mindestens bis 2017 stationiert.

In der Bucht von Sewastopol kann man heute wieder Fische angeln. Das Wasser ist sauberer geworden. Statt Militärs prägen Touristen das Bild am Hafen und an der neu gestalteten Promenade. Von Booten aus schauen sie sich die Militärschiffe in der Bucht an – ukrainische und russische. Das wäre noch vor 20 Jahren, als Sewastopol eine geschlossene Stadt war, undenkbar gewesen. Undenkbar war damals auch, dass sich ausländische Firmen in der Stadt auf der Südkrim niederlassen. Heute gehört Sewastopol dank vielfältiger Handelsbeziehungen zu den sich am rasantesten entwickelnden Regionen der Krim. Diese neue Qualität wissen die Sewastopoler zu schätzen, glaubt der stellvertretende Bürgermeister Wladimir Kasarin.

Touristen schauen sich den Hafen von Sewastopol an / Dörthe Ziemern, n-ost

Das bedeutet allerdings nicht, dass Sewastopol sein Wohl in der weiteren Entmilitarisierung, sprich: dem Abzug der russischen Flotte, sieht. Kasarin: „Die Mehrheit der Sewastopoler will die Flotte auf dem heutigen Niveau behalten.“ Immerhin sichert das russische Militär dem Stadthaushalt nach Angaben aus der Verwaltung 14 Prozent der Einnahmen, andere Stellen sprechen von 36 Prozent. Die Flotte gibt rund 22.000 Einwohnern Arbeit. Deshalb beschwört Kasarin die guten Beziehungen zu Russland und lobt die multikulturelle Atmosphäre in der Stadt: Bei einem Konzert zum Stadtjubiläum hätten die Zuhörer russischen und ukrainischen Sängern gleichermaßen zugejubelt. Die Zeitungen in der Stadt erscheinen auf Ukrainisch, Russisch, Krimtatarisch, Bulgarisch, Armenisch.

Doch viele Sewastopoler wollen von Multikulti nichts hören. Das sind jene 42 Prozent der Stadtbewohner, die sich einen Anschluss der Krim an Russland wünschen. Seit 1954 gehört die Insel zu Ukraine, damals übertrug Nikita Chruschtschow die Krim an die ukrainische Sowjetrepublik. Als Standort der Schwarzmeerflotte war die Stadt schon zu Sowjetzeiten russisch geprägt. Heute sind drei Viertel der Sewastopoler ethnisch Russen, ein Fünftel Ukrainer. Der Rest gehört ethnischen Minderheiten an. Russisch ist die dominierende Sprache, auch wenn Ukrainisch Amtssprache ist. Viele Einwohner können aber gar kein Ukrainisch, und die Schulen sind oft nicht in der Lage, sauberes Ukrainisch zu lehren.

Ein U-Boot der russischen Schwarzmeerflotte im Hafen von Sewastopol / Dörthe Ziemer, n-ost

Die prorussische Stimmung auf der Krim macht sich Russland zunutze. Es fühlt sich von den Bestrebungen der ukrainischen Regierung in Richtung Nato und EU provoziert. Die Antwort Russlands darauf ist das Beharren auf dem Flottenstützpunkt. „Die russische Flotte stützt die prorussische Stimmung auf der Krim“, sagt Sergej Kulik vom Nomos-Zentrum, das geopolitische Probleme und die euroatlantische Zusammenarbeit in der Schwarzmeer-Region erforscht und analysiert. So sei das Büro der russischen Gemeinde von Sewastopol bei der russischen Flotte untergebracht, gibt Kulik als Beispiel an.

Die Hauptfunktion der russischen Flotte sei längst keine strategische mehr, sagt Kulik. „Die hat sie beim Zusammenbruch der Sowjetunion verloren. Heute ist ihre Hauptfunktion eine politische. Ohne Flotte würden auch die separatistischen Stimmungen auf der Krim gegen Null gehen.“ Seiner Ansicht nach teilen etwa 45 Prozent der Sewastopoler seine Meinung: „Je eher die Flotte geht, desto besser für die Entwicklung der Stadt.“ Auch Präsident Viktor Juschtschenko will den Pachtvertrag mit Russland über 2017 hinaus nicht verlängern.

Dem Willen des Präsidenten würde sich auch die Stadtverwaltung nicht entgegenstellen, glaubt Kulik. Auch wenn das zahlreiche Probleme für die Stadt mit sich bringt: Wo finden 22.000 Menschen neue Arbeit? Was wird aus den alten Militäranlagen? Womit wird das mit dem Abzug entstehende Loch in der Stadtkasse gefüllt? Um diese Fragen zu lösen, müsse man jetzt anfangen nachzudenken, fordert Kulik. Doch die Stadtverwaltung tut nichts, und Russland denkt gar nicht daran, mit der Ukraine über den Abzug zu verhandeln. Wladimir Lisenko, Berater des russischen Botschafters in der Ukraine für Fragen der russischen Schwarzmeerflotte: „2017 wird Viktor Juschtschenko nicht mehr Präsident der Ukraine sein. Dann werden wir sehen. Russland will den Vertrag jedenfalls verlängern.“

Für viele Einwohner Sewastopols, egal, ob russisch, ukrainisch, separatistisch oder pro-europäisch, wäre der Abzug ein Bruch. Das hat keine nationalistischen Gründe, glaubt Sergej Kulik. Die Bürger haben viele Jahrzehnte mit der Flotte gelebt, ihre Familienangehörigen arbeiten dort, und die Militärs sind bei Jubiläumsfeiern in der Stadt präsent. Gerade deswegen, fordert Kulik, müssten rechtzeitig neue Visionen für Sewastopol entstehen: Sewastopol als Touristenzentrum oder als Stadt der Wissenschaft. Doch die Stadtverwaltung bemühe sich so lange nicht um eine Entwicklung der Region, solange sie einen festen Teil des Stadtbudgets ohne Anstrengung einnehme – nämlich von der russischen Schwarzmeerflotte.


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