Oligarch fordert Regierung heraus
Georgien steht Kopf. Bis vor kurzem hätte niemand gedacht, dass sich in den nächsten Jahren an der Spitze des Landes etwas ändern würde. Doch dann betrat unerwartet ein Mann das politische Parkett, über den sich die Menschen bislang nur von Bewunderung und Erstaunen geprägte Geschichten zu erzählen wussten.
Nun richten sie ihre Augen auf dessen Residenz über der Altstadt von Tiflis. So entrückt und erhaben der Gebäudekomplex aus Glas und Aluminium auf dem Felsen steht, so abgeschottet lebte dessen Hausherr in den vergangenen zehn Jahren in Georgien. Bekannt war lediglich, dass er in den 90iger-Jahren ein Vermögen in Russland gemacht hatte. 5,5 Milliarden Dollar soll es laut Forbes-Liste betragen.
Was ihn von anderen Oligarchen unterschied: Gerüchte besagten, dass er die Menschen in seinem Heimatbezirk Satschchere fernab der Hauptstadt mit Strom und Gas versorge, ihnen die Krankenversicherung zahle und Häuser bauen lasse. Darüber hinaus finanziere er Künstler in Tiflis, die Oper, Theater und Kirchenbauten in der Hauptstadt. Der Name des wohltätigen Milliardärs: Bidsina Iwanischwili.
Anfang Oktober platzte mitten hinein in die politische Lethargie eine Pressemeldung. Iwanischwili verkündete, er wolle den seit bald acht Jahren regierenden Präsidenten Michail Saakaschwili und seine Regierungspartei bei den Parlamentswahlen im nächsten Jahr besiegen. Dies erhitzte die Gemüter im ganzen Land. Denn in den vergangenen Jahren wuchs die Unzufriedenheit mit Saakaschwili. Zwar ist die Alltagskorruption inzwischen beseitigt, nicht aber die sozialen Probleme. Und die Führung um Saakaschwili neigt dazu, mehr und mehr Macht in ihren Händen zu konzentrieren.
Doch ist der Milliardär Iwanischwili eine Alternative? Ein Besuch in seiner Heimatregion Satschchere bestätigt zunächst einmal die Gerüchte. In Iwanischwilis Heimatdorf Djorwila gibt fast ausschließlich neue Häuser. Auch in der Umgebung glänzen zahlreiche frisch gedeckte Dächer. Wie viele andere zählt der Arzt Tamas Samcharadse auf, wofür der Oligarch Geld gibt: „Rentner, alleinstehende Mütter und kinderreiche Familien erhalten einen Zuschuss zu den staatlichen Leistungen.“ Auch Lehrer und Ärzte wie er bekämen zusätzlich zum Gehalt Geld und ja, alle Bewohner des Bezirkes Satschchere seien umsonst krankenversichert.
Aber was plant Iwanischwili, sollte er tatsächlich an die Macht kommen? Antwort gibt der bescheiden und freundlich auftretende Geschäftsmann bei einem Interview in seiner Residenz. „Hilfe für Bedürftige ist wichtig“, sagt er mit Blick auf die Spenden in seiner Heimatregion. Wichtiger sei es jedoch, den Menschen Arbeit und damit Verantwortung zu geben. „Die demokratischen Institutionen müssen gestärkt werden. Vor allem die Justiz und die Massenmedien müssen unabhängig werden.“ Außerdem dürfe der Staat nicht die Wirtschaft kontrollieren, wie die Regierung Saakaschwilis es tue. Dem Präsidenten wirft er vor, ihn und seine Leute provozieren zu wollen. Iwanischwili beteuert aber: „Wir wollen nur durch Wahlen an die Macht kommen.“
Doch im Moment hat er kaum politische Rechte. Kurz nach seiner Ankündigung entzog die Regierung Iwanischwili den Pass, weil er nach der georgischen auch die französische Staatsbürgerschaft angenommen hatte. Zudem beschlagnahmten die Behörden einen Geldtransporter seiner Bank mit Bargeld in Millionenhöhe. Die regierungsnahen Medien stellen den Oligarchen als Gehilfen Moskaus dar. Dagegen spricht, dass Iwanischwili westlich orientierte Oppositionspolitiker wie den Ex-UN-Botschafter Irakli Alasania zu Partnern wählte. Beide betonen, dass sich Georgien weiter Europa und der NATO annähern soll, aber auch, dass nach dem Krieg 2008 die Beziehungen zum nördlichen Nachbarn Russland verbessert werden müssen.
Zunächst will Iwanischwili eine politische Bewegung gründen, später eine Partei. In seinem Kampf um die Wiedererlangung der georgischen Staatsbürgerschaft bekam er prominente Unterstützung: Das hoch angesehene Oberhaupt der orthodoxen Kirche in Georgien, Ilia II., stellte sich an Iwanischwilis Seite. Was der Oligarch bewirken kann und will, ist offen. Sicher ist: Schon jetzt hat er den Menschen aufgezeigt, dass es Alternativen zu Saakaschwili geben kann.