Tschechien

RACHE FÜR RADARVERTRAG?

Moskau dreht am Ölhahn für Prag / Russland schiebt „technische Probleme“ vor – Tschechien stellt Gelassenheit zur Schau (n-ost) – „Drushba“ (Freundschaft) heißt die Erdölpipeline, die von Russland aus Richtung Westen führt. Mit der Freundschaft zu den Tschechen scheint es momentan nicht weit her zu sein. Kaum hatte Prag sein Einverständnis zum Bau einer Radarstation für den umstrittenen US-amerikanischen Raketenschutzschild gegeben, stotterte der Erdölfluss in die tschechischen Raffinerien. Reiner Zufall?Tschechien wiegelt ab, mag nicht so recht an einen Racheakt der Russen glauben. „Ein solches Vorgehen wäre doch zu kindisch“, sagt Industrie- und Handelsminister Martin Riman. Der russische Handelsdelegierte in Prag, Grigori Sarišvili, bestritt am Montag jeden politischen Hintergrund. Er schob stattdessen „technische Gründe“ vor. Seinen Worten nach gebe es Probleme bei der Erdölförderung in Russland und innerhalb der russischen Verteilerfirmen, die er aber nicht näher spezifierte.Man darf getrost bezweifeln, dass diese Begründung stichhaltig ist. Polen, Slowaken und Ungarn nämlich, die ebenfalls durch die „Drushba”-Pipeline beliefert werden, bekommen ihr volles Kontingent. Das der Tschechen dagegen schrumpft von vereinbarten 500.000 Tonnen auf nicht einmal 300.000 Tonnen Öl. Panik will Prag nicht aufkommen lassen. Das Land hatte nach der Wende von 1989 auch vorgesorgt und sich aus der einseitigen Abhängigkeit von russischem Öl befreit. Die ausbleibenden Lieferungen werden über eine Leitung aus dem deutschen Ingolstadt ausgeglichen. Zudem verfügt das Land über Reserven für drei Monate. Das Problem: das Öl aus Deutschland ist teurer. Sollte sich das auf die Preise für Diesel und Benzin an den tschechischen Tankstellen auswirken, könnte es für die Prager Regierung ungemütlich werden. Die Spediteure sind eh schon aufgebracht, weil der Preis für den Sprit steigt und steigt. Schon vor der Drosselung der Lieferungen aus Russland hatten sie deshalb um ein dringendes Gespräch mit Regierungschef Mirek Topolanek gebeten. Die Brummi-Fahrer sind angewiesen worden, nicht mehr in Tschechien zu tanken, sondern dort, wo der Kraftstoff billiger zu haben ist.Angesichts der reichlich verschwommenen Begründung aus Moskau für das Drehen am Ölhahn dürfte das Vertrauen in die Seriosität der russischen Ölmagnaten weitere Schrammen bekommen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Russland Öl oder Gas als politische Waffe benutzt. Darauf verweisen auch tschechische Zeitungskommentatoren. Die konservative „Lidove noviny“ spricht am Montag von einem „Test“. Russland nutze die Situation aus, „um zu sehen, welche Form des Drucks es sich künftig mit energetischen Quellen  gegenüber dem Westen erlauben kann.“ Das Blatt fordert Solidarität unter anderem der Europäer mit Tschechien. Doch die kann man kaum erwarten. Das Radar, der Raketenschild der Amerikaner überhaupt, sind nicht gerade das Lieblingsobjekt der übrigen Europäer. Zudem sind es gerade die Tschechen, allen voran Präsident Vaclav Klaus, die die EU derzeit hängen lassen. Und zwar mit der Ratifizierung des EU-Vertrages von Lissabon. Klaus hat den Vertrag nach dem Nein der Iren kurzerhand für tot erklärt und zögert mit der Unterschrift. Gut denkbar, dass der eine oder andere Nachbar der Tschechen jetzt klammheimlich die Hände reibt und den Tschechen empfiehlt, die Suppe, die sie sich eingebrockt haben, nun auch selbst auszulöffeln.Nicht ganz ungeschickt ist das russische Vorgehen auch gegenüber der tschechischen Bevölkerung. Die lehnt das Radarprojekt mit großer Mehrheit ab. Das wiederum erhöht den Druck auf die Abgeordneten in Parlament und Senat, die über das Radar erst noch befinden müssen. Schon jetzt ist keineswegs sicher, dass der Vertrag, den Condoleezza Rice und ihr tschechischer Außenministerkollege Karl Fürst Schwarzenberg unterzeichnet haben, auch die erforderliche Mehrheit bekommt. Und wer weiß, ob das Moskauer Drehen am Ölhahn nicht doch den ein oder anderen Prager Parlamentarier kalte Füße bekommen lässt.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0


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