Ungarn

Ungarns Rechtsextreme dürfen weiter hetzen

„Ich bin Emma”, flötet der bekifft wirkende Teilnehmer der „Budapest Gay Pride Parade” in die Kamera. Sein Begleiter raunt ins Mikrophon. „Und er hat den geilsten Arsch der Welt”. Der Reporter kommentiert: „Hier haben wir also die Dorfdeppen gefunden, die sich für die Anführer des Zuges halten.” Zu finden ist die zweieinhalbminütige Videosequenz im Internet: auf dem rechtsextremen Portal kuruc.info. Auch die Gegendemonstranten der Schwulen- und Lesben-Parade präsentieren sich auf dem Protal in martialischer Aufmachung: vermummte Rechtsextreme mit Samurai-Schwert, Baseball-Keule, Molotow-Cocktails und Eierkartons bewaffnet. Beide Gruppen sind am vergangenen Wochenende in Budapest aufeinander getroffen.

1.500 Schwule und Lesben marschierten – vermeintlich gesichert durch einen Zaun und viel Polizei – über die Andrássy út, den Budapester Prachtboulevard. Es war ein Spießrutenlauf: Böller, Eier, Flaschen flogen auf die Homosexuellen. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein. Insgesamt nahm sie  57 Störer fest. Der Oberbürgermeister der Stadt bezifferte die Schäden auf mehrere hunderttausend Euro.

Die Splitterpartei Jobbik und ihre Anhänger bei einer Demonstration / Stephan Ovszath, n-ost

Der lakonische Kommentar auf der Internet-Seite der rechtsextremen „Ungarischen Garde”, einer Wehrsportgruppe der Splitterpartei „Jobbik” („Die Besseren”/ „Rechteren”), lautete: „Man hört von Vandalismus.” Die Gegendemonstranten hätten eben ihr „Missfallen“ geäußert. Dass sie dabei   gefährliche Säuren verwendeten und vor Schlägen nicht zurückschreckten – davon kein Wort. Auch auf Politiker machten die Rechtsextremen Jagd. So etwa auf den ehemaligen Staatssekretär Gábor Szetey, der sich im vergangenen Jahr als Schwuler geoutet hatte und der daraufhin auf der Internetseite eines Privatradios mit Rosa Winkel am Revers und vor dem Eingangstor zum Vernichtungslager Auschwitz gezeigt worden war. Oder auf die bekennende Lesbe und sozialistische Abgeordnete Katalin Lévai. Beide wollten die Parade in einem Polizeiauto verlassen. Da wurden sie erkannt. Die Angreifer zerschlugen die Scheiben des Autos. Auch der Parteichef der Liberalen (SZDSZ), Gábor Horn, wurde von drei Männern im Stadtpark angegriffen. „Eine Schande, dass so etwas in einem europäischen Land passieren kann”, empörte sich die Europaparlamentarierin Lévai.

Der Fraktionschef des rechtskonservativen Bürgerbundes Fidesz, Tibor Navracsics, nutzte den Vorfall zur Kritik an der Regierung Gyurcsány. Wegen der „Unfähigkeit der Minderheitsregierung” sei die Polizei „nicht in der Lage gewesen, die öffentliche Ordnung zu sichern.” Die Veranstaltung hätte gar nicht stattfinden dürfen,sagte ein Sprecher der Konservativen vom „Ungarischen Demokratischen Forum” (MDF). Der Veranstalter der Gay Pride Parade, die „Regenbogen-Stiftung”, stellte sich schützend vor die Polizisten, die auch ins Kreuzfeuer der Kritik geraten waren. „Die Polizei hat sich beispielhaft und solidarisch verhalten”, heißt es in einer Stellungnahme.Empörung auch in der obersten Regierungsetage: „Das Maß ist voll”, befand der ungarische Ministerpräsident Gyurcsány. Es könne nicht sein, sagte der Sozialist am Tag danach, dass eine Minderheit die Mehrheit terrorisiere. „Wenn das so weitergeht, müssen wir alle Angst haben, auf die Straße zu gehen”, sagte Gyurcsány in einer Rede vor dem Parlament. Er kündigte für Anfang September eine große Protestkundgebung an. Und er versprach, mit den Würdenträgern des Staates zu reden, wie man die Lage der Schwulen und Lesben verbessern könne.

Ungarische Rechtsextreme demonstrieren / Stephan Ovszath, n-ost

Eine Möglichkeit hätte der Volksverhetzungsparagraf geliefert. Er hat das Parlament bereits passiert, aber Ende des Jahres hat Präsident László Sólyom seine Unterschrift verweigert. Begründung: Der Gesetzentwurf sei nicht verfassungsgemäß. Er verwies an das Verfassungsgericht. Sólyom war mit seinem Einspruch dem Ruf zivilrechtlicher Gruppen gefolgt, die eine Einschränkung der freien Meinungsäußerung befürchtet hatten. Der Vorstand der Zivilrechtlichen Union (TASZ), Balázs Dénes, hatte nach der Annahme der Gesetzesänderungen durch das Parlament erklärt: „Das neue Gesetz schränkt die Meinungsfreiheit in einer Art und Weise ein, die es so in Ungarn noch nicht gegeben hat.“

Monatelang prüften die ungarischen Verfassungsrichter den Gesetzentwurf, der Strafen bis zu zwei Jahren Haft für Volksverhetzung vorsah. Anfang der Woche kippten sie dann den Volksverhetzungsparagrafen der Regierung Gyurcsány. Das Gesetz gegen „Hassreden“ greife in nicht akzeptablem Maße in das Recht auf Meinungsfreiheit ein, so die Richter. Ihrer Meinung nach dürfen nur natürliche Personen das Recht haben, ihre Würde durch das Gesetz schützen zu lassen, nicht aber größere Gemeinschaften oder Gruppen, wie es der Gesetzentwurf vorsah. Ohnehin sei die Demokratie in Ungarn stark genug, extremistische Äußerungen abzufangen, verteidigte das Gericht seine Entscheidung. Der „Verkünder solcher Botschaften stellt sich mit seiner Meinung selbst an den Rand der Gesellschaft“, heißt es in der Urteilsbegründung. Die traditionellen Opfer extremistischer Schmähreden reagierten enttäuscht. „Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird hier mit dem Recht auf Würde auf eine Stufe gestellt“, kritisierte Péter Feldmájer, Vorsitzender der Ungarischen Jüdischen Gemeinden.

Immer wieder hatte der jüdische Verbandsfunktionär in der Vergangenheit beklagt, dass den Rechtsextremen der Splitterpartei „Jobbik“ und ihrer „Ungarischen Garde“ nicht mit gesetzlichen Mitteln das Handwerk gelegt werde. Einer der Initiatoren des Volksverhetzungsparagrafen, der sozialistische Abgeordnete Tamás Suchmann, traf sich nach der Zurückweisung des Gesetzes umgehend mit dem Präsidenten des Verfassungsgerichts. Das Tagebuch seiner Mutter brachte er als gewichtiges Argument gleich mit. Sie hatte es im Ghetto von Kaposvár und später in Auschwitz verfasst. Für Suchmann ist die höchstrichterliche Entscheidung „ein Schlag ins Gesicht aller, die voller Trauer der 600.000 Menschen gedenken, die am Ende des Zweiten Weltkriegs deportiert und getötet wurden.“ Rechtsextreme bekämen nun Oberwasser, befürchtet der jüdische Abgeordnete, und könnten „extreme rechte Meinungen vertreten, gegen die sich das gesamte zivilisierte Europa auflehnt.“ Das Nein der Verfassungsrichter zum Volksverhetzungsparagrafen sei ein Freibrief für Antisemiten und Romahasser, sagt auch Suchmanns Parteifreund Gergély Bárándy, auch er ein Befürworter des Gesetzes gegen „Hassreden“. Es sei nun möglich, „Juden und Roma öffentlich und ungestraft zu beleidigen“, so Bárándy. Aber beide Politiker versprachen: Der Volksverhetzungsparagraf werde dem Parlament in Budapest immer wieder vorgelegt: Bis er durchkommt.


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