MIT HANDKUSS, ABER NICHT MIT KUSSHAND
Tschechien und USA unterzeichnen Vertrag über umstrittenes Anti-Raketen-Radar(n-ost) – Tschechiens Außenminister Karl Fürst Schwarzenberg gehört zur alten Schule. Als er seine amerikanische Kollegin Condoleezza Rice gestern in Prag begrüßte, tat er dies formvollendet mit einem Handkuss. Beide setzen ihre Unterschrift unter den Vertrag, der den Bau einer Radaranlage in Westböhmen vorsieht. Diese soll Bestandteil des Abwehrschirms werden, den die Amerikaner gegen eine mögliche Raketengefahr aus „Schurkenstaaten“ wie dem Iran oder Nordkorea errichten wollen. Auf die bei polnischen Männern üblichen Handküsse muss Rice noch etwas warten. Die Verhandlungen mit Polen über die Aufstellung von zehn Abfangraketen für das Projekt stocken; Warschau treibt den Preis für die Stationierung höher und höher, was Washington nicht passt. Die Tschechen waren da deutlich pflegeleichter. Anders als die Polen, die eine massive Militärhilfe der USA bis hin zu Patriot-Raketen fordern, bescheiden sich die Tschechen mit einer von den Amerikanern versprochenen militärisch-wissenschaftlichen Zusammenarbeit.Prag betrachtet sein Einverständnis mit der Radarstation als eine Art verspäteten Dank für die Unterstützung Washingtons, die das Land schon zur tschechoslowakischen Staatsgründung 1918 erfuhr. Dafür müsse man jetzt auch mal ein Opfer bringen, heißt es von tschechischer Seite. „Mit der Erfüllung unserer Verpflichtungen innerhalb der Nato bekennen wir uns gemeinsam mit den Amerikanern dazu, die freie Welt zu verteidigen“, sagte Premier Mirek Topolanek auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Rice zum Radarprojekt.Dass die Polen derzeit noch pokern und der Vertrag mit Warschau womöglich auf der Kippe steht, stört von den tschechischen Regierungspolitikern niemanden mehr. Vor Monaten hieß es noch, dass bei einem Nein Polens auch das Radar in Tschechien überdacht werden müsse. Jetzt ist man sich einig, dass „auch das Radar für sich genommen einen deutlichen Zuwachs an Sicherheit bringt“. Nur wenige räumen ein, dass das Radar „eher ein riesiges Spionageinstrument“ werden könnte, wie es der Politologe und frühere Chefberater von Vaclav Havel, Jiri Pehe, formulierte. Pehe teilt damit die Befürchtungen in Moskau. Die Russen haben über ihren Botschafter in Prag, Alexej Fedotow, erst am vergangenen Wochenende neuerlich „geeignete“ Gegenmaßnahmen angedroht. Einer Forderung Moskaus, auf dem Radargelände ständige Inspektoren zu akzeptieren, widersetzt sich Prag entschieden.Ob der Radarvertrag aber überhaupt die parlamentarische Hürde an der Moldau nimmt, steht in den Sternen. Die Regierung Topolanek hat bislang keine sichere Mehrheit dafür. Das liegt namentlich an den mitregierenden Grünen. Sie bemängeln, dass das Projekt bislang nicht eindeutig zum Teil der Nato-Verteidigung erklärt wurde. Vor einer Ratifizierung müsse zudem der Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA abgewartet werden, fordern sie. Es gebe Anzeichen, dass ein möglicher Präsident Obama das Sternenkriegs-Projekt völlig neu überdenken werde. Sollte der Vertrag im Parlament scheitern, drohe Prag eine große Blamage, sagt Politologe Pehe voraus. Wie ernst die Sorgen darüber sind, zeigt sich auch an der Haltung von Außenminister Schwarzenberg: Er hat seine politische Zukunft an den Erfolg des Radarprojekts geknüpft.So populär Schwarzenberg in der tschechischen Bevölkerung auch ist, das Volk zeigt sich vom Werben der Regierenden für das Radar unbeeindruckt. Es nimmt das Vorhaben keineswegs mit Kusshand auf: Im Gegenteil – zwei Drittel der Tschechen sind dagegen. Sie befürchten, dass Tschechien mit der Installierung des Radars zum direkten Angriffsziel werden könnte. „Macht keine Zielscheibe aus uns!“, stand gestern auf einem riesigen Plakat auf einem Hügel Prags, auf dem einst drohend ein überdimensionales Stalin-Denkmal thronte. Angst gibt es auch vor gesundheitlichen Schäden für die Bevölkerung, die in der Nähe des Radars, hundert Kilometer südwestlich von Prag, lebt. Schon jetzt sind die Immobilienpreise dort tief in den Keller gerutscht. Viele Tschechen sehen in den Amerikanern aber einfach auch nur neue Besatzer und setzen sie damit mit den Russen auf eine Stufe, die nach der gewaltsamen Zerschlagung des Prager Frühlings 1968 mehr als zwanzig Jahre die Tschechoslowakei besetzt hatten. Dass die Russen im Gegensatz zu den Amerikanern nicht von Prag eingeladen worden waren, interessiert dabei nicht. Überdies werden zur Betreibung des Radars gerade mal 200 Amerikaner nach Tschechien kommen: sechzig sollen das System warten und betreiben, 140 weitere sind für die Bewachung und logistische Aufgaben vorgesehen. Die Radargegner, unterstützt von der oppositionellen Linken, die vergeblich eine Volksabstimmung über das Projekt verlangte, haben in den vergangenen Monaten mit spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam zu machen versucht. Mehrere von ihnen traten in einen Hungerstreik, dem sich zeitweise auch prominente Künstler anschlossen. Für den gestrigen Abend kündigten sie eine Großdemonstration gegen das Militärprojekt an, für die sie mehrere tausend Teilnehmer erwarteten. Demonstrieren wollten jedoch auch Befürworter des Radars.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0