Polen

Wandernde Köpfe

„Wenn ich in Polen eine gut bezahlte Stelle bekomme, dann gehe ich“, sagt Lukasz Kozera. Der studierte Biotechnologe, der seit zwei Jahren an der Universität im englischen Leeds an seiner Dissertation feilt und Kurse für Studenten anbietet, hat sein Ziel fest vor Augen. In England gefällt dem 27-Jährigen vor allem die Arbeitskultur, das systematischere Arbeiten und auch die Möglichkeit, sich beruflich schneller entwickeln zu können.

„In Polen hätte ich es nicht so schnell geschafft, neue Kompetenzen derart zügig zu erwerben“, sagt Kozera, der im polnischen Wroclaw sein Studium abgeschlossen hat. Zugleich helfe ihm bei seiner täglichen Arbeit in Forschung und Lehre die Improvisationsgabe – und die habe er aus Polen mitgebracht. Lukasz Kozera ist einer von rund 510.000 Polen, die seit dem EU-Beitritt Polens nach Großbritannien emigriert sind. Das Königreich, das den neuen EU-Europäern anders als Deutschland keine Beschränkungen bei der Arbeitsaufnahme auferlegte, ist einerseits Ziel eher schlecht qualifizierter Polen, die in der Heimat keine oder keine ausreichend bezahlte Arbeit finden konnten. Sie arbeiten meist in der Produktion oder im Dienstleistungsbereich und verdienen häufig nur den gesetzlichen Mindestlohn.


Der polnische Biotechnologe Lukasz Kozera, FOTO: Jan Opielka

Es gibt aber auch die Hochqualifizierten, die bessere Anstellungen in Wirtschaft und Wissenschaft finden. Leute wie Lukasz oder seine Schwester Agnieszka, die eine Abteilung in einer englischen Arbeitsvermittlungsagentur leitet. Ihre Motivation zur Ausreise war in erster Linie die Weiterqualifizierung und nicht der Verdienst, denn sie habe schon in Polen in gut bezahlten Positionen gearbeitet. „Überraschend für mich war, dass polnische Unternehmen auf einem ähnlichen Niveau wie die britischen arbeiten“, sagt die 29-Jährige. Auch sie möchte zurückkehren, wenn auch aus einem anderen Motiv: „Wenn ich zurückgehe, dann wegen der Nähe zu meiner Familie.“

Wie den beiden Kozeras ergeht es aber längst nicht allen Arbeitsmigranten. Denn laut einer OECD-Studie aus dem Jahr 2008 sind zwischen 10 und 30 Prozent der Migranten in fast allen OECD-Mitgliedsländern „überqualifiziert“, das bedeutet sie arbeiten in Bereichen, die unterhalb ihrer Qualifikation angesiedelt sind. Zudem betrage der Anteil der hochqualifizierten Migranten in ihren Zielländern 23,6 Prozent gegenüber 19,1 Prozent der einheimischen Bevölkerung. Laut Untersuchungen des britischen Institute for Public Policy Research (IPPR) dürften aber dennoch gerade jene Migranten aus den MOE-Staaten in Großbritannien bleiben, die besser ausgebildet sind.

Sie hätten höhere berufliche Ziele und sehen ebenfalls eine Chance, diese in ihrem Zielland zu verwirklichen. Nach Angaben des IPPR werden aber die meisten Emigranten, die nach dem 1. Mai 2004 aus den acht mittelosteuropäischen EU-Ländern gekommen sind, wieder in ihre Heimat zurückkehren.Tatsächlich lohnt sich nicht zuletzt durch die starke polnische Währung vor allem unqualifizierte Arbeit im Ausland immer weniger. Noch vor vier Jahren erhielt man für ein brittisches Pfund gut sieben polnische Zloty (PLN), bis zum Mai 2008 ist der Kurs auf nur noch gut vier Zloty pro Pfund zusammen geschmolzen.

Da im gleichen Zeitraum die Löhne in fast allen polnischen Branchen gestiegen sind, nähern sich die Durchschnittslöhne weiter an. Und auch der Euro hat in den letzten vier Jahren gegenüber dem Zloty deutlich verloren. Der landesweite Bruttodurchschnittslohn wird in Polen in diesem Sommer voraussichtlich die Grenze von umgerechnet 1.000 Euro erreichen – eine Entwicklung, die die meisten Emigranten noch vor einigen Jahren mit einem Klopfen auf die Stirn kommentiert hätten.   Vor allem lockt das starke und anhaltende Wirtschaftswachstum in Polen (2007 waren es 6,6 Prozent) und das damit verbundene wachsende Jobangebot viele Migranten zurück in ihre Heimat.

So hat die Arbeitslosigkeit in den vergangenen Jahren massiv und kontinuierlich abgenommen und betrug im Februar 2008 nach Berechnungen des Statistischen Amts der Europäischen Gemeinschaften 7,7 Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr 2004 lag die Quote noch bei 19 Prozent. Manche Regionen, vor allem Gebiete wie Warschau, Oberschlesien (Katowice) und Poznan, verzeichnen Arbeitslosenraten von unter vier Prozent. Insbesondere Akademiker haben in Polen relativ gute Aussichten, eine Beschäftigung zu finden.

Aus einer Untersuchung der Polnischen Gesellschaft für Personalmanagement geht hervor, dass Unternehmen vor allem Absolventen mit praktischen Erfahrungen, Fremdsprachenkenntnissen, Kooperations- und Teamfähigkeit suchen – Voraussetzungen, die man im Ausland, ob beim Studium oder im Job, besonders gut erwerben kann. So wird es in Polen in zwei Jahren einen Mangel an rund 67.000 Ingenieuren verschiedener Branchen geben. 

Aber auch in anderen Bereichen kommen nach und nach polnische Rückkehrer in die Heimat  zurück – auch aus wirtschaftlichen Gründen. Beata Skowronska (Name geändert) hat in Polen ein Jura-Studium abgeschlossen und in Deutschland zusätzlich Politikwissenschaft studiert. Sie wollte zunächst in Deutschland arbeiten, fand dort aber keine Stelle, die ihren Qualifikationen entsprach – anders als in Polen. Nun arbeitet sie in einer staatlichen Behörde in Warschau und ist vor allem für Auslandskontakte zuständig. „Ich bin nach Deutschland gegangen, um mich weiter zu qualifizieren, und bin nach Polen zurück gekehrt, weil ich woanders keine Arbeit gefunden habe“, sagt sie. Ihre Erfahrungen im Ausland seien bei der Bewerbung um die Stelle in Polen sehr hilfreich gewesen. 


Agnieszka Kozera will hoch hinaus - und irgendwann zurück nach Polen, FOTO: Jan Opielka

Skowronska sieht indes starke Unterschiede in der Arbeitsmentalität beider Länder. „In Deutschland sind die Hierarchien sehr schwach ausgeprägt, in Polen ist das stärker und auch formeller.“ Auch sei es in Deutschland möglich, eine höher gestellte Person zu kritisieren, in Polen sei dies undenkbar. „Allerdings fehlt den Menschen in Deutschland auch im Beruf Spontaneität und Flexibilität. Dort denkt man zu oft, dass etwas nicht geht, was wiederum in Polen so nicht vorkommt, weil man eben improvisieren kann“, sagt sie schmunzelnd. In Deutschland gäbe es zudem ein starkes Schubladen-Denken, in Polen sei wiederum der Neid größer.

Kulturelle Unterschiede allenthalben also. Doch dass man das Wissen um diese Differenzen auch positiv nutzen kann, zeigt das Beispiel des polnischen Unternehmers Jaroslaw Wieczorek, der in dem ostdeutschen Städtchen Pasewalk eine Fabrik für Autoteile und Spezialwerkzeuge betreibt. 600.000 Euro hat der 40-Jährige hier mittlerweile investiert, er beschäftigt 18 deutsche Mitarbeiter – und will weiter ausbauen und einstellen. Die Lohnunterschiede seien nicht mehr derart groß, und die Vorteile aus der Marktnähe zu deutschen Kunden kompensierten diese Mehrkosten um ein Vielfaches.

Wieczorek hatte in Deutschland als Ingenieur gearbeitet, bevor er zunächst seinen Betrieb in Posen und später die zweite Fabrik in Pasewalk gründete. „Die Polen sind flexibler als die Deutschen, zeigen aber weniger Arbeitsdisziplin. Die Deutschen sind termintreuer, die Polen wiederum können in schwierigen Situationen besser improvisieren“, sagt Wieczorek. Er wisse um die Unterschiede, und das sei wichtig. „Die Kenntnis der Vor- und Nachteile beider Länder und Mentalitäten ist eine wichtige Stütze für mein Geschäft“, fasst er zusammen. Ein Leben hier und dort also, ein exzellentes Beispiel für die so genannte Brain Circulation – und ein Modell, das künftig häufiger anzutreffen sein dürfte, nicht nur zwischen Polen und Deutschland.

Denn die durchlässiger gewordenen Grenzen und die sich in vielen Branchen ändernde Arbeitsstruktur, bei der Arbeit nicht mehr an einen festen Ort gebunden ist, tragen dazu bei, dass Migration fließender wird. Immer mehr Polen wandern aber auch aus den Grenzgebieten ihres Landes in den Osten Deutschlands aus. Vor allem kleinere ostdeutsche Städte in strukturschwachen Regionen ziehen die neuen polnischen Emigranten an, die nicht nur, wie etwa Wieczorek, als Unternehmer für eine Belebung ihrer neuen Heimat sorgen. Nicht selten arbeiten diese Menschen weiter in Polen, etwa in der aufblühenden Grenzstadt Stettin und fahren nach Feierabend in ihre neuen Häuschen in der ostdeutschen Provinz – ein Phänomen, das noch vor Jahren undenkbar schien.


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