Neubeginn in der Heimat der Eltern
Mit hausgemachtem Wein und Schinken begrüßt Josko Lokas seine Besucher. In altertümlichen dalmatinischen Steinhäusern sind Schmied, Steinmetz und Schreiner geschäftig zu Gange, ebenso gehören Schafe, Esel und Hühner zum beruflichen Standbein des 32-Jährigen. Das „Etnoland Dalmati“ im Hinterland der kroatischen Küste ist allerdings kein klassischer Bauernhof, sondern ein Themenpark, der Touristen altes Handwerk, Folklore und die traditionelle Küche der Region näher bringen soll. Dadurch können Dalmatien-Urlauber „Land und Leute besser kennen lernen“, so die Idee.
Josko Lokas ist Rückkehrer aus Deutschland. Als Kind kroatischer Gastarbeiter wuchs er in der Nähe von Dortmund auf, studierte Betriebswirtschaft und beschloss mit 29 Jahren, seinen gut bezahlten Managerposten in einem Hamburger Nahrungsmittelwerk gegen einen Neuanfang in Kroatien einzutauschen. Zwei Jahre dauerten die Vorbereitungen, die Startberatung finanzierte er aus eigener Tasche. Die finanzielle Hilfe aus staatlichen Töpfen sei eigentlich nur „ein Tropfen auf dem heißen Stein gewesen“, erzählt Lokas. Im Vorjahr öffnete das Etnoland Dalmati schließlich seine Pforten – mit Erfolg. Bereits jetzt gilt das Anwesen mit 15 Vollzeitangestellten und 70 Saisonkräften als sechstgrößter Arbeitgeber in der Gemeinde Drnis, die nur wenige Fahrminuten vom gut besuchten Nationalpark Krka entfernt liegt.
Mit diesem Standort hofft der Jungunternehmer allein in diesem Jahr auf Gästezahlen im fünfstelligen Bereich. Wirtschaftsdelegationen, Ministerien und Entwicklungsgesellschaften wie USAID waren schon zu Gast und loben das „nachhaltige Tourismusprojekt in einer strukturschwachen Region“, wo der Krieg zwischen 1991 und 1995 erst wenig mehr als ein Jahrzehnt zurückliegt. Lokas gibt sich zuversichtlich mit seinem Tourismusprojekt: „In Deutschland war ich nur Angestellter, das hier ist meins“, sagt der Rückkehrer.
Auch Jelena Madir kehrte zurück / Veronika Wengert, n-ost
Kroatien ist ein klassisches Auswanderungsland: Im vergangenen Jahrhundert haben Kriege, Hunger und Politik die Kroaten in mehreren Wellen nach Westeuropa und Übersee getrieben. Heute leben nach Schätzungen des Außen- und Europaministeriums fast drei Millionen Kroaten außerhalb des Landes, ein Drittel davon in den USA. In Deutschland haben 400.000 Menschen mit kroatischen Wurzeln eine neue Heimat gefunden. Nicht gerade kleine Zahlen für ein Herkunftsland mit inzwischen nur noch 4,4 Millionen Einwohnern. Eine staatliche Einwanderungspolitik steckt in Kroatien allerdings noch in den Kinderschuhen, auch wenn inzwischen einige staatliche Förderprogramme eingerichtet wurden und Freihandelszonen vor allem auf Investoren auf dem Ausland hoffen. Das Ministerium für die Diaspora, das in den 1990er Jahren in dem jungen Staat eingerichtet wurde, hat seine Tätigkeit inzwischen – im Zuge einer Verwaltungsreform – wieder eingestellt. Dafür bemühen sich die katholische Auslandsmission und Kulturvereine, allen voran die klassische Dachorganisation der Diaspora-Kroaten Matica Iseljenika, den Auswanderern ein Stück nationale Identität mit auf den Weg zu geben – unter anderem mit Folklore-Workhops auf malerischen Adriainseln.
Davon ist die geschäftliche Kontakt-Plattform Xing weit entfernt. Samir Djikic, der in Deutschland aufgewachsen ist und heute in Frankfurt als Kommunikationsmanager arbeitet, moderiert dort die Gruppe „Croatia Business Exchange“. In dem virtuellen Raum kommunizieren an Kroatien Interessierte über wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen. „Viele der gut ausgebildeten kroatischen Community-Mitglieder schätzen den freien und niveauvollen Austausch“, sagt Djikic. „Das ist etwas ganz Neuartiges, da es eben nicht im Rahmen folkloristischer Vereinen stattfindet oder von staatlichen Institutionen initiiert wird.“ Der virtuelle Austausch wird durch regelmäßige reale Treffen in Berlin, Frankfurt, Stuttgart, München, Zürich, Wien und Zagreb ergänzt. Zu den brennenden Themen gehören nicht nur Geschäftsmöglichkeiten, gemeinsame Projekte und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes, sondern auch die Rückkehr nach Kroatien, erklärt Djikic. Viele Diaspora-Kroaten sind weder in Kroatien geboren noch dort aufgewachsen. Dennoch pflegen sie durch regelmäßige Besuche eine enge Bindung zur Heimat ihrer Eltern – was die Rückkehrer vor allem für internationale Firmen interessant macht.
Die Kroatische Akademische Vereinigung, die deutschlandweit Kroaten der so genannten zweiten Generation zusammenbringt, hat eine entsprechende Umfrage unter 300 Befragten durchgeführt: Immerhin 45 Prozent haben bereits über eine Rückkehr nachgedacht. Fast ebenso viele nannten den Wunsch, in Kroatien unternehmerisch tätig zu werden, als Motiv für den möglichen Umzug. In der Umfrage äußerten viele den Wunsch nach besseren Förderprogrammen für Klein- und Mittelständler, einer Job-Datenbank und einer staatlichen Informationsstelle.
Die staatliche Förderung für Rückkehrer bezeichnet Kresimir Grebenar im Hinblick auf andere Länder mit einer großen Diaspora als „sehr defizitär“. Der 37-Jährige ist in Bingen am Rhein als Kind kroatischer Gastarbeiter aufgewachsen und hat sich vor acht Jahren zum Umzug nach Zagreb entschlossen. Heute betreibt er gemeinsam mit zwei Partnern – von denen einer Kroate aus Australien ist – ein Anwaltsbüro in Zagreb. Seinen eigenen Hintergrund bezeichnet Grebenar als „komparativen Vorteil“. Mit seinen Fremdsprachenkenntnissen und dem Schwerpunkt Wirtschaftsrecht sei er vor allem für Investoren aus Deutschland und Österreich interessant, denn die Kommunikation in der eigenen Sprache sei sehr wichtig bei der Problemlösung. In Deutschland wäre er nur einer von Tausenden, in Zagreb sei er so ziemlich der Einzige, der die Zulassung als Rechtsanwalt für beide Länder besitze, so Grebenar. Es sei nicht einfach, in ein anderes Land zu gehen, sagt der Anwalt – trotz guter Sprachkenntnisse. Vor allem viel Idealismus und Heimatliebe gehöre dazu, Familienangehörige und Freunde in Kroatien würden diesen Schritt zusätzlich erleichtern. Auch von deutschen Gehaltsvorstellungen als Volljurist müsse man sich in den ersten Jahren verabschieden. Er habe seine Anfangszeit in Kroatien als „Investition in die Zukunft gesehen“, sagt Grebenar. In den kommenden Jahren erwartet der Anwalt durch den geplanten EU-Beitritt Kroatiens einen weiteren Schub ausländischer Investoren.
Von einer Greencard für High Potentials aus dem IT-Bereich nach deutschem Vorbild scheint Kroatien indes noch weit entfernt. Das Land stellt jährliche Beschäftigungsquoten für Ausländer auf, um die eigenen Fachkräfte in bestimmten Branchen zu schützen – denn die aktuelle Arbeitslosenquote liegt bei knapp 15 Prozent. Im EDV-Bereich erhalten in diesem Jahr höchstens 25 Ausländer eine Arbeitsgenehmigung, nur im Kulturbereich werden noch weniger Fachkräfte mit nicht-kroatischem Pass zugelassen. Dass sich die Abwanderung von Arbeitskräften schon jetzt in einigen Bereichen bemerkbar macht, zeigt vor allem die Tatsache, dass die Ausländerquote in diesem Jahr mehr als verdoppelt wurde: Von den rund 8.400 zu vergebenden Stellen sind fast die Hälfte für die Baubranche und immerhin ein Viertel für Werftarbeiter vorgesehen. Denn auch viele Handwerker zieht es, motiviert durch höhere Löhne, die Ferne. In den 1970er Jahren waren es vor allem eher schlecht qualifizierte Arbeitskräfte, die als so genannte Gastarbeiter „auf Zeit“ ins Ausland gingen: Viele sind heute noch dort, wollten zunächst noch ein wenig verdienen, dann kamen die Kinder in die Schule und jetzt sind es die Enkel, denen sie fernab der Heimat nahe sein wollen.
Heute steht Kroatien jedoch vor einem ganz anderen Problem: Das Land gehört zu den traurigen Spitzenreitern bei der Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte in Europa, so die aktuellen Zahlen der Weltbank. Auf der Suche nach besseren Karrierechancen und Lebensbedingungen machen sich 29,4 Prozent der Hochschulabsolventen auf ins Ausland. Wie in anderen Ländern der Region bedeutet die Abwanderung einen hohen Verlust für die Volkswirtschaft eines so kleinen Landes – trotz Devisenzahlungen der Diaspora, die wieder ins eigene Land zurück fließen. Diese betrugen im Vorjahr stolze 446 Millionen Euro, so die Kroatische Notenbank. In der Warteschleife auf Brüssel ist Kroatien allerdings umso mehr auf den Aufbau einer Wissensgesellschaft angewiesen, um im europäischen Kontext wettbewerbsfähig zu bleiben.
Nicht alle jungen Wissenschaftler, die heute dauerhaft ins Ausland abwandern, stoßen unterdessen auf das Verständnis ihrer Kollegen. So kritisierte der Medizinprofessor Matko Marusic von der Universität Zagreb wiederholt Assistenten und Studenten, die Kroatien den Rücken kehren. Er verhelfe gerne zu Stipendien im Ausland, erwarte allerdings im Gegenzug das Ehrenwort einer Rückkehr. „Ich bin schließlich im Bereich Ausbildung und nicht Emigration tätig“, sagte Marusic im kroatischen Fernsehen. Kroatien brauche Leute, die im Ausland weitergebildet werden, vor allem im Bereich der Biomedizin, die hierzulande noch in den Kinderschuhen stecke, so der Mediziner. Ein Assistentengehalt von gerade mal gut 600 Euro lockt jedoch nur die wenigsten wissenschaftlichen Mitarbeiter an die kroatischen Hochschulen zurück. Mit Stipendien, vergünstigten Krediten und Stellen an Universitäten und Instituten will das Wissenschaftsministerium die verlorene Akademiker-Elite jetzt wieder ins Land zurückholen. Mit 40 Rückkehrern in den vergangenen drei Jahren verzeichnet man zumindest einen kleinen Erfolg. Ein Teil von ihnen hat sich vor kurzem zu einem Symposium der Universität Zagreb zum Thema „Mobilität und Brain Drain“ eingefunden.
Die meisten Rückkehrer waren sich einig: Bürokratie, praktische Probleme wie die Anmeldung einer Krankenversicherung, Korruption und nicht zuletzt ein verbesserungswürdiges wissenschaftliches Klima – das sind die Punkte, die am häufigsten bemängelt genannt wurden. Nach Kroatien zurückgekehrt seien die meisten „aus nostalgischen Gründen“, aber auch aus dem Wunsch heraus, „etwas für das Land zu tun“. Genau diese beiden Gründe bewegten auch Jelena Madir dazu, nach elf Jahren College, Studium und Berufspraxis in den USA in ihre Heimat Kroatien zurückzukommen. Mit 28 Jahren hatte Jelena Madir, neben ihrer Ausbildung in den USA, Praktika und Studienaufenthalte in Oxford, Peking, Hong Kong und Genf absolviert. Nach so viel internationalem Bezug setzte – zwei Jahre nach der Rückkehr in der kroatische Hauptstadt Zagreb – auch ein wenig Ernüchterung ein: Denn die wirklich großen Transaktionen im Finanzsektor, auf die sich die Anwältin spezialisiert hat, machen immer noch einen Bogen um Kroatien. Ihre Berufsspezialisierung könne sie daher im eigenen Land nicht wirklich anwenden, sagt die dynamische junge Frau. Deshalb plant sie erst mal eine Fortsetzung ihres internationalen Werdegangs – ihr nächster Stopp ist eine US-Anwaltsgesellschaft in Frankfurt am Main. Den unbefristeten Arbeitsvertrag hat sie schon in der Tasche, die Koffer sind bereits gepackt.