EIN GEWEIHTES KREUZ FÜR DIE TODGEWEIHTEN
Junge Tschechen erinnern an ein Massaker an Deutschen 1945 unweit von Prag (n-ost) – Über die staubige Landstraße zwischen Lodenitz (Lodence) und Beraun (Beroun) wird am 8. Mai 1945 ein kleiner Trupp von Menschen getrieben. Die Frauen und Männer, Zivilisten, die Jüngste 18, der Älteste 62, haben keinen Blick für die sonnenbeschienene weiche Hügellandschaft unweit von Prag. 18 Deutsche und, durch einen Irrtum, auch einen Tschechen soll der Marsch in ein Internierungslager führen. Wiederholt brechen einige von ihnen, entkräftet und von Schlägen gebeugt, zusammen. Ihre eigenen tschechischen Mitbewohner aus Lodenitz beteiligten sich an den Peinigungen. Es sind Leute, die mit den Nazi-Besatzern kollaboriert hatten, und die nun unliebsame Zeugen beseitigen wollen. Der Opfer dieses Massakers von 1945 haben am vergangenen Wochenende junge Tschechen gedacht.„Tun wir nichts, wofür wir uns eines Tages im Angesicht der Geschichte schämen müssten“, hatte es noch in einer Verlautbarung der neuen tschechischen Herrscher zu Kriegsende geheißen. Doch das blieben Worte. Die Exilführung um Präsident Edvard Benesch hatte längst anders entschieden. Überall in Böhmen und Mähren waren in jenen Tagen „Revolutionsgarden“ unterwegs, um Rache an Unschuldigen zu nehmen. Aufgeklärte Tschechen selbst nannten sie hinter vorgehaltener Hand „Raubgarden“. Sie waren das Vorspiel zur späteren kollektiven Enteignung und Vertreibung von Millionen Deutschen aus ihrer Heimat.In Lodenitz war vor allem Adolf Lange das Ziel ihres Wütens. Der Deutsche, Besitzer einer Holzfabrik, hatte viele Tschechen angestellt und so vor der Zwangsarbeit im Reich bewahrt. Lange wusste genau, wer von den Einheimischen mit den Nazis zusammengearbeitet hatte. Dieses Wissen war am Ende sein Todesurteil. Der Marsch der 19 kam nie im Internierungslager Beraun an. Auf halbem Weg, direkt am Straßenrand, wurden die Menschen kurzerhand erschossen. Niemand wurde je dafür zur Verantwortung gezogen. Auch, weil in Tschechien solche Massaker per Gesetz amnestiert worden waren.Bekannt wurde die Geschichte erst nach der Wende von 1989. Der langjährige Bürgermeister Karel Patak suchte Zeitzeugen und schrieb über das Massaker in einem Heimatbuch. Patak hat das Geschehen selbst erlebt. Seine Mutter war wie durch ein Wunder von der Ermordung verschont geblieben. Als er am vergangenen Sonnabend jungen Leuten von seinem Schicksal erzählte, tat er das unter Tränen. Die jungen Tschechen, Studenten aus der Umgebung, waren den Weg der Ermordeten mehr als 60 Jahre nach dem Massaker noch einmal gegangen. An ihren Blusen und Hemden hatten sie kleine Schilder mit den Namen der Umgebrachten befestigt. „Wir jungen Tschechen stehen in der Verantwortung, an unsere Geschichte zu erinnern, auch an deren schlimmste Kapitel“, sagte eine der Studentinnen. Unterwegs, an der Stelle, wo eine Frau aus dem Todesmarsch erschlagen worden war, legte sie einen Strauß einfacher Wiesenblumen nieder. Später, am dem Ort, wo die übrigen erschossen worden waren, standen die jungen Leute ergriffen vor einem großen Holzkreuz. Die Namen der Opfer sind an ihm aufgelistet, auf Tafeln kann man zudem auf Tschechisch und Deutsch über ihr Schicksal lesen.Der Pfarrer aus Beroun und der Kaplan der deutschsprachigen katholischen Gemeinde von Prag weihten das Kreuz. Kaplan Anton Otte betete nicht nur für die Opfer. Er erinnerte daran, dass solche Geschehnisse ihre Vorgeschichte hatten – im Leid, dass Nazideutschland über die Tschechen gebracht hatte. Und er bat auch dafür um Vergebung. Otte, der seit Jahrzehnten in der Ackermann-Gemeinde der Sudetendeutschen für die Aussöhnung zwischen Tschechen und Deutschen arbeitet, würdigte, dass es in Lodenice junge Tschechen waren, die sich ihrer Geschichte stellten, ohne Druck aus Deutschland. „Das“, sagte er, „ist eine große Ermutigung.“ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0