Ukraine

EM 2012 auf der Kippe

Jewgeni Cherwonenko raucht Kette. Mit rotem Kopf sitzt der drahtige 49-Jährige an seinem Schreibtisch und bläst Rauchschwaden in sein Büro. Cherwonenko war in der Sowjetunion ein berühmter Rennfahrer. Auf dem Besuchertisch steht das Modell eines roten Formel-Eins-Wagens. Pausenlos klingeln die beiden Handys. Zwischen den Telefonaten sagt der Chef der ukrainischen EM-Organisationsagentur Sätze, die beruhigend und optimistisch klingen sollen: „Wenn du ein Rennen fährst, schau’ nicht in den Rückspiegel.“ Oder „Wenn du im Auto sitzt, sollst du nicht an einen Unfall denken.“ Cherwonenko hat eine gewisse Autorität in diesen Fragen. Trotzdem kann er seine Nervosität nur schlecht verbergen.

Am 2. und 3. Juli kommt UEFA-Chef Michel Platini in die Ukraine, um sich über den Stand der EM-Vorbereitungen zu informieren. Abgesehen von zwei brandneuen Fußballarenen in Donezk und Dnepropetrowsk, die von milliardenschweren Oligarchen finanziert werden, wurden in der Ukraine kaum EM-Bauprojekte begonnen, ja noch nicht einmal zu Ende geplant. Die Stadien in Lemberg, Kiew und Odessa müssen nach UEFA-Standards modernisiert, Hotels gebaut, Sicherheitskonzepte entwickelt werden. Vor allem aber fehlt es an Autobahnen, schnellen Bahnverbindungen und Flughäfen, um die Fans in zumutbarer Zeit zu den Spielstätten zu bringen. Vom westukrainischen Lemberg in die ostukrainische Kohleregion um Donezk sind es fast 1200 Kilometer. Heute braucht man dafür mit dem Zug mindestens 24 Stunden.

Schon EM-tauglich: Das Schachtjor-Stadion im ostukrainischen Donezk / Clemens Hoffmann, n-ost

Außer Absichtserklärungen ist bislang wenig geschehen. Seit Monaten halten sich die Gerüchte über eine Neuvergabe des Turniers. Schottland, Spanien, Deutschland vereint mit Polen – die Liste der Ersatz-Ausrichter wird lang und länger. Offiziell hüllt sich die UEFA in Schweigen, doch bereits im Februar hatte Platini der Ukraine und Polen wegen der schleppenden Vorbereitungen die gelbe Karte gezeigt. Bislang blieben die Drohungen weitgehend wirkungslos. Wird der UEFA-Boss nun den beiden Wackelkandidaten eine zweite Nachspielzeit einräumen? Oder die Notbremse ziehen? Die Jalousien in Chernowenkos Kiewer Büro sind zugezogen. Wären sie offen, könnte der oberste EM-Organisator direkt auf das Olympiastation mit fast 80 Tausend Plätzen schauen. Hier soll 2012 das Endspiel stattfinden – nach einem Totalumbau. Doch rund um die technisch veraltete Sportanlage tut sich nichts. Schon vor Monaten forderte die UEFA Kiew ultimativ auf, den Rohbau eines Einkaufszentrums direkt vor dem Stadion abzureißen, weil er wichtige Fluchtwege der künftigen Spielarena versperrt. Doch die Bagger rückten nur zu einem Fototermin an. Das Betonskelett ragt unberührt weiter in den Himmel der Hauptstadt. Der Besitzer wartet noch auf eine verbindliche Entschädigungszusage. Der entsprechende Vertrag liegt aber seit Monaten im Kiewer Stadtrat.

Inzwischen gibt es neuen Verdruss: Taiwanesische Generalunternehmer haben den Zuschlag für den Stadionumbau in Kiew erhalten. Vor wenigen Tagen erklärte die ukrainische Seite das 300-Millionen-Dollar-Projekt jedoch für gescheitert. Angeblich verzögerten die Taiwanesen die Anträge für die Bau-Genehmigungen. Die Beschuldigten wiederum schoben den schwarzen Peter zurück und betonten, man warte immer noch auf die vollständigen Planungsunterlagen.

Noch lange nicht EM-tauglich: Das Kiewer Olympiastadion / Clemens Hoffmann, n-ost

Solche Merkwürdigkeiten überraschen Nico Lange nicht. Der Büroleiter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in der Ukraine sieht die verbreitete Korruption und Vetternwirtschaft als Hauptursachen für die schleppenden EM-Vorbereitungen: „Derzeit beobachten wir ein Streben vieler Funktionäre an EM-Schlüsselpositionen – um in die eigene Tasche zu wirtschaften.“ Es gebe ein Interesse daran, von der EM zu profitieren, aber sehr wenig Interesse daran, gemeinsam dieses Projekt voranzubringen, spitzt Lange seine Analyse zu.

Eine überbordende Bürokratie, unklare Zuständigkeiten und die innenpolitische Dauerkrise sind mit dafür verantwortlich, dass beim Thema EM in der Ukraine keine Aufbruchstimmung zu spüren ist. Kamen Zahariev, Direktor der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in der Ukraine, beklagt, dass der Reformprozess im Land nur langsam voran geht: „Das bedeutet, dass einige grundsätzliche Gesetze noch nicht verabschiedet sind und viele Institutionen nicht in der Lage sind, langfristige Projekte zu formulieren und umzusetzen.“ So blieben viele günstige Kreditmöglichkeiten der internationalen Gemeinschaft ungenutzt. Mit dem ehemaligen Box-Champion Vitali Klitschko kämpft ein weiterer Nichtfußballer im EM-Organisationskomitee darum, das Projekt zu realisieren. Fast beschwörend zählt Klitschko die Chancen der EM für seine Heimat auf: „Irgendwann ist das Fest vorbei, die Fans sind wieder zu Hause, aber die moderne Infrastruktur bleibt.“ Dazu komme der Imagegewinn: „Ich habe die WM in Deutschland erlebt und weiß, wie wichtig das war. Wir bekommen die einmalige Chance, uns zu präsentieren, europäische Standards einzuführen. Die EM kann uns Europa viel näher bringen.“

Unternehmensberater Jorge Intriago vom Kiewer Büro von „Ernst & Young“ sieht die Chancen ähnlich wie Klitschko. Angesichts der großen Aufgaben sei ein Investitionsvolumen von 25 Milliarden Dollar nicht unrealistisch. Eine Summe, die der Ukraine helfen würde, zum übrigen Europa aufzuschließen. „Bei uns stehen internationale Unternehmen Schlange, die auf die Ausschreibungen warten. Doch es ist wie immer: Die Politik verdirbt vieles”, sagt Intriago, der auch Präsident Juschtschenko und Premierministerin Timoschenko berät. So gebe es zum Beispiel immer noch keine verbindlichen Regeln für den Landerwerb. Im Büro von EM-Organisator Cherwonenko steckt die blonde Sekretärin den Kopf durch die Tür, das nächste Interview steht an. Der Rennfahrer mit der Fußballmission, dessen Amt weder mit einem großen Budget noch mit echten Befugnissen versehen ist, will nicht der Sündenbock sein. Aber wer die wahren Verhinderer sind, will er nicht aussprechen. Zu einem Appell ringt er sich schließlich durch: „Ich hoffe, dass unsere Regierung den Dingen mehr Aufmerksamkeit schenkt und auch mehr Geld für die staatlichen Aufgaben zur Verfügung stellt.“ Dann zündet er sich schnell eine neue Zigarette an.


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